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WAS SOLL MAN HEUTE STUDIEREN?

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Weniger als 50 Prozent der Maturantinnen, die ein Studium beginnen wollen, wissen zum Zeitpunkt der Matura, welches Fach sie im Herbst studieren werden.1 Warum wohl?

Die Studienwahl wird durch folgende Punkte erschwert:

1) Problem der Orientierung: a) über Angebot der Studienrichtungen und berufsbezogenen Kurzausbildungen (über 270 Studienmöglichkeiten, viele mit ähnlichem Inhalt) b) bei der Interessen- und Begabungsfeststellung (unser Bildungssystem bietet zu wenig Zeit zur Selbst-findung)2

2) Problem der Informationsauslese (die Schülerinnen tun sich schwer beim Herausfiltern der für sie wesentlichen Informationen, beim Nachhaken bei unklarer Auskunft)

3) Problem der Entscheidung (Abwägen verschiedener Interessen, divergierende Aussagen, zum Beispiel über Berufschancen mit bestimmten Studien)

Da die Bildungsberaterinnen an den einzelnen Schulen zum Teil überfordert sind, bietet die Österreichische Hochschülerschaft den Schülerinnen der Maturaklassen Beratungen über die verschiedenen Studienmöglichkeiten, aber auch eventuelle Alternativen schon seit einigen Jahren an. Eine Beratung kann aber auf keinen Fall den Maturantinnen die Entscheidung abnehmen.

Ein „Schweinezyklus”

Deswegen erachte ich es als ein Problem, daß heutzutage vorwiegend bedarfsorientiert beraten wird, das heißt Ausbildungswege angepriesen werden, die momentan auf dem Arbeitsmarkt gefragt sind. Es entsteht dabei oft ein sogenannter Schweinezyklus, das heißt, ein Studium, ein Beruf, der als gefragt, als zukunftsträchtig bezeichnet wird, läuft stets Gefahr, ein Überangebot zu erzeugen (zu viele, die das Studium wählen). Dabei kann eine konkrete Zahl, wieviele Leute gebraucht werden, im vorhinein kaum genannt werden. Arbeitsmarktentwicklungen über einen Zeitraum, dereiner durchschnittlichen Studiendauer entspricht, können nur Vermutungen sein und bestenfalls Orientierungshilfe geben

Die daraus folgende Unsicherheit bei der Ausbildungswahl wird verständlich, vor allem, wenn es sich um Studien handelt, denen keine besonderen Berufschancen prognostiziert werden.

Nach einer Studie des Klagenfurter Bildungswissenschaftlers Paul Kellermann3 und den Erfahrungen der ÖH-Studienberatung sind die zwei wichtigsten Motivationen, sich fürein bestimmtes Studium zu entscheiden: a) das Interesse am Fachgebiet und b) die beruflichen Erfolgschancen. Sowohl für die Leistungsfähigkeit als auch für die persönliche Zufriedenheit ist gerade das Interesse am Fach besonders wichtig, da man nur bei der nötigen Faszination und Neugier die Motivation aufbringt, sich auch bei schlechten Studienbedingungen „durchzubeißen” und Zukunftsvorstellungen zu entwickeln.

Interesse kann man auch mit „aktiv nach etwas streben” definieren. Es zeugt von einer Lebenseinstellung, die mehr am Sein, als am Haben orientiert ist.4 Wissen bedeutet, durch die Oberfläche zu den Wurzeln und damit zu den Ursachen vordringen und nach Lösungen suchen. Diese Befähigung zum selbständigen wissenschaftlichen Arbeiten und zur Problemanalyse ist ein Merkmal, das die Universitätsausbildung von anderen Ausbildungen unterscheiden sollte. Das höchste Ziel wäre demnach tieferes Wissen und nicht mehr Wissen.

Wo ist aber nun Karriere zu machen? Sollte man diese Frage nicht mit anderen verbinden: Wo liegen die zu bewältigenden Probleme unserer Gesellschaft? Kann man mit der Lösungssuche wirklich Geld verdienen, Profit machen?

Diese Fragen können nicht generell beantwortet werden, sie sollen bloß wie das folgende Eingehen auf gewisse Trends als Anregung zur Auseinandersetzung mit diesen Themen verstanden werden.

Umweltstudium gefragt

Welche Studien seien denn nun die „aussichtsreichsten”, wird man oft bei den Beratungen gefragt.

Das Buch,.Megatrends 2000”5 sieht eine Entwicklung in einer weiteren Blüte der Weltwirtschaft, was darauf schließen läßt, daß verstärkt wirtschaftliche Kenntnisse sowie Sprachkenntnisse im Zeichen der Intematio-nalisierung das Non plus ultra am Arbeitsmarkt darstellen. Die Universitäten hinken den Anforderungen meist hinten nach, sind aber auch nicht zur Berufsausbildung konzipiert. Immerhin wird versucht neuen Trends Rechnung zu tragen, indem neue Studienrichtungen wie Betriebswirtschaft mit internationaler Ausrichtung, neue Studienzweige wie Ökologie (zur Studienrichtung Biologie) oder zumindest neue Diplomprüfungsfächer beziehungsweise Wahlfächer, wie Um-weltwirtschaft (in Linz geplant) oder Umweltrecht, eingerichtet werden.

Auch der mangelnden Praxisnähe will man schrittweise begegnen, wie die Studienversuche Angewandte Betriebswirtschaft oder Angewandte Informatik (beide in Klagenfurt) belegen.

Die wohl meistempfohlenen Studien sind die „technischen”, vor allem, wenn sie mit wirtschaftlichen Kenntnissen erweitert werden. Dies zeugt nicht gerade von jenerTechnik-feindlichkeit, die den Medien sonst oft vorgeworfen wird. Dabei muß sehr wohl bezweifelt werden, ob die heutigen Umweltprobleme allein mit technischen Mitteln gelöst werden können oder ob nicht eine andere Lebensweise vonnöten sein wird. Gerade das Verstehen von Ökosystemen, das Zusammenwirken verschiedener Umweltfaktoren und die Folgen bei Beeinträchtigung eines Faktors sind noch wenig erforscht. Es bleibt momentan dem Engagement einzelner Studierender überlassen, sich derlei Kenntnisse und Sichtweisen anzueignen.

Auf Fragen wie „Was muß ich studieren, wenn ich mit Umweltschutz zu tun haben will?” kann man bloß achselzuckend seufzen und zugeben, daß es eigentlich kein „Umweltstudium” gibt. Es gibt momentan eine

Art Post-Graduate-Studium namens Technischer Umweltschutz, das Studium Landschaftsplanung und -pflege und den Studienzweig Ökologie (des Studiums Biologie). Alle haben gemeinsam, daß sie nur einen Teilbereich eines Umweltstudiums abdek-ken. Ansonsten können Umweltinteressierte bloß ein „normales” Studium, wie Chemie, Jus, Maschinenbau oder ein anderes wählen und versuchen im Rahmen ihres Studienplanes eine Spezialisierung auf Umweltfragen vorzunehmen.

Akademikerinnen werden in Zukunft zum Teil ihre Arbeitsfelder erst selbst schaffen müssen, das heißt selbständiges Arbeiten verbunden mit einer anfänglichen Unsicherheit wird der Preis dafür sein.

Das gilt auch für die vielgeschmähten geisteswissenschaftlichen Fächer. Wenn man aber die vielen ungelösten gesellschaftlichen Probleme wie Nationalismus und Fremdenhaß, Ausleben von Unzufriedenheit durch Gewalt, zunehmende Kommunikationsunfähigkeit betrachtet, die am ehesten durch psychologische, soziologische und pädagogische Ansätze zu lösen sind, erkennt man die verstärkt notwendige Vermittlung von geisteswissenschaftlichen Kenntnissen.

Aber auch im gesamten künstlerischen Bereich liegen neue Chancen durch die immer größere Bedeutung der Freizeit für den einzelnen. Neue Sparten entstehen, in denen Kunstberaterinnen, Kulturmanagerinnen, Künstleragenturen ihren Stellenwert verbessern, aber auch Unternehmen ihre Strategie vom Sport-Sponsoring zum Kunst- und Kultursponsoring umstellen.

Resümee

Prinzipiell gilt immer noch der Grundsatz, daß dort, wo man wirklich kompetent ist, die Chancen auf einen Job gut sind. Ein Studiumnur über die Runden zu bringen und sich dann mit dem Titel Magister zu schmücken,, wird aber zu wenig sein. Ein schlechter Betriebswirt wird demnach auch schlechtere Chancen als ein guter Tibetologe haben. Kommunikationsund Kooperationsfähigkeit sowie Führungsverhalten und Verhandlungsgeschick sind mindestens ebenso wichtig für das Berufsleben wie das Fachwissen.

Da die Akademikerquoten in anderen europäischen Ländern unsere mageren 5,3 Prozent (Anteil an allen Berufstätigen) bei weitem übertreffen, brauchen wir keine Angst vor einer Akademikerschwemme haben. Von den Arbeitnehmern wird in Zukunft mehr Flexibilität und Mobilität verlangt werden, die Arbeitgeber werden ihrerseits bei den Jobs mehr Identifikationsmöglichkeiten anbieten müssen, um konkurrenzfähig zu bleiben.

Im Bewußtsein der Unmöglichkeit der Vollständigkeit meines Artikels möchte ich mit einem Gedicht von Walt Whitman (aus dem Buch „Der Club der toten Dichter”) schließen.

„Oh ich, oh Leben!

Auf alle diese wiederkehrenden Fragen... was habe ich darauf für eine Antwortoh ich, oh Leben?

Dies aber ist dieAntwort:

Du bist hier, damit das Leben blüht und die Persönlichkeit, damit das Spiel der Mächte weitergeht und Du Deinen Vers dazu beitragen kannst.”

Anmerkungen:

1) Laut Erfahrungen der Österreichischen Hochschülerschaft bei ihren Studienberatungen in den Schulen Österreichs

2) „UNI-Start”, Handbuch für Eltern von Studierenden, Hrsg. Michael Schilling, Edition ÖH. Verlag Kontrapunkt, Wien 1990

3) Studie Uber „Studienmotivation”, Paul Kellermann, Klagenfun, Sommer 1990

4) Haben oder Sein, Erich Fromm, dtv Verlag, München 1979

5) Megatrends 2000, John Naisbitt, Econ Verlag, Düsseldorf 1990

Der Autor ist Leiter der Studien- und Maturantinnenberatung der Österreichischen Hochschülerschaft.

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