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Der Dr. tax. geht um

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Dr. tax., der promovierte Taxifahrer, geistert als Phantom durch Österreichs Bildungsdiskussion. 100.000 Studenten glaubte die Hochschulstatistik bei den Hochschulwahlen feststellen zu können. Bis in die Mitte der achtziger Jahre werden es 130.000 oder 150.000 sein, wer soll dies heute schon wissen? Auch wenn - wie bisher - nur die Hälfte derer, die einmal inskribiert haben, ans Ziel kommen - was soll dann aus ihnen werden?

. Etwa aus den rund 2000 Lehramtskandidaten, die jährlich in den neunziger Jahren die Universitäten verlassen werden, oder aus den 1500 Medizinern, die ihr Diplom zur selben Zeit erhalten werden? Werden sie das Schicksal eines Dr. tax. auf sich nehmen müssen, wenn es für sie nicht genügend Dienstposten mit Pragmatisierung und Hofratsaussicht oder satte Kassenpraxen gibt?

Die Reaktionen auf die kürzlich vorgelegte „Fleißaufgabe“ dreier Mitarbeiter des Ford-Instituts waren verschieden. Da nicht sein kann, was nicht sein darf, da also nicht vorgerechnet werden darf, was in das offizielle Konzept nicht hineinpaßt, sprach Ministerin Hertha Firnberg von einer „primitiven Extrapolation“.

Seit Jahren wird bemängelt, daß es keine Vorausberechnungen des zu erwartenden Akademikerbedarfs gebe. Wenn sich dann drei Fachleute an die Arbeit machen, um wenigstens überschaubare Bereiche zu ergründen, fehlt ihnen die Wissenschaftlichkeit ...

Und auf der anderen Seite des Spektrums kritisierte FP-Schul-mann Friedrich Peter den „unge-planten Wildwuchs“ bei der Abstimmung des Ausbildungs- mit dem Berufssektor und postulierte einen „moralischen Anspruch“ des Bürgers, einen den erworbenen Qualifikationen entsprechenden und damit befriedigenden Arbeitsplatz zu erhalten - eine Forderung, die nicht einmal von Gewerkschaftsfunktionären aufgestellt wird.

Eigentlich sonderbar, daß eine Partei, die ihre Wurzeln im Liberalismus sieht und die die Freiheit im Namen führt, Forderungen aufstellt, die doch wohl nur im östlichen Zwangssystem zu verwirklichen wären. Dort wird der Bedarf an „Spezialisten“ jeder Art in Prospektivplänen vbrbe-rechnet und die Zahl der Studenten darauf abgepaßt (ohne daß dieses System bisher auch nur seine materielle ' Wirksamkeit bewiesen hätte).

Im Grunde hatten die drei Autoren nichts anderes getan, als sich zu fragen, wie viele Absolventen dieser zwei Bereiche um die Jahrtausendwende vorhanden wären, vorausgesetzt, daß alles so weitergeht, wie jetzt abzusehen ist. Nun ist es charakteristisch für solche Prognosen, daß sie selbst einen Änderungseffekt auslösen, also auf die Meinungsbildung als einen der entscheidenden Faktoren einwirken. Schon die Ankündigung, daß der Bedarf an Volksschullehrern seiner Sättigung entgegengeht, hat mitgewirkt, daß der Zustrom zu den Pädagogischen Akademien merkbar abgesunken ist. Also kann auch damit gerechnet werden, daß diese Studie ihre Bremsoder Leitwirkung ausüben wird.

Tatsächlich aber geht das Problem viel tiefer, als es nach den oberflächlichen Reaktionen den Anschein hat. Im Hintergrund steht der „Kampf Maria Theresias gegen Humboldt“, steht die Frage: Soll die Universität „tüchtige Staatsdiener ausbilden“, wie es die Kaiserin anordnete, als sie Van Swieten mit der Universitätsreform beauftragte, oder soll die Universität - nach Humboldt - Bildung durch Wissenschaft vermitteln. Das Dilemma der heutigen Universität liegt im Umstand, daß sie beides soll - und beides angesichts des Massenandrangs offenbar nur unzureichend kann.

Natürlich hat die Universität die Aufgabe, den künftigen Ärzten, Lehrern, Beamten, Technikern, Wirtschaftsführern das fachliche Wissen zu vermitteln, das sie in ihrem späteren Beruf brauchen. Fundierte Bedarfs-Berechnungen, entsprechende Information der Studienanfänger und scharfe Leistungsanforderungen in den Anfangssemestern sollten eigentlich genügen, Angebot und Bedarf in etwa im Gleichgewicht zu halten, wobei dem künftigen Akademiker auch das Risiko und die Mobilität zuzumuten sind, seine Zukunftsvorstellungen notfalls den Gegebenheiten anzupassen. In der Feststellung, daß Diplom oder Doktorat keinen Rechtsanspruch (auch keinen moralischen) für höheres Einkommen und Prestige bedeuten - darin gehen die Ministerin und die Industriellenvereinigung (und wir) voll konform.

Das Recht auf Bildung aber, das Bundeskanzler Kreisky in seiner Regierungserklärung neben das Recht auf Arbeit gestellt hat; die Uberzeugung, daß Bildung und Wissen an sich Voraussetzungen einer höheren Lebensqualität darstellen, haben mit dem künftigen Akademikerbedarf nur beschränkt zu tun.

Die Entscheidung, wie weit die Gesellschaft gehen kann und soll, um dieses Recht auf Bildung dem einzelnen zu sichern, ist eine politische. Die Frage ist dann nicht zu stellen, ob der junge Absolvent sein Leben als Taxifahrer fristen soll, sondern ob der Taxifahrer seinen geistigen Interessen auf der Universität nachgehen soll -auch bis zum Diplom. Im übrigen wird dieser Überlegung mit der Öffnung der Universität für „Senioren“ bereits entsprochen.

Bildung könne nicht nur als Selbstzweck angesehen werden, meint Peter weiter. Sie muß insofern Selbstzweck sein, als ihre Aneignung nicht von Zweckbindungen abhängig sein darf. “Die „Umwegrentabilität“ eines allgemein höheren Bildungsniveaus als gesamtgesellschaftlichen Faktor einzusetzen, dürfte jedoch einem erfahrenen Bildungspolitiker nicht schwerfallen.

Die Uberfüllung der Hochschulen ist nicht durch numerus clausus zu ändern - auch darin gehen wir konform mit der Ressortchefin (wohl aber auch nicht durch ideologisch motivierte Strukturreformen). Zu überlegen wäre, ob nicht das (voreilig gestrichene) neunte Gymnasialjahr doch eine wohltuende Wirkung ausüben und die mit ihm scheinbar „verlorene“ Zeit später durch vermehrte Reife beim Studium wieder eingeholt werden könnte. Das sollte die überlangen Studienzeiten mildern. „Das 13. Schuljahr macht sich offenbar bezahlt“, schrieb die „Presse“ im Zusammenhang mit den berufsbildenden Schulen. Könnte das nicht für die allgemeinbildenden auch gelten?

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