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Ministerium diktiert Unsinn

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Politik und Verwaltung machen sich daran, die Geisteswissenschaften zu demontieren. Die Fundamente von Kultur und Wissenschaft sind in Gefahr.

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Politik und Verwaltung machen sich daran, die Geisteswissenschaften zu demontieren. Die Fundamente von Kultur und Wissenschaft sind in Gefahr.

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Ein österreichischer Geisteswissenschaftler - auf den Stellenwert seiner Disziplin in Österreich befragt - kann gar nicht anders, als nachdenklich die Stirn zu runzeln. In der Tat stehen die Zeichen auf Sturm. Vorbei die Zeiten personeller und institutioneller Expansion, vorbei auch jene, da unsere Absolventen noch offene Arbeitsmärkte vorfanden. Der letztendlich demographisch (Stichwort: Massenuniversität) und ökonomisch (Stichwort: allgemeine Haushaltsverknappung) induzierten Engpaßführung folgte - die (westdeutschen Universitäten gingen da voran - eine krisenartig wirkende Infragestellung der Geisteswissenschaften überhaupt. Ich erinnere an die Thesen Odo Marquards von der Rolle der Geisteswissenschaften als „Kompensationshelfer“ bei der Beseitigung von Modernisierungsschäden, die in ihrer zeitgeistig-postmodernistischen Naivität rasch auf den verdienten Widerspruch gestoßen ist.

Heutzutage verdanken wir dem Konstanzer Philosophen Jürgen Mittelstraß die wohl schärfsten Analysen dieser Problematik. In der von ihm vertretenen sehr differenzierten Optik fungieren die Geisteswissenschaften auch als Bildungs-, Orientierungs-, Ethik- und Kulturwissenschaften, wobei Dimensionen des Nachdenkens und Handelns angesprochen sind, die für nachaufklärerische Staatswesen - wozu Osterreich trotz allen populistischen Vereiniacnungsge-schreis hoffentlich noch gezählt werden darf - wesentlich und unverzichtbar sind.

Dazu stelle man sich beispielshalber einmal die folgenden Anlässe und Institutionen ohne die von den Geisteswissenschaften beigebrachten Erkenntnisse und Orientierungen vor: das Millenniumsjahr 1996, die Wiener Festwochen, die Salzburger Festspiele, das heurige Schubertjubiläum, jedes unserer zahlreichen Museen, die Nationalbibliothek, das gesamte voruniversitäre Schul- und Ausbildungssystem oder - um auf alltäglich Hörbares anzuspielen - das Radioprogramm Ol. Nichts, rein gar nichts davon hätte auch nur annähernd jene Qualität, die wir daran kennen und schätzen.

All das beruht auf Erkenntnissen, die gestern wie heute von Heerscharen geisteswissenschaftlich ausgebildeter Fachleute erbracht wurden und werden. Und was ist mit immateriellen Dimensionen wie dem (neuen) Nationalgefühl der Österreicher, dem Umgang mit der eigenen und anderer Länder Geschichte, der Suche nach Österreichs Identität und seinem ideellen Platz in Europa? Erneut sind es hier die Geisteswissenschaften, die im Dialog der Generationen, Ideen und Kulturen die gesuchten Markierungen schaffen, kritisch beleuchten, legitimieren und dokumentieren.

In Österreich, wo die Geisteswis senschaften an fünf Hohen Schulen (Wien, Graz, Innsbruck, Salzburg, Klagenfurt) und - nach dem Ausweis des letzten Hochschulberichts (1996) - vor rund 60.000 Studenten (das sind zirka 23 Prozent aller Studierenden) gelehrt werden, erfolgt die Infragestellung der Geisteswissenschaften aus zwei Richtungen:

■ aus dem Inneren der Universitäten selber, wo sich die Geisteswissenschaften in Konkurrenz zu den Ingenieurs- und Naturwissenschaften sehen und sich von diesen explizit oder implizit infragegestellt fühlen

■ von außen her, worunter in erster Linie die heimische Politik (vertreten vor allem durch das Wissenschaftsministerium) und danach die sich progressiv verschlechternden Arbeitsmarktchancen für die Absolventen geisteswissenschaftlicher Fächer zu verstehen sind.

Einer näheren Behandlung dieser beiden Problemkreise sei aber eine Feststellung mit allem Nachdruck vorangesetzt: Hier werden Innen-und Außenansichten der Geisteswissenschaften diskutiert, nicht aber deren wissenschaftliche Leistungen im Kontext Europas und darüber hinaus. Denn wäre hier nur davon die Bede, so ließe sich ein um vieles optimistischer gestimmtes Bild zeichnen. Die wissenschaftliche Effizienz der österreichischen Geisteswissenschaften, evaluiert nach Qualität und Zahl ihrer Publikationen und der ihnen vom Ausland zuerkannten Bedeutung, liegt derzeit (noch) weit über dem in der Folge beschriebenen Krisenpegel!

Was die inneruniversitäre Stellung der Geisteswissenschaften betrifft, bei der natürlich die Ressourcenfrage entscheidend ist, muß ein wesentliches Handikap im Vergleich zu den Ingenieurs- und Naturwissenschaften angesprochen werden. Die Geisteswissenschaften haben keine universitätsexternen Partner oder gar Lob-bies. An der Technischen Universität Wien gibt es beispielsweise ebenso-viele vom Staat wie von universitätsexternen Partnern finanzierte Assistenten, wodurch die Forschungs- und Lehrkapazität der TU Wien ohne Mehrkosten für den Staat enorm vermehrt wird. Solches war, ist und wird den Geisteswissenschaften immer verwehrt sein.

Unsereins steht für Projektfinanzierungen allein der Weg zu den wenigen wissenschaftsfördernden Institutionen (wie der Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung) offen. Mit diesem Sachverhalt ist implizit die Frage nach dem materiellen Nutzen der Geisteswissenschaften verbunden: nota bene nach dem materiellen, nicht etwa nach dem (in harter Münze nicht angebbaren) ideellen Nutzen. Es ist das ein altes Dilemma, das nur politisch entschieden werden kann. Für das Österreich von 1997 bedeutet das: Inwieweit sind dieses Land und seine Politiker bereit, sich in Zeiten materieller Verknappung den ideellen „Luxus“ von Geisteswissenschaften zu leisten?

Sprechen wir einmal die Kosten-frage an: der Hochschulbericht 1996 weist für 1995 ein Wissenschaftsbudget von 29,4 Milliarden Schilling aus: das sind 3,94 Prozent des Gesamtbudgets. Doch enthält er nicht die allein für die Geisteswissenschaften ausgegebenen Beträge. Annäherungsweise könnte man aber den beim Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung für geisteswissenschaftliche Projekte üblichen Prozentsatz heranziehen, der 1995 knapp unter 15 Prozent lag. Damit ergäbe sich - nach dem Stand von 1995 und der oben genannten Budgetsumme - ein Betrag von rund 4,4 Milliarden Schilling. Dazu zwei Vergleichssummen: Kürzlich ist die CA um rund 17 Milliarden Schilling verkauft worden; 1996 betrug das Budget der Salzburger Festspiele rund eine halbe Milliarde Schilling. Zu Beträgen dieser Art gibt es keine irrealen Kosten-Nutzen-Diskussionen, da sich im Bankgeschäft wie in Salzburg alljährlich alles wieder „rechnet“.

Österreich versteht sich gerne als Land der Kultur: Doch will es auch ein Land der (Geistes)Wissenschaft(en) sein? Das Wohl und Wehe der Geisteswissenschaften hängt von einer gewissen Freigebigkeit der öffentlichen Hand ab: Daran ist aus sachlichen Gründen (leider) nicht zu rütteln.

Was sich derzeit bei der Vorbereitung des Universitätsstudiengesetzes (UniStG) politisch zwischen Ministerium und Universitäten abspielt, ist ein historisches Novum, um nicht zu sagen ein Skandal. Das Wissenschaftsministerium - repräsentiert durch die Leitung der Sektion I (Hochschulen), welche wiederum durch die totale Indifferenz des derzeitigen Ministers völlig ungebremst agieren kann - hat bei der Vorbereitung des UniStG nicht nur für alle Wissenschaftsbereiche völlig inakzeptable Regelungen (wie Magisteri-um in nur sechs Semestern) ins Spiel gebracht, sondern speziell für die Geisteswissenschaften geradezu tödliche Änderungen vorgeschlagen (wie Abschaffung des obligatorischen Zweifächer-Studiums, Ansetzung völlig ungenügender Gesamtstundenzahlen et cetera). Was sätzlich erstaunt und auch verbittert, ist die diktatorische Art, mit der von Seiten des Ministeriums hier gesetzgeberisch vorgegangen wird. Weder gab es Vorkontakte mit den Universitäten, noch wurden die im Zuge der ersten Begutachtung des UniStG-Entwurfs in großer Zahl eingegangenen Stellungnahmen durch das Ministerium beantwortet, geschweige denn zusammenfassend publiziert.

Bei der Erstbegutachtung des UniStG haben sich die Vertreter der österreichischen Geisteswissenschaften unisono (das heißt Professoren, Assistenten und Studenten) vor allem gegen das 6-Semester-Magisterium und die Abschaffung der Doppel-Studien gewehrt. Ein 6-Semester-Magi-sterium hätte das österreichische Magister-Diplom international völlig entwertet: Davon wären auch unsere Diplom-Ingenieure betroffen gewesen; glücklicherweise ist dieser Unsinn nunmehr beseitigt worden. Das in den Geisteswissenschaften seit langer Zeit im ganzen deutschen Sprachraum (und weit darüber hinaus) übliche Doppel-Studium hat sich zweifach bewährt: Wissenschaftssyn-ergetisch durch Pflege eines vernetzten Denkens ab Studienbeginn und arbeitsmarktpolitisch durch Verbreiterung des Profils der Studienabsolventen. Daß hier das Ministerium sich noch immer ohne Angabe irgendwelcher Gründe uneinsichtig zeigt, kann nur mehr als Ausdruck sachfremder Voreingenommenheit gedeutet werden. Unter der Hand wurde kolportiert, daß mit diesen beiden Regelungen vor allem dem Problem der überlangen Studienzeiten zu Leibe gerückt werden sollte. Falls dies zuträfe, so ist erneut Staunen über die Blauäugig-j ke t des Ministeriums angelt bra:ht. Die überlangen Studienzeit* n sind zum einen ein inter-naticnales Phänomen, das - von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen - fast die ganze Erste Welt betrifft, und zum anderen eine direkte Folge sozialer Mega-Trends, die von Soziologen und Bildungsforschern mit dem Schlagwort „Postadoleszenz“ beschrieben werden. Darunter versteht man eine im Zeichen des allgemeinen Wohlstands verschobene Generationendynamik, bei der der selbstverantwortete Eintritt in das Berufsleben immer später angestrebt wird.

Da man derartigen Mega-Trends natürlich nicht mit kurzatmigen Hau-Ruck-Rezepten zu Leibe rücken kann, hätte eine Leitungs- und Pla-nungsbehörde wie das Ministerium die Pflicht, diesbezüglich zuerst eine empirische Diagnose zu erstellen, bevor - wenn überhaupt - an therapeutische Maßnahmen gedacht wird. Solches ist beispielsweise in den letzten fünf Jahren ganz ohne ministerielle AVeisungen - in der Schweiz geschehen, wo rund 10.000 Studenten-kurrikula genau vermessen wurden, um dem mit der Postadoleszenz gekoppelten Phänomen der überlangen Studiendauer (und des späten Berufseintritts) auf die Spur zu kommen. Nichts dergleichen - von um vieles - kleiner dimensionierten Umfragen der Pädagogen in den späten achtziger Jahren abgesehen - ist in Österreich geschehen. Die Liste solcher an Fahrlässigkeit grenzender Versäumnisse ließe sich unschwer fortsetzen. Die österreichische Wissenschaftslandschaft - und mit ihr die Geisteswissenschaften - steht derzeit vor einer entscheidenden Weichen-Stellung, bei der allerdings gerade für die Geisteswissenschaften die Prognosen - und zwar nicht durch ihre Schuld - schlecht sind. Hinter öffentlichkeitswirksamen Slogans wie „Deregulierung“, „Autonomie“ und „Effizienz“ wird - und zwar durchaus mit allerhöchster politischer Billigung -ein Verwirrspiel getrieben, an dessen Ende ein gesetzlich induzierter Kahlschlag der Geisteswissenschaften stehen könnte, der späteren Generationen noch lange Kopfzerbrechen bereiten wird.

Der Au fori st

Forsland des Instituts für Romanistik an der Universität Sahburg.

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