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Sorgen im Jubiläumsjahr

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Bei der letzten Hochschulwahl kandidierten an der Wiener Technischen Hochschule die Vertreter dreier wahlwerbender Fraktionen. Der Wahlblock — Union österreichischer Akademiker (WB), der Ring freiheitlicher Studenten (RFS) und der Verband sozialistischer Studenten (VSStö). Der Wahlblock vereinigt die katholischen Studentenverbindungen (CV, KV) die Freie österreichische Studentenschaft, Fachverbände und Landsmannschaften. Der RFS umfaßt Burschenschaften, Korps, freiheitliche Studentenverbindungen und sogenannte „schlagende Verbindungen“. Der VSStö ist die Dachorganisation sozialistischer Studenten. Der Wahlblock hat seit 1959 die meisten Sitze im Hauptausschuß und stellt zur Gänze die Funktionäre und Amtsträger der ÖHTHW. Diese Kontinuität in der Besetzung fördert eine planmäßige Entfaltung der besten Kräfte.

Die Tätigkeit der Hochschüler-Bchaft kann grundsätzlich in zwei große Bereiche aufgeteilt werden. Die österreichische Hochschülerschaft ist zunächst Bindeglied zwischen Hochschule und Studierenden, sie vertritt die Interessen der Studierenden nach innen und außen.

Verfolgen wir nun die gegenwärtigen Verhältnisse an der TH und betrachten wir die Probleme, denen die Studentenschaft in Erfüllung Ihrer Aufgaben heute gegenübersteht. Bedingt durch die räumlichen und organisatorischen Schwierigkeiten an der TH und durch das ständige Anwachsen der Hörerzahl entwickelte sich allmählich ein anonymer Massenbetrieb. Unzureichende

Institutseinrichtungen, überfüllte Hörsäle, lange Wartezeiten für Übungsplätze sind die Kennzeichen des bereits überforderten Lehrbetriebes.

Kontaktarmut

Der Kontakt zwischen Lehrer und Schüler ging gänzlich verloren. Die Kontaktarmut war noch nie so groß. Die Bemühungen der ÖH gehen dahin, als Bindeglied zwischen Professoren und Kollegen die Kontaktarmut zu lindern und mit allen Mitteln schnellstens abzubauen. Dies übernehmen die Fachschaften und die einzelnen Referate der ÖH. Die fachliche, soziale und kulturelle Förderung, die Herstellung des gegenseitigen Kontaktes und die Unterstützung in sämtlichen studentischen Belangen sind Leitfäden ihrer Bestrebungen und Bemühungen. Engpässe in Studienangelegenheiten, Behebung räumlicher und organisatorischer Schwierigkeiten sind weitere Beispiele aus der Vielzahl der zu bewältigenden Agenden.

Die Fachschaften, Referate und Wirtschaftskörper der ÖH entwik-kelten sich allmählich zu Trägern des gesamten Studienbetriebes. Alle sozialen, kulturellen und sportlichen Belange für Studierende werden der Studentenschaft übertragen. Die Führung der Mensa-Technica mit einer Tagesleistung von 1000 Menüs und die Mensa-Academica mit 250 Menüs täglich erfordern erhöhtes Augenmerk. Beide Mensen wurden von der ÖH errichtet und bieten zu anerkannt niedrigen Preisen allen Studierenden günstige Eßmög-

Eieene Druckerei für sämtliche Skripten

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Weiters besitzt die ÖH eine Lehrmittelstelle mit einer Filiale, wo die Studierenden sämtliche Zeichen- und Studienbehelfe erhalten und gleichzeitig für ihren Bedarf fachlich beraten werden. Die Wirtschaftskörper eind in diesem Jahr durch Eröffnung eines Fachbuchhandels und durch Gründung einer eigenen Vervielfältigungsabteilung beträchtlich erweitert worden. Alle Skripten, Drucksorten, Studienbehelfe und Programmhilfen werden selbst hergestellt und vervielfältigt (Offsetdruck).

Das Sozialreferat sorgt für die Vermittlung billiger Unterkunftsmöglichkeiten und billiger Einkaufsquellen. Es vermittelt und vergibt Stipendien, bietet Unterstützung für bedürftige Studenten, vergibt Mensafreiessen und begutachtet und befürwortet Gebührenbefreiungs- und Studienbeihilfenansuchen. Die Überwachung und Kontrollen vieler sozialer Begünstigungen (Schülerfahrkarten, Ermäßigungen aller Art), Impfaktionen, Gesundheitsdienst und die studentische Krankenhilfe sind weitere Beispiele der Tätigkeit des Sozialreferates. Größtes Augenmerk verlangt das Problem der Studienbeihilfe.

Die Tätigkeit des Kursreferates bietet den Studierenden eine intensive Ausbildung und ergänzende Fachkurse. Pauk-, Vorbereitungsund Übungskurse werden laufend abgehalten und erfreuen sich einer regen Teilnahme.

Die Vermittlung von verbilligten Karten für zahlreiche kulturelle Veranstaltungen, die Führung eines eigenen Cinestudios und die Veranstaltung des traditionellen „Balles der Technik“ sind die markantesten Arbeiten des Kulturreferates. Im Sinne einer echten kulturellen Förderung werden oft ganze Theatervorstellungen aufgekauft, verbilligte Eintrittskarten beschafft und viele Veranstaltungen subventioniert und organisiert. Das Kulturreferat hat aber auch die verantwortungsvolle Aufgabe, den persönlichen Kontakt und die akademische Ausbildung zu fördern und zu lenken„

Die Zusammenarbeit der Studentenschaft mit den einzelnen Instituten zeigt sich besonders bei gemeinsam organisierten Exkursionen, Tagungen und Vorträgen. Gerade solche Veranstaltungen sind ein willkommener Anlaß, die Kontaktarmut abzubauen und gleichzeitig Lehrer und

Studierende näher zu bringen. Außderdem dienen sie der Erweiterung des Ausbildungshorizontes.

Erwähnenswert sind noch die zahlreichen Publikationen, wie Studienführer, Mitteilungsblätter, Ratgeber für Stipendien und Benützung sozialer Einrichtungen. (Einrichtung der Inskriptionsschalter, Beratung und Unterstützung der ausländischen Studierenden, Einrichtungen des Studentenreisedienstes.)

Das gute Einvernehmen mit den akademischen Behörden und Professoren ermöglichte der Studentenschaft die Lösung vieler Probleme und die Beseitigung auftretender Schwierigkeiten.

Interessenvertretung nach außen

Die Vielfalt der angeführten Aufgaben und Tätigkeitsibereiche erfordern stets den Einsatz verantwortungsbewußter Kräfte um den steigenden Anforderungen gerecht zu werden. Darüber hinaus vertritt die ÖH jedoch die Interessen der Studierenden nach außen.

Abgesehen von diesen rein studentischen Problemen beschäftigt sich die ÖH auch eingehend mit der Materie eines neuen Hochschulstudiengesetzes. Viele Schwierigkeiten an der Hochschule ließen sich organisatorisch rasch beheben. Gerade die generelle Reform der Studienordnungen wäre geeignet, räumliche und organisatorische Engpässe aus dem Weg zu räumen. In guter Zusammenarbeit konnten oft von Lehrern und Studenten gemeinsam, organisatorische Belange gelöst werden. Inskriptionsvereinfachungen, Studienreform Chemie im Jahre 1963, Einführung der Studienrichtung Technische Mathematik, Ausbau und Modernisierung zahlreicher Hör- und Übungssäle. Eine generelle Sanierung übersteigt jedoch die Kräfte der Hochschule.

Warten auf die Hochschulreform

Professoren und Studenten warten bereits seit Jahren auf eine generelle Hochschulreform, die vor allem für die Studienrichtungen der TH von großer Bedeutung wäre. Die Lehrpläne stammen teilweise aus den dreißiger Jahren und wurden seither nur unwesentlich geändert. Durch den ständigen technischen Fortschritt konnten sich die Studienpläne nicht mehr den wissenschaftlichen und technisch administrativen Anforderungen anpassen. Die rasche Entwicklung der wissenschaftlichen Erkenntnisse brachte während der letzten 15 Jahren grundlegende Änderungen und Erweiterungen des Aufgabenbereiches unserer Techniker. Schon vor einem Jahr hat die ÖH detaillierte Reformvorschläge gemeinsam mit Lehrern und Assistenten ausgearbeitet und dem Ministerium zur Verfügung gestellt. Einer sofortigen Reformierung bedürfen die Studieneinrichtungen Technische Physik, Architektur, Maschinenbau und Vermessungswesen. Der Lehrplan der Studieneinrichtung Vermessungswesen wurde im Jahre 1924 geschaffen und blieb seit dieser Zeit — mit einigen geringfügigen Ausnahmen — bis heute unverändert.

Oftmals wurde auch die Einführung eines numerus clausus diskutiert und als Linderungsmaßnahme gegen die Raumnot in Erwägung gezogen. Im Zusammenhang damit tritt hier auch das Problem der Aufnahmebeschränkung für ausländische Studierende auf. Hierzulande können alle Ausländer, die entsprechende Voraussetzungen nachweisen, ihr Studium betreiben, eine Ausnahme gegenüber ausländischen Hochschulen. Diese haben nämlich nicht nur den numerus clausus für ihre eigenen Hörer, sondern noch in verschärftem Ausmaß für ausländische Studierende. Die Studentenschaft wehrt sich gegen jede Einführung eines numerus clausus. Die Auslese an der Hochschule soll nicht von Zufälligkeiten abhängen, sondern organisch im Laufe der Studienzeit selbstständig erfolgen. Wenn das Verhältnis zwischen Neuinskribierenden und Absolventen im Vergleich zu anderen Ländern auch etwas schlechter ist, so dürfte dafür die Qualifizierung besser sein. Gerade das natürliche Ausleseverfahren hat wesentlichen Anteil am guten Ruf unserer Hochschulabsolventen und ihrer Ausbildung.

Auch von der inneren Organisation her wären merkliche Erleichterungen sicher zu spüren. Viel Probleme der Raumnot könnten gelöst, Engpässe und Wartezeiten weitgehend vermieden werdien. Bis 1963 sank jährlich die Zahl der Chemiestudenten, da die Raumnot und Überbelegung gerade dort besonders drückend wirkte. Nach der Refor-mierung begann die Hörerzahl wieder zu steigen, die langen Wartezeiten konnten abgebaut werden und die effektive Studiendauer verkürzte sich.

Die Hörerzahlen steigen

Im Rahmen des Allgemeinen Hochschulstudiengesetzes müßte aber auch der Personalstand an der Hochschule wesentlich vermehrt werden. Viele Lehrkanzeln sind völlig unterdotiert und manchmal unbesetzt. Vor allem fehlen genügend Assistenten und Dienstposten des akademischen Mittelbaues. Das Beamtenschema ist für Hochschulen völlig unzulänglich und unbrauchbar. Die ÖH an der TH-Wien forderte mit allem Nachdruck die Vermehrung des wissenschaftlichen Personals, die Möglichkeit freier Dienstverträge auf Zeit, bessere Bezahlung des wissenschaftlichen Personals und die Einstellung von De-monstratoren für die Entlastung des überforderten Übungsbetriebes.

Die ständig wachsende Hörerzahl (1964/65 7021) führte zu Engpässen im Vorlesungs- und Übungsbetrieb. Gerade jene Übungen, die das Fundament der technischen Ausbildung vermitteln und vertiefen sollen, sind überfüllt und überbelegt. 800 bis 1000 Hörer inskribieren jährlich Mathematik I. Der größte Hörsaal der TH faßt 350 Hörer. Es fehlen genügend wissenschaftliche Kräfte, um den großen Andrang von Hörern verkraften zu können. Parallelvorlesungen und Fernsehübertragungen verhindern das ärgste. Ein fruchtbarer Übungsbetrieb kann nur im kleinen Kreis geleistet werden. Für jede technische Studieneinrichtung sind profunde Grundlagenkenntnisse und deren Anwendungsmöglichkeiten eine unbedingte Notwendigkeit. 200 bis 400 Hörer pro Assistent sind nicht mehr der Rahmen einer gedeihlichen Ausbildung. Die österreichische Hochschülerschaft hat nun zur Selbsthilfe gegriffen, nachdem ihre gerechten Forderungen bisher ungehört blieben, und bezahlt zwei wissenschaftliche Hilfskräfte um wenigstens an einer Lehrkanzel Linderung zu schaffen. Der Reingewinn des Jubiläumsballes und des traditionellen „Balles der Technik“ soll in Hinkunft für die Anstellung weiterer Assistenten verwendet werden. Gleichzeitig will die Studentenschaft damit das Interesse privater Institutionen, Industrie und Handel wek-ken, die Ausbildung des technischen Nachwuchses in sinnvoller Weise zu fördern und zu unterstützen.

Nach wie vor hängen jedoch alle Bestrebungen einer“ wirksamen Linderung der Raumnot von der zügigen Inangriffnahme des „Raum- und Funktionsplanes“ der TH ab. Im Rahmen der Festwoche wurde der Spatenstich für das neue Institutsgebäude in der Gußhausstraße vorgenommen. Möge dies der Beginn einer regen Bautätigkeit an der TH sein. Nicht unwesentlich könnte auch die Stadtgemeinde Wien ihr Scherflein zur Linderung der Raumnot beitragen. Die Ausbauprojekte sehen nämlich vor, den zusammenhängenden Charakter der Hochschulinsti-tute zu bewahren. Hoffentlich gelingt es, den gewaltigen Nachholbedarf der TH wenigstens annähernd aufzuholen!

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