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Reformgerede zwischen Links und Rechts

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Knapp vor Semesterschluß, am 20. Jänner 1971, finden Hochschulwahlen statt: Die „Konzeptmühle" der Studentenparteien ist in Gang gesetzt und produziert ohne Unterlaß Reformpapiere. Mit populären Sozialkonzepten versuchen die Spitzenkandidaten jene 50 Prozent der Studenten, die von Hochschulpolitik frustriert den Wahlen fernbleiben, zur Urne zu bringen. Aber in der geringen Wahlbeteiligung spiegelt sich auch das gestörte Verhältnis der Studenten zu ihren Vertretern.

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Knapp vor Semesterschluß, am 20. Jänner 1971, finden Hochschulwahlen statt: Die „Konzeptmühle" der Studentenparteien ist in Gang gesetzt und produziert ohne Unterlaß Reformpapiere. Mit populären Sozialkonzepten versuchen die Spitzenkandidaten jene 50 Prozent der Studenten, die von Hochschulpolitik frustriert den Wahlen fernbleiben, zur Urne zu bringen. Aber in der geringen Wahlbeteiligung spiegelt sich auch das gestörte Verhältnis der Studenten zu ihren Vertretern.

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Die „schweigende Hälfte“ der Studenten fühlt sich von politisierenden Studentenvertretem genasführt, von Vertretern, die — so das Klischee — in einer Vielzahl von Gremien einander bekriegen und aufwandsentschädigt durch kleinliches Taktieren um momentaner politischer Vorteile wegen eigentliche Hochschulpolitik, das heißt die Probleme der Studenten, vergessen. Jede Fraktion, so argwöhnt der alle zwei Jahre zur Wahl gerufene Student, kocht ihr Süppchen — oder besser noch: das der als Geldgeber auftretenden Parteisekretariate, die Rückzahlung in politisch ausschlachtbarer Münze verlangen.

„Linke Plattform“

Gewählt werden der Zentralausschuß (ZA), die Hauptausschüsse an den einzelnen Hochschulen (HA) und die verschiedenen Fachschaftsausschüsse an den einzelnen Fakultäten.

Neben der mandatstärksten Gruppe, der „österreichischen Studentenunion“ (ÖSU), die 1969 knapp mehr als 50 Prozent der Stimmen erreichen konnte, kandidieren der „Ring Freiheitlicher Studenten“ (RFS) — 1969 29 Prozent —, die „Aktion“ (1969 8 Prozent) und die „Vereinigung Demokratischer Studenten“ (VDS), die bei den letzten Hochschulwahlen nicht ganz 1 Prozent der Stimmen erringen konnte. Die Kandidatur des „Verbandes Sozialistischer Studenten“ ( VSStö) ist noch ungeklärt. Man spricht von Machtkämpfen linker und rechter Flügel, die einander Opportunismus, Machtstreben und Scheindemokratis- mus vorwerfen. Der Streit wurde ausgelöst, als die geplante „Linke Plattform“ von VSStö, VDS und Aktion am Einspruch der SPÖ scheiterte, die fürchten mußte, daß eine „Linke Plattform“ nicht so sehr dem in Wien 400 Mitglieder umfassenden

VSStö, als vielmehr den teilweise ultralihken Splittergruppen VDS und Aktion nützen würde.

„Wir hoffen“, so formuliert ÖH-Vorsitzender und ÖSU-Spitzenkandidat Emst Streeruwitz, „ohne übertriebenen Optimismus auf die absolute Mehrheit.“ Ins Zentrum des Wahlkampfes rückt er neben dem Sozialplan das Konzept „demokratische Leistungsuniveredität“ und vor allem die Forderung nach konkreter Hochschularbeit. Unter letzterer versteht er eine Beseitigung der Kluft zwischen Studenten und ihren Funktionären, sowie personelle und organisatorische Umschichtungen im Bereich der Fachschaften, die, ineffizient geworden, sich meist auf Skriptenverkauf und Bücherverleih beschränken. Im Konzept „demokratische Leisrtungsunivensität“ werden die alten Forderungen nach Prüfungsreform, Gesamthochschule, Fonschungskonzept, Arbeitsökonomie und Verbesserung der beruflichen Chancen durch neue Studienwege auf Grund individueller Fächerkombinationen zusammengefaßt. Der Sozialplan beinhaltet die Forderung nach Dynamisierung der Studienbeihilfen, Verbilligung der Studienbücher. kostenfreiem Studium sowie einer Reform des wiederholt durch Skandale schwer erschütterten Mensenwesens.

Das Reformpapier, das Spitzenkan-

didat Rainer Pawkowicz für den RFS.. vorlegt, verlangt vor allem die Mitwirkung der Studenten in ihrer Standesvertretung. ein dem Volksbegehren nachgebildetes Studentenbegehren, Urabstimmung für alle Entscheidungen von weitreichender Bedeutung und die aktive Mitwirkung des Studenten am Lehr- und Prüfungsbetrieb. Die „Aktion“, vertreten durch Alexander Gronner, hält sich ans Firnberg-Wort von der „nicht repräsentativen Hochschülerschaft“ und rückt „das Unbehagen an der Gesamtgesellschaft, das sich durch Repression an der Hochschule manifestiert“, ins Zentrum: Bildung — so das Grundsatzprogramm der „Aktion“-Wien — ist „gegenwärtig ein Prozeß, durch den das Individuum effektiv bzw. kognitiv strukturiert wird, das heißt es übernimmt Wissen bzw. kulturelle Techniken und verinnerlicht Normen und Wertsysteme des herrschenden Systems.“ All dieses Reformgerede steht vor dem Hintergrund einer nur schleppend fortschreitenden Hochschulreform, die auch trotz eines neuen Ministers nicht so recht alle Meinungen unter einen Hut bringen kann.

Vordergründig aber geht es auch darum, ob bei den Wahlen Ende Jänner 1971 auch die Auslandshörer mitstimmen dürfen — und welchen Einfluß gerade sie auf die zukünftige Zusammensetzung der Hochschülerschaft— immerhin eine Körperschaft öffentlichen Rechts — nehmen werden.

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