6756826-1967_50_03.jpg
Digital In Arbeit

Mobilisierung der Unzufriedenheit

Werbung
Werbung
Werbung

Die Mobilisierung der Unzufriedenheit, die Forderung nach geistiger Dynamik nach Konfrontation und Diskussion brachte der „Aktion“ ihren Erfolg und von boshaften Zungen den Ruf ein, sie sei „ein literarischer Klub auf existentialisrtascher Basis, der auf die Durchsetzung politischer Ziele keinen gesteigerten Wert legt“. Daß der Appell an das Unbehagen und der Ruf nach dem Handeln nicht genügt, scheinen die Aktion-Funktionäre langsam einzusehen und beginnen sich auf konkretere Fragen zu konzentrieren. Die „Vorschläge“, die die „Aktion“ vorlegt, reichen von der soliden Ferialpraxisverrnittlung bis zum „zentralen Sexualreff erat“ (sie!), das dem „sexuellen Notstand unter der Studentenschatft“ (sie!) abhelfen soll. Die letzten „Vorschläge“ enthalten den Entwurf für ein neues Hocth-

schülerschaftsgesetz, in dem alle studentischen Fraktionen abgeschafft werden sollen. Die „Aktion“ huldigt offensichtlich der Antithese zwischen „freiem Geist“ und „Organisation“, der sie ebenso wie alles, was mit „Organisation“ zu tun hat, ablehnend gegenübersteht — sowohl Absprachen und Abkommen als auch Fraktionen und Fraktionsdisziplin scheinen ihr von vornherein suspekt: statt repräsentativer Demokratie und Listenwahlrecht fordert sie die ple-biszitäre Demokratie mit reinem Persönlichkeitswahlrecht, statt studentischer Fraktionen Instituts- und Studienabschnittsvertreter.

RFS — Verlust des Oppositionsmonopols

Daß die Aktion zu einer neuer Plattform der Unzufriedenen geworden ist, hat in Graz auch dei RFS zu spüren bekommen. Seir langjähriges faktisches Monopol als Sprachrohr der Opposition ist damit gebrochen. „Bis jetzt hat kein andere studentische Gruppe den Wahlblock Paroli geboten, auch d Sozialisten nicht. Dem RFS ist ei gelungen, die Opposition zu sein“ erklärt der derzeitige Fraktionsfüh rer des RFS in Wien, Helmut Krü-nes. Diese prinzipielle Oppositionsrolle, die der Plattform aller, die „dagegen“ sind, hat dem RFS bei der Hochschulwahlen der letzten Jahre rund 30 Prozent der Stimmen gebracht. Fast ein Drittel aller österreichischen Studenten wählte eine politische Gruppierung, deren Mitglieder sich zu 50 Prozent aus schla-

genden Verbindungen rekrutieren, deren Mitglieder mehrfach in Südtirolprozessen verurteilt wurden, deren Mitglieder in der Affäre Boro-dajkewycz im Namen der Hochschulautonomie für Borodajkewycz

eintraten, und damit, scheint es, eindeutig bewiesen haben, welch Geistes Kinder sie sind. Man trägt zwar heute nicht mehr Deutschnationalismus (Wahlwerbung mit Mini Wikingern sind „Ausrutscher“): „Der radikale Deutschnationalismus der vergangenen Jahre wurde abgelöst durch den Europabegriff. Was sollte man sonst an seine Stelle setzen?“ und „Daß die österreichische Nation in der Satzungsdebatte des Cartellverbandes nicht durchgedrungen ist, freut uns; es hätte uns sehr gestört“ (Krünes).

Im Gegensatz zu den übrigen Fraktionen ist es allerdings dem RFS offenbar gelungen, seine „Par-teiungebundenheit“ glaubwürdig zu machen und mit dem im akademischen Milieu noch immer attraktiven Schlagwort „freiheitlich“ das latente Unbehagen an der österreichischen Innenpolitik, vor allem in der Ära 'der Koalition, für seine Zwecke dienstbar zu machen. Dazu kam noch das Auftreten einiger seiner Funktionäre vom „liberalen Flügel“, die nicht nur innerhalb der Hochschülerschaft, sondern bei öffentlichen Diskussionen geschickt agieren.

Nicht umsonst ist und bleibt das magische Schlüsselwort des RFS, das alle Probleme lösen soll, „Persönlichkeit“. Mit „Persönlichkeiten“ soll die österreichische Hochschülerschaft reformiert werden, mit „Persönlichkeiten“ wird die Hochschulreform verwirklicht; die strukturellen Voraussetzungen für das Wirken von „Persönlichkeiten“ sind für den RFS uninteressant. Ebenso uninteressant ist für ihn die politische Erziehungsarbeit der Studenten — verständlicherweise: Studenten mit stärkerem kritischem Bewußtsein sind für den RFS kaum so einfach zu gewinnen, wie dies bis jetzt der Fall war. Daß der neue Stil der studentischen Auseinandersetzungen, daß das diskussionsfreudigere Klima, das sich langsam herausbildet, sich nicht zu seinen Gunsten auswirken wird, erkennt auch der RFS: „Bis jetzt übten wir einen betont freiheitlichen Stil. Nun braucht die Provokation andere Mittel; ich fürchte eine gewisse Aufschauke-lung der studentischen Politik in der Zukunft“, betonte der Wiener RFS-Fraktionsführer. (Proben solcher Aufschaukelung lieferten die jüngsten Auseinandersetzungen zwischen VSStö und RFS in der Aula der Wiener Universität.)

Stimulans des „neuen Klimas“ — der VSStö

Als Stimulans des „neuen Klimas“ wirkte an der Wiener Universität der Verband Sozialistischer Studen-

ten Österreichs, zur Zeit die „dynamischste Studentengruppe“, wie selbst der Wahlblock zugibt. Während der VSStö vergangener Jahre den Wahlblock an Einfallslosigkeit noch übertraf, entfaltet er seit etwa

einem Jahr so viel Aktivität, als ob er das jahrelang auf Hochschulboden Versäumte binnen Jahresfrist nachholen müßte. Wendepunkt der Entwicklung war die Wachablöse der „Alten Rechten“ durch die „Neue Linke“. Als „Reaktion gegen den Pragmatismus der Partei in der Ära der Koalition, als Protest gegen die geistige Sterilität der alten Garde m der Hochschule“ (Peter Kreisky <un., Sohn des Parteivorsitzenden) war eine jüngere Generation (vor allem innerhalb des Verbandes sozialistischer Mittelschüler) heran-

gewachsen, die sich „ideologisch unterernährt“ fühlte und dieses Vakuum durch das Studium der „sozialistischen Klassiker“ zu füllen hoffte. Die Zeitschrift des VSStö las sich denn auch lange Zeit wie gesammelte Fußnoten zu Marx und Engels. Erst das Berliner Beispiel — das Vorbild des SDS wird nicht geleugnet — initiierte eine Neuorientierung: Adorno und Marcuse wurden vom VSStö entdeckt und an die österreichischen Hochschulen importiert. Importiert wurden auch die Methoden der Go-ins, Sit-ins, Teach-ins. Der erste Versuch, Berliner Modelle auf Wiener Boden anzuwenden (ein Vietnam-Teach-in), scheiterte nicht nur am Verbot der Universität, er brachte den Studenten auch einen Ordnungsruf de* Parteivorsitzenden ein, der sich durch Vietnam-Demonstrationen plötzlich in Kommunistennähe gedrängt und damit von der Öffentlichkeit kompromittiert sah. „Seither besteht die stillschweigende Vereinbarung, Demonstrationen und ähnliche Veranstaltungen mit dem Parteivorstand zu besprechen“ (Silvio Lehmann, zweiter stellvertretender Obmann des VSStö). Dennoch hat der VSStö nach wie vor den Ehrgeiz, auf die Parteilinie Einfluß zu nehmen. „Die SPÖ versäumt es, zu weltpolitischen Fragen Stellung zu nehmen, wir wollen die Partei zu Diskussionen zwingen“ (Peter Kreisky).

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung