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Jeder gegen jeden

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Was soll der „bürgerliche“ Student in Österreich wählen, wenn ihm sowohl die Linke (sei sie marxistisch-leninistisch, trotzkistisch, maoistisch, revisionistisch) wie auch die äußerste (.nationale) Rechte unwählbar erscheinen? Die ÖSU also, die es bislang verstanden hatte, mit einem Programm der „progressiven Mitte“ zu reüssieren? Auch nicht, denn das, was diese Partei vor den Wahlen an innerfraktionellen Querelen an die Öffentlichkeit zerrte, mußte allzu viele wahlwillige Hochschüler verstimmen.

Der Abstieg von ehemals 93,7 Prozent für den Zentralausschuß auf 41,5 Prozent täuscht, denn man muß fairerweise auch die gesondert kandidierenden Listen (Team Innsbruck, Liste Marlene Streeruwitz, laste unabhängiger Studentinnen sowie die Fraktion Theologie der Universität Wien) berücksichtigen, wodurch sich ein Gesamtanteil von 50 Prozent ergibt. Es bleibt jedoch die Tatsache, daß die ÖSU Stimmen und Prozente verloren hat; ein Verlust, der vor allem in Wien eingetreten ist, während sich die ÖSU in den Bundesländern gut behaupten konnte (an der Universität Wien hat die ÖSU gleichfalls die absolute Mehrheit eingebüßt).

Dennoch verfügt die ÖSU plus Listen derzeit über 28 vom 53 Mandaten im Zentralausschuß — eine numerische Mehrheit, die nur dann zum Tragen kommen kann, wenn innerfraktionelle Streitigkeiten vermieden werden können.

Der sich seit Jahren abzeichnende Trend hat sich anläßlich der letzten Wahlen sogar verstärkt; der RFS hat diesmal überproportional verloren; er rutschte von 25,1 Prozent (1971) auf nunmehr 20,9 Prozent.

Der Verband Sozialistischer Studenten Österreichs konnte sich von 10,7 Prozent (1971) auf 13,2 Prozent verbessern; zählt man noch die 2,53 Prozent des Grazer CSS (Club Sozialistischer Studenten) hinzu, so sind es immerhin 15,8 Prozent. Diese beiden Fraktionen verfügen damit über 8 (7 + 1) Mandate im Zentralausschuß, jedoch gilt auch hier das oben Gesagte; denn es ist fraglich, inwieweit VSStö und CSS (der vielen als „biedere sozialdemokratische Organisation, die nicht einmal links ist“, erscheint) an eine Zusammenarbeit denken.

Das Ergebnis ist für den VSStö erfreulich, denn 1971 hatte sich der VSStö erst in letzter Minute entschlossen, doch noch in den Wahlkampf einzusteigen, und erlangte daher damals lediglich 10,67 Prozent, während der langjährige Durchschnitt des VSStö bei zirka 12 Prozent liegt. In diesem Licht besehen steht das nunmehr vorliegende Ergebnis von 13,2 Prozent in keinem Verhältnis zu einem sehr aufwendig und sehr intensiv geführten Wahlkampf.

Sie ist zweifellos der spektakuläre Gewinner dieser Wahl. Der KPÖ-hörige KSV (Kommunistische Studentenverband) erlangte 3 Prozent und ein Mandat, die Marxisten-Leninisten erlangten gar 5 Prozent und 2 Mandate und die GRM (Gruppe Revolutionärer Marxisten) erlangte mit 2,93 Prozent ebenfalls ein. Mandat. Insgesamt also 10,9 Prozent, ein für österreichische Verhältnisse „revolutionäres“ Ergebnis, wenn man daran denkt, daß anläßlich der Wahlen 1971 der damalige VDS, als einzige offen deklarierte kommunistische Gruppe, lediglich 2,13 Prozent erzielen konnte und damit nicht einmal ein Mandat erreichte.

Dieser Erfolg erklärt sich nicht etwa nur aus den erstmals mitstimmenden Ausländem, sondern insbesondere auch aus „einer politischen Präformierung des Mittelschülers“. Es ist in diesem Zusammenhang interessant, daß der VSM (Verband Sozialistischer Mittelschüler) nicht etwa den VSStö, sondern radikale linke Gruppen tatkräftig unterstützte. .

Die Ausländer haben — das steht fest — diese Wahl nicht entschieden; wenn schon österreichische Studenten geringes Interesse für studentische Belange zeigen, dann war dieses Interesse bei den Ausländem eher noch geringer. Puniktuell aber — etwa in Innsbruck und Salzburg — haben ausländische Studenten zweifellos Entscheidungen beeinflußt

Wird — wie manche Zeitungen behaupten — nun eine Spaltung der ÖSU eintreten?

Nächstes Wochenende findet die Generalversammlung der ÖSU statt und es darf angenommen werden, daß es heiß werden wird. Bekanntlich war es unmittelbar vor den Wahlen zu einer Polarisierung zweier Cliquen innerhalb der ÖSU gekommen. Dem Spiteenkandidaten Franz Prammer sowie dessen Freunden war von ZA-Vorsitzendem Poto-tschnig, Marlene Streeruwitz, Peter Ketzer u. a. ein deutlicher Linkskurs vorgeworfen worden. Es kam zum offenen Eklat, eigene Listen wurden gegründet und Anzeigen an das ÖSU-interne Vereinsgerieht erstattet. Derzeit sind laut Prammer fünf Mandatare, nämlich Pototsohnig, Streeruwitz, Neunteufel und Prammer sowie der ehemalige ÖH-Punktionär der Musikakademie Wien, Kissling (wegen eines geradezu grotesken Artikels in der „Arbeiter-Zeitung“), angezeigt. Pototschnig wiederum weiß nur von zwei Anzeigen, gegen Neunteufel und Prammer.

Trotz aller Reibereien wird sich auf der Generalversammlung die zukünftige Linie entscheiden; sollte es auf dieser möglich sein, daß sich die ÖSU auf eitlen Kandidaten einigt (Prammer: „Dies sollte möglich sein, nachdem eine Reihe von Querulanten wie Neunteufel, Kissling, Pröll u. a. nichts mehr zu reden haben“), dann wird es auch möglich sein, diese Kandidaten mit den 28 Stimmen im Zentralausschuß durchzubringen.

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