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Regeln der Klosettbenutzung

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Schon die nächste Aktion war mit gewaltigem Rauschen im österreichischen Zeitungswald verbunden, rührte jedoch zur Seibstauf-lösung des SÖS. In einer Veranstaltung im Hörsaal I des NIG versuchte der SÖS am 7. Juni 1968 eine Diskussion über „Kunst und Revolution“ durch „Materialaktionen“ in Gang zu bringen.

Die Reaktion der Öffentlichkeit und der Studentenschaft auf perverse Berufsnackte zwang den SÖS, sich in Föderation Neue Linke umzubenennen. Der VSSTÖ geriet in eine schwierige Lage. Wohl war man sich über den negativen Propagandaeffekt der Provokation im klaren, aber trotzdem wollte man die übers Ziel schießenden Genossen nicht verprellen. So versuchten die VSSTÖ-Vertreter im Zentralausschuß und im Hauptausschuß an der Universität Wien eine Resolution über die „skandalöse“ Berichterstattung der Presse durchzusetzen, als Demaskie-rung einer faschistoiden Geistes-haltung, „wenn einer sich nicht an di* überlieferten Regeln zur Benützung des Klosettes hält“ (Buzek, VSSTÖ).

Der verstärkten Tätigkeit linksextremer Gruppen folgte auf der Seite des Ringes Freiheitlicher Studenten (RFS) eine sehr schwankende Politik. Es gibt nur wenige aktive RFS-Hochschulgruppen in Österreich. Obwohl der RFS fast 30 Prozent des studentischen Stimmenpotentials auf sich vereinigen konnte, verfügt der RFS in Wien, Linz und Salzburg nur über einen kleinen Funktionakader. Das hat zur Folge, daß er in den Beschlußgremien der Hochschülerschaft oft nicht präsent ist und trotz eiserner Fraktionsdisziplin sich nicht durchsetzen kann. Obwohl es Einzelmitglieder im RFS gibt, rekrutiert sich sein Funktionärskader hauptsächlich aus „schlagenden Verbindungen“. Programm des RFS ist die „Erhaltung der Ruhe und Odnung“. So prügelten RFS-Mitglieder randalierende FNL-Studenten bei der Inauguration des Rektors der Universität Wien aus dem Saal.

Um die Gunst der Wählerstimmen bemüht sich auch die sogenannte „Aktion“. Als sich der vom Wahlblock unterstützte Sperl, Vorsitzender an der Grazer Universität, nicht durchsetzen konnte, trat er aus dem WB aus und gründete die „Aktion“, die bei den Wahlen 1967 einen spektakulären Erfolg errang.

Dilemma der Aktion

Die Situation der Aktion, die als studentische Mitgliederpartei eine Alternative bot, war schon immer von internen Richtungskämpfen gekennzeichnet. Seit 1967 kam es immer wieder zu Massenaustritten und häufigen Führungswechseln. Bei einer Generalversammlung im Herbst 1968 fehlten für den Selbstauflösungsbeschluß der links abgerutschten Aktion nur zwei Stimmen. Die Aktion kandidierte diesmal auch in anderen Hochschulstädten, hat sich jedoch von der Grazer Aus-garagssituation gelöst. Mit Unterstützung des Forumherausgebers Günther Nenninig etablierte sie sich unter Bernard Frankfurter als Konkurrenz zum VSSTÖ, links von der Mitte.

DSU als progressive Mitte

Statt des Wahlblocks kandidiert erstmals die österreichische Studenten-Union. Die Umstrukturierung des Wahlblocks wurde nach der Wahlniederlage 1967, bei der der Wahlblock von 58 Prozent auf 49 Prozent abrutschte, in Angriff genommen. Die Wahlniederlage hatte die Strukturschwächen deutlich gemacht. Der Mangel an einer ausreichenden Funktionärsschichte und der Gruppenegoismus der Verbände führten zur Abgabe von einer großen Anzahl von Proteststimmen. Auch war der vom WahWock gestellte Zentralausschußvorsitzende, der höchste österreichische Studentenfunktionär, Hermann Kert, zuwenig bekannt geworden.

Die Umstrukturierung wurde lange vorbereitet und durch die Radikalisierung der linken Studenten immer dringlicher.

Einen ausgezeichneten Start verschaffte sich die österreichische Studenten-Union, als führende ÖSU-Funktionäre, Sepp-Gottfried Bieler und Max Ortner, am Obertrumer Studententag alle Fraktionen auf ein von der ÖSU ausgearbeitetes Hochschulreformkonzept einschwören konnten.

Die ÖSU ist auf reine Einzelmitgliedschaft ausgerichtet, das heißt, es gibr keine Verbände, über die jemand als Funktionär vorgeschlagen wird. Ihren politischen Standort definiert sie als progressive Mitte, die durch zwei politische Grenzziehungen umschrieben ist.

• Rechte Grenze: Zu weit rechts steht, der glaubt, daß der beste aller möglichen Zustände bereits erreicht ist.

• Unke Grenze: Zu \vp:t links steht, der glaubt, unter Verletzung der demokratischen Ordnung die Gesellschaft zunächst zerstören zu müssen.

Qualifizierte Demonstrationen und ÖSU-Konzepte

Auf einer Idee des ÖSU-Präsidenten Gerhard Ortner beruhen die „qualifizierten Demonstrationen“. Nicht durch Provokationen, sondern durch witzige Einfälle soll die Öffentlichkeit auf studentische Probleme aufmerksam gemacht werden. Massendemonstrationen sollen rationell eingesetzt werden, da ihr Informationswert oft gering ist und sie in der Öffentlichkeit oft schlecht ankommen.

Als der Unterrichtsminister in die Budgetverhandlungen mit dem Finanzminister ging, wurden ihm Boxhandschuhe überreicht und die Finanzierung von Hochschuilbauten im Wege des Leasing-Verfahrens verlangt. Diese Initiative der ÖSU fand kurze Zeit später in der Zusage des Finanzministers im Parlament ihre Erfüllung, als er versprach, eine Milliarde Schilling auf diese Weise für die Hochschulen aufzubringen. Als der Verteidigungsminister anläßlich des Nationalfeiertages eine Militärparade abhalten wollte, wurde diese abgesagt, als ihm von der ÖSU ein Spielzeugpanzer vor der Fernsehkamera überreicht wurde.

Als Partei der Mitte versucht die ÖSU die breite Studentenschaft durch Konzepte anzusprechen. Auf der Universität Innsbruck entstand ein Studieribeihilfekonzept, dessen Hauptpunkte auf der Universität Wien in ein für Österreich völlig neuartiges kühnes ÖSU-Konzept der Studienförderung verarbeitet wurde. Die ÖSU propagierte auf der Universität Wien in ihrem „Projekt Uni-Erweiterung“, das schon jetzt großes Aufsehen erregt hat, eine Universitätsstadt auf den Gründen des alten Allgemeinen Krankenhauses. Diese Gründe bilden zwischen Gemeinde Wien und Bund einen langjährigen Streitgegenstand, da die Gemeinde Wien vom Bund Gründe im Werte des Vierfachen verlangt. Bei einer qualifizierten Demonstration der ÖSU wurden als Ausdruck der Hochschulfeindlichkeit der Stadt Wien vier Särge, symbolisierend die vier größten Wiener Hochschulen, zum Rathaus getragen. Der Wahltag wird zeigen, in welche Richtung die Studenten gehen werden: Außenseiter der Gesellschaft oder konstruktive Mitarbeit an Österreichs Zukunft.

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