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Hochschulwahlen

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Die österreichischen Studenten wählen am 27. Jänner wieder ihre Standesvertreter. Im Gegensatz zu anderen Ländern sind Hoch-schulwahlen in Oesterreich immer auch ein politischer Urnengang, der Aufschluß über die Stimmung unter der jungen akademischen Generation geben kann.

Wie kam es dazu? Die Antwort auf diese Frage enthüllt ein Kapitel jüngster österreichischer Geschichte.

Als Oesterreich 1945 wieder seine Selbständigkeit erlangte, wurden bekanntlich zuallererst von den Alliierten drei politische Parteien genehmigt. Entsprechend diesen drei Parteien bildeten sich auch an den Hochschulen

1945 zunächst drei Studentengruppen. Der „Verband sozialistischer Studenten“ und die „Kommunistische Studentengruppe“ bekannten schon durch inren Namen.die enge Bindung zu einer politischen Partei. Die von jungen aufgeschlossenen Katholiken gegründete „Freie österreichische Studentenschaft“ (FOeSt.) betonte dagegen stets ihre organisatorische Unabhängigkeit von der Volkspartei, mit der sie sogar einen Vertrag abschloß, in dem dig Volkspartei auf die Bildung einer Hochschulgruppe verzichtete. Im Herbst 1945 bildete die FOeSt. zusammen mit den sich nach und nach wieder sammelnden katholischen Korporationen — dem farbentragenden Cartellverband (OeCV), dem nichtfarbentragenden Kartellverband (OeKV) und den traditionalistischen „Oesterreichischen Landsmannschaften“ — die „Union österreichischer Akademiker“.

Im November 1946 warben diese drei Gruppen das erstemal um die Stimmen der Studenten. Der Wahlvorgang ist seit diesem ersten studentischen Urnengang mit kleinen Veränderungen derselbe geblieben: jede Fraktion stellt an allen Fachschaften der einzelnen Hochschulen Kandidatenlisten auf. Auf Grund des Wahlergebnisses werden die Fachschaftsausschüsse zusammengesetzt. Nach der gesamten Stimmenzahl einer Hochschule wird ihr Hauptausschuß gebildet und dessen Vorsitzender ermittelt. Die Vorsitzenden dieser Hauptausschüsse, seit einigen Jahren verstärkt durch die Vertreter einzelner, über eine bestimmte Zahl von Hörern hinausgehender Fachschaften und einige Zusatzmandatare bilden den „Zentralausschuß der österreichischen Hochschülerschaft“. Er ist die gesamtösterreichische Standesvertretung der Studenten. Der vom Zentralausschuß gewählte Vorsitzende war bis heute einem ungeschriebenen Gesetz zufolge stets der Vorsitzende des Hauptausschusses der OeH an der Universität Wien.

Aber zurück zu den Novembertagen des Jahres 1946, an dem die österreichischen Studenten zum ersten Male — für den Großteil von ihnen war es wirklich die erste Wahl ihres Lebens — zur Urne gingen Am 19. November

1946 entschied sich mehr als nur eine Studentenwahl. Kommunistische Demonstranten belagerten nämlich an diesem Tage die Universität Wien, drangen in das Gebäude ein, stürzten einen Studenten aus dem Fenster und attackierten andere schwer. Fünfzehn Studenten mußten an diesem Tage blutig geschlagen weggebracht werden. Nur die Besonnenheit der 'Studentenschaft verhinderte Aergeres zu einem Zeitpunkt, da die Wiener Polizei noch nicht von kommunistischen Einflüssen frei war. Allein das Ziel, eine Verhinderung der Wahl, wurde nicht erreicht. Am Abend des Tages, der ah allen österreichischen Hochschulen eine Wahlbeteiligung von 82 Prozent gesehen hatte, wurde offenbar: die österreichischen Studenten waren, belehrt durch den ihnen zuteil gewordenen Anschauungsunterricht, immun gegen jedes Werben des Linksradikalismus. Ganze 3 Prozent gaben ihre Stimme den Kandidaten der kommunistischen Studentengruppe. Die sozialistischen Studenten erzielten mit 4536 (21,7 Prozent) Stimmen einen Achtungserfolg. Unbestrittener Sieger des Tages aber war die Union österreichischer Akademiker: 15.654 (75,3 Prozent) aller Hörer an den österreichischen Hochschulen wählten die Kandidaten der Union, die somit die studentische Selbstverwaltung weitgehend übernahmen.

Im Jänner 1948 wählten die österreichischen Studenten das zweite Mal. Es war — verglichen mit der „Sturmwahl“ 1946 — ein ruhiger Urnengang. Die gleichen drei Gruppen warben wieder um Vertrauen, auch da? Ergebnis wa.i nicht wesentlich verschieden. Die Stimmenanzahl für die Union ging etwas zurück (70,3 Prozent), die sozialistischen Studenten holten mit 26,2 Prozent ein wenig auf, der Kommunismus blieb weiterhin auf dem Hochschulboden bedeutungslos: 3,4 Prozent wählten seine Kandidaten.

Noch einmal sahen wir das Dreigespann — Linion, Sozialistische Studenten, Kommunisten — bei den dritten Hochschulwahlen im Mai 1949 allein im Rennen. Daran änderte auch nichts, daß die kommunistische Studentengruppe auf Grund der ihr erteilten Lehren und einer allgemeinen Taktik folgend, diesmal und seither sich stets im Tarnhemd als „Verband demokratischer Studenten“ (VdS) vorstellte. 1949 stieg wieder ein wenig die Stimmenzahl der Union-Kandidaten (71,9 Prozent), und die ihrer sozialistischen Kollegen sank etwas zurück (24,4 Prozent). Bei den nun als VdS getarnten Kommunisten gab es nichts Neues: 3,6 Prozent. Das auffallendste Merkmal dieses Wahlgange war die rückläufige Wahlbeteiligung (68,4 Prozent) und das Anwachsen der ungültigen Stimmen: 2411.

Zwischen Mai 1949 und Jänner 1951, dem nächsten Termin der Hochschulwahlen, wurde das sogenannte Hochschülerschaftsgesetz rechtskräftig, das der österreichischen Hochschülerschaft den Charakter einer Körperschaft des öffentlichen Rechtes gab und auch einen festen Wahlturnus — alle zwei Jahre — festsetzte. Außerdem gab es den Studenten völlige Wahlfreiheit. Jeder Student sollte die Möglichkeit haben, bei Vorlage einer bestimmten Anzahl von Unterschriften zu kandidieren. Allein bei den Wahlen 1951 zeigte es sich, daß von dieser Möglichkeit wenig Gebrauch gemacht wurde. Einige Fachverbände schlössen sich mit der. Union zum „Wahlblock österreichischer Akademiker“ zusammen, an der Universität Wien kandidierte eine „Arbeitsgemeinschaft der Mediziner“ und auf der Akademie für bildende Künste sehr erfolgreich die „Namensliste Hanika“. Interessant aber war das Auftreten einer Gruppe, die sich in Wien „Stuwag“ (Studentische Wahlgemeinschaft), in Graz ,,BuS“ (Bund unabhängiger Studenten) und in Innsbruck „Freiheitliche Studenten“ nannte. Da sie von der Presse der Opposition auf den rechten Bänken des Parlaments unterstützt wurde und in ihren Wahlversammlungen viel von „Ehre. Freiheit, Vaterland“ sprach, wußte man bald, woher der Wind wehte: Das „nationale Lager“ trat wieder an die Oeffentlichkeit. Allein mit 62,12 Prozent behielt der „Wahlblock“ trotz scharfer Konkurrenz auch diesmal im Zentralausschuß die absolute Mehrheit. Ihm folgte, wie gewohnt, der „Verband sozialistischer Studenten“ mit 21,6 Prozent und erst an dritter Stelle mit 11,9 Prozent die Kandidaten der Stuwag. der BuS und der FS. Die Kommunisten verteidigten zäh ihre diesmal nicht ganz 3 Prozent. Die ungültigen Stimmen hatten abgenommen, 'der Rückgang der Wahlbeteiligung hielt jedoch weiter an. Auf der Hochschule für Welthandel in Wien gaben von 13 31 Hörern nur 666 ihre Stimme ab, an der Universität Innsbruck zeigten von 1739 nur 95 5 Studenten Interesse für die Wahl ihrer Standesvertretung.

1953 war es wieder so weit. Die letzten beiden Arbeitsiahre waren damals für die Studentenvertreter des ,,Wahlblocks“ besonders schwer gewesen. Aus der anfänglichen Arbeitsgemeinschaft aller studentischen Fraktionen zogen sich die Sozialisten zurück. Die Erhöhung der Studiengebühren durch das von einem dem ,.Wahlblock“ nahestehenden Minister geleitete Unterrichtsministerium erwies sich als schwere Hypothek. Dazu kam, daß sich das „nationale Lager“ auf Hochschulboden im „Ring freiheitlicher Studenten“ geeinigt hatte und eine lebhafte Agitation zur Wiedererlangung der einstmals dominierenden Stellung entfaltete.

Dieser Traum erfüllte sich nun doch nicht. Immerhin verlor der „Wahlblock“ bei den Jännerwahlen 1953 erstmals die absolute Mehrheit im Zentralausschuß, wo er freilich mit 49,4 Prozent die unbestrittene Führung behielt. Mit 32,1 Prozent hatte die nationale Fraktion einen unbestreitbaren Bodengewinn erzielen können; sie war an die zweite Stelle aufgerückt. Der „Verband sozialistischer Studenten“, für den diesmal nur 16,7 Prozent gestimmt hatten, mußte sich mit dem dritten Platz begnügen. Besonders bemerkenswert war der Vorstoß der auf die Burschenschaften gestützten national-liberalen Kräfte an der Technischen Hochschule in Graz und an der Tierärztlichen Hochschule in Wien. Die anderen Hochschulen, allen voran die Universität Wien — nach wie vor das unbestrittene Zentrum des studentischen Lebens in Oesterreich — hielt dem ..Wahlblock“ die Treue.

In dieser Situation schien es angebracht, den „Ring“ mit in die Verantwortung einzubeziehen. Hier sollte den gemäßigteren Elementen die Möglichkeit zur Entfaltung geboten werden. Allein gerade verschiedene Vorfälle der letzten Zeit zeigen, daß sich diese Hoffnungen nur zum geringen Teil erfüllt haben. Ein anachronistischer „Deutschnationalismus“ wird von vielen Wortführern des „Ringes“, wo immer es geht, lautstark vertreten.

Am 27. Jänner werden die österreichischen Studenten wieder ihre Standesvertretung wählen. Da dem sozialistischen Einfluß unter den Hochschülern feste Grenzen gesetzt sind, wird sich die Auseinandersetzung hauptsächlich zwischen dem „Wahlblock“ und dem „Ring“ abspielen.

Das österreichische Volk hat bei den letzten Wahlgängen den radikalen Parteien eine entschiedene Absage erteilt. Es wird sich zeigen, ob die heranwachsende akademische Generation mit dieser Entwicklung Schritt hält.

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