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„Demaskierte Talare“

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Es ist nicht unwesentlich, bei aillen akademischen Ereignissen deren sehr breite historische, von Altvätern übernommene, vielleicht sogar mit Mythen behaftete Entwicklung au beachten. Um diesem Brauch nicht unvermittelt Abbruch zu tun, sei mir gestattet, angesichts der Wahl Seiner Magnifizenz des neuen Rektors der Historie in die Vergangenheit zu schauen.

Anno 1968, im November, arbeitete das Kontaktkomitee an der Universität Wien (es besteht zu gleichen Teilen aus Professoren, Assistenten und Studenten) einen Vorschlag aus, wie in Zukunft eine Rektorswahl unter Beteiligung der Studenten denkbar wäre. Dieser einstimmig beschlossene Vorschlag des Kontaktkomitees wurde dem Akademischen Senat übermittelt, der daraufhin bis heute sprachlos blieb ... Anno 1969, im Jänner, hatte die designierte Magnifizenz, Professor Zerbst, die Freundlichkeit, mit dem Fachschaftsleiter der evang. Theologen, Herrn Scrioar, ein Gespräch zu führen, in dem er genau erklärte, wie er sich die Inauguration vorstelle, sollte er Rektor werden. „Er wolle eine Inauguration in zwei Teilen: den ersten Teil hochoffiziell, vor allem für die Finanz. Hier sollen die Leute animiert werden, für diese so gute Universität zu zahlen. Der zweite Teil der Inauguration sei für die Studenten, aber ohne die beim ersten Teil anwesende Öffentlichkeit bestimmt. Hier könnten die Studenten reden, hier könnten sie mit dem Rektor diskutieren. Weiters habe Professor Zerbst darauf hingewiesen, daß das Rektorat gar nicht so erstrebenswert sei. Man bekomme nicht allzuviel bezahlt, und die Frau brauche viele Kleider für die Empfänge, und er selbst habe keinen persönlichen Ehrgeiz, Rektor zu werden.“

Anno 1969, im Mai: Es fand das für Studenten schöne (weil vorlesungsfreie) und für Professoren schöne (weil mit einer Dampferschiffahrt verbundene) Ereignis des Rektorsitages statt. Und an den Ufern der Wachau vorbeigleitend, konnte man erfahren, daß Professor Zerbst als der Kandidat für das nächste Rektorat feststand. Und dann ging es Schlag auf Schlag: Ende Juni entschlossen sich die Studenten, einen Rektor zu wählen und an das Wahlmännerkollegium heranzutreten, diesem Professor bei ihrer Wahl ebenfalls das Vertrauen zu schenken. Mit mehreren Kandidaten wurde diskutiert, am 26. und 27. Juni fand die Wahl statt: Sicher, manches war dabei improvisiert. Aber rund 3000 Stimmen, die sich mit überwältigender Mehrheit gegen Prof. Zerbst und für einen anderen Professor der theologischen Fakultät aussprachen, können nicht „herbeigezaubert werden“.

Durch die Indiskretion eines Mitgliedes des Wahlmännerkollegiums erfuhren die Studenten, daß das Kollegium am Montag, dem 30. Juni, um 8 Uhr 15 zusammentreten werde. Nicht nur, daß vor den Studenten der Wahltermin geheimgehalten wurde, nicht einmal die Fakultäten und auch nicht die bereits gewählten Wahlmänner haben den Tag ausreichende Zeit vorher genannt bekommen. Auch nicht den Kandidaten wurde gesagt, welcher Tag vorgesehen sei, mit der Begründung, am Telephon könne man das nicht sagen, denn im Zimmer seien andere Leute, die das nicht wissen dürfen.

Es wurde also in der Nacht von Freitag auf Samstag die Stimmenzählung der studentischen Rektorswahl abgeschlossen. Das Ergebnis wurde von allen Mas-

senmedien fleißig verbreitet. Nur: Samstag war das Rektorat geschlossen. Nur: Sonntag war das Rektorat geschlossen. Nur: Am Montag wählten die Wahlmänner von 8 Uhr 15 bis 8 Uhr 30. Es gab also sichtlich keine Diskussion.

(Warum sollte man denn noch einmal über Dinge reden, die bereits anläßlich der Dampfschiffahrt zu Ehren des Rektors klar waren!) Und außerdem: da die Studenten „ihren“ Kandidaten nicht offiziell bekanntgeben konnten, wurde er auch nicht als Kandidat in Betracht gezogen. Die kleinen Dinge am Rande, wie Geheimhaltung und geschlossenes Rektorat, das sind doch Nebensächlichkeiten. Hauptsache: Habemus Papam! Der Rektor jedoch, als Repräsentant einer Hochschule, kann nicht unter Ausschaltung von Gruppen gewählt werden, die sich in immer stärkerem Maße ihrer Verantwortung bewußt werden, die sie als Träger und Mitgestalter der Hochschulen gegenüber der Öffentlichkeit haben. Eine der vielen Ursachen, mit denen die Radikalisierung der Studenten erklärt wird, ist die, daß dem zu wiederholten Malen und eindeutig formulierten Wunsch der Studenten nach Mitbestimmung zuwenig Möglichkeiten der Konkretisierung geboten werden. Die nach dem fast schon zur Maxime gewordenen Satz „Was das Gesetz nicht ausdrücklich erlaubt, ist in der Demokratie verboten“ vorgenommene Abweisung studentischer Reformvorschläge, die so einer experimentellen Prüfung entzogen werden, wird von einer politisierten Studentenschaft als Bestätigung radikaler Gesellschaftstheorien erlebt. Dieses am eigenen Arbeitsplatz erlebte Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit führt allerdings nicht nur zu einer Radikalisierung, das heißt Konzentrierung auf das Grundsätzliche, sondern auch zu einer zeitweiligen Abkehr von politischer Tätigkeit. Durch diesen Rückzug ins Privatleben suchen sich vor allem jene Studenten vor weiteren Enttäuschungen zu schützen, denen die unmittelbare Veränderung des tagtäglich erlebten Studienbetriebes Hauptziel ihrer Reformbestrebungen ist.

Es ist bedauerlich, daß seitens der Professoren unsere zu fruchtbarer Zusammenarbeit ausgestreckte Hand zurückgewiesen wurde. Ich kann als Vorsitzender der österreichischen Hochschülerschaft nicht abschätzen, ob diese Haltung der Professoren bei den Studenten eine Radikalisierung oder eine Abkehr von politischer Tätigkeit initiieren wird. Sollte sich die Haltung der Professoren bis zum Herbst nicht entscheidend ändern und sollte sich die Studentenschaft auf den Weg der Radikalisierung begeben, sehe ich keine Möglichkeit, seitens der ÖH zu verhindern, daß Taten gesetzt werden, die die studentischen Aktivitäten anderer Länder kennzeichnen.

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