6738400-1966_31_06.jpg
Digital In Arbeit

Eine suchende Jugend

Werbung
Werbung
Werbung

Wäre es nicht an den Professoren, diesen „ohnmächtigen Versuch“ ernst zu nehmen? Nach meinen persönlichen Erfahrungen mit den Berliner Studenten tot ihr Bestreben, die politische Entmündigung des einzelnen aufzuhalten und ein kritisches Bewußtsein zu schaffen, durchaus ehrlich gemeint und entsprechend ernst zu nehmen. Diese Studenten sind, von einer völlig verschwindenden Minderheit abgesehen, alles andere als linksradikale Revoluzzer. Als auf der erwähnten Junidemonstration einmal klassenkämpferische Töne angeschlagen wurden, gab es sogleich laute Buhrufe und Zischen, und eine eindeutige Mehrheit setzte durch, daß die ursprünglich etwas radikal formuliere Schlußresolution erheblich „gemildert“ wurde. Diese Jugend ist kritisch und skeptisch, sie ist wach und reagiert äußerst empfindlich auf autoritäres Verhalten, Elitedenken, politische Irrationalismen und hochtrabende politische Ideologien, die durch die Wirklichkeit dementiert werden. Es herrscht ein allgemeiner Ideologieverdacht vor, der diese akademische Jugend auch davon abhält, sich — von unbedeutenden Ausnahmen abgesehen — vorbehaltlos zum Marxismus zu bekennen. Es ist eine suchende Jugend, deren Leitbild eine demokratischere und sozialere Demokra-

tie ist. Und vor allem: es i®t eine ansprechbare Jugend. Da, wo sie sich ernst genommen und verstanden fühlt, klappt das Verhältnis zwischen Professor und Studenten ausgezeichnet. Zwar wird — glücklicherweise — in Seminaren und Übungen den Dozenten oft entschieden widersprochen, aber mir ist es während eines ganzen Semesters kein einziges Mal passiert, daß sich dabei ein Student auch nur im geringsten dm Ton vergriffen hätte. Auch die Junidemonstrationen an der FU — von 15 bis 1 Uhr! — vollzogen sich in erstaunlich disziplinierter Form. Diese akademische Jugend ist gegen Nationalismus und Militarismus, überhaupt gegen alles, was Staat und Gesellschaft mit Irrationalem vermengt. Wer an dieser Jugend so heftige Kritik übt, wie dies von seiten gewisser Professoren geschieht, dem muß man die Frage stellen: Soll die deutsche Jugend denn wieder Schaftstiefel und Uniformen anziehen und SA-Lieder gröhlend jüdische Geschäfte anzünden? Ich kann auf Grund meiner eigenen Erfahrung mit dieser Jugend nur saigen: Eine bessere Jugend hat Deutschland sehr wahrscheinlich noch nie gehabt Einer Minderheit von Professoren jedoch scheint es schwerzufallen, mit dieser Jugend in Kontakt zu kommen. Wenn es nach Karl Jaspers Grundsatz der Demokratie ist, „Vertrauen zum Volk“ zu haben, dann wird diesem Grundsatz, was das Volk der Studenten anbelangt, offenbar von einer Minderheit von Professoren nicht nachgelebt. Noch weit weniger dem weiteren Grundsatz, wonach Demokratie Diskussion ist. Wie schwer scheint es doch einem gewissen Typ des deutschen Professors zu fallen, mit Studenten — die doch immerhin wahlberechtigte Staatsbürger sind — von gleich zu gleich zu diskutieren, ohne sich sogleich aufs hohe Roß der Unfehlbarkeit zu setzen. Da erschien im „FU-Spiegel“ eine im Ton durchaus nüchterne, zurückhaltende Kritik an einer Vorlesung, an der sachlich allerdings einiges ausgesetzt wurde. Der betreffende Professor reagierte darauf mit diesen Worten: „Das ebenso arrogante wie wissenschaftlich ahnungslose Produkt Ihres anonymen Schmierfinken richtet sich selbst — daß die Redaktion die erschreckede Gewissenlosigkeit besitzt, wegen der dummen Eitelkeit eines feigen Anonymus andere Studenten der geradezu beleidigenden Verdachtsgefahr auszusetzen, womöglich Urheber dieser .Expertise“ zu sein, stelle ich mit Abscheu fest.“ Begreift man das Verhalten der Berliner Studenten nicht besser, wenn man diese Zeilen eines Ordinarius der FU liest?

Noch etwas ist zu sagen. Eine aktive Minderheit von Professoren kämpft für eine „Entpolitisierung“ der Universität. Der Geist soll also wieder einmal von der „schmutzigen Politik“ getrennt werden. Aber hat man denn tatsächlich vergessen, daß eben diese Trennurtg entscheidend mitverantwortlich dafür war, daß so unfaßbar viele deutsche Professoren beim Ausbruch des ersten Weltkrieges „Hurra!“ riefen und später in ihrer politischen Blindheit auf den größten politischen Verführer aller Zeiten hereinfielen? Sind Thomas Manns „Betrachtungen eines Unpolitischen“ nicht für alle Zeiten ein Mahnmal, nie wieder zu jener Unpolitik zurückzukehren, die immer nur reaktionäre Politik ist, da sie das — von den Studenten geforderte — kritische Bewußtsein nicht entwickelt und das politische Mündigwerden sabotiert?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung