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Streit um die FU

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Weniger denn je sind die Universitäten heute elfenbeinerne Türme, in die der Geist sich aristokratisch aus den Niederungen der Gesellschaft zurückziehen könnte. Mehr denn je isit das Leben der Universität mit dem Leben der Gesellschaft — und das heißt, nolens volens auch mit dem politischen Leben — verwoben. Dieser Sachverhalt manifestiert sich kaum irgendwo so deutlich wie in der nun schon seit Jahren schwelenden Krise der Freien Universität (FU) Berlin. Was gerne als weitgehend lokal bedingter akademischer Sonderfall aufgefaßt wird, ist in Wahrheit ein Symptom einer allgemeinen Gesellschaftskrise, die keineswegs nur auf die deutsche Gesellschaft beschränkt ist, sondern mehr oder weniger ausgeprägt die gesamte „westliche“ Gesellschaft charakterisiert.

Ersatzrevolution?

Der Hekor der FU, Prof. Hans- Joachim Lieber, meinte nach den jüngsten Auseinandersetzungen zwischen Studentenschaft und Senat sinngemäß, die Studenten versuchten jene Revolution der gesellschaftlichen Verhältnisse, die in der Gesellschaft selbst durchzuführen ihnen nicht möglich sei, innerhalb der Ersatzgesellschaft der Universität zu verwirklichen. Damit ist die eine studentische Seite des an der FU herrschenden Malaise formal treffend charakterisiert. Aber eben nur die eine Seite. Nicht nur der politisch engagierte Teil der Studentenschaft — eine Minderheit von bestenfalls einem Fünftel aller Studierenden —, sondern auch eine aktive Minderheit der Professorenschaft scheint die Universität als Ersatzgesellschaft zu betrachten, in der man zu verwirklichen sucht, was in der Gesellschaft als solcher zu verwirklichen einem verwehrt ist. Bloß, daß es diesen Professoren nicht um Revolution, sondern um die Restauration einer wesentlich autoritären, obrigkeitsstaatlidhen Ordnung zu gehen scheint. So üben sich die aktiven Minderheiten unter Studenten und Professoren im Sandkasten der

Universität in Strategie und Taktik eines politischen Kampfes, der gelegentlich von beiden Seiten als eine Art „Klassenkampf“ aufgefaßt und geführt wird. Entscheidend ist das „von beiden Seiten“, denn mit der leider üblichen einseitigen Verketzerung der Studenten, die links radikal verseucht seien, die Straße mobilisieren wollten und bloß nach Macht hungerten, wird weder das Wesen der FU-Krise noch die Rolle der Studenten in ihr erkannt. Das kämpferische Verhalten der aktiven Studentenminderheit ist wesentlich eine Reaktion auf zum Teil recht fragwürdige Maßnahmen oder Verhaltensweisen der Professorenschaft, ja, man muß sich sogar fragen, ob die FU-Krise — auch darin wäre sie ein Spiegelbild der allgemeinen Gesellschaftskrise — nicht weit eher ein Professoren- als ein Studentenproblem ist, und das heißt eben ein Problem der älteren Generation.

Nun ist bekanntlich die reichlich „feudalistische“ Struktur der Universitäten an der FU durch das sogenannte „Berliner Modell“ bis zu einem gewissen Grade demokratisiert worden. Und gerade weil in Berlin den Studenten gewisse demokratische Selbstbestimmungsrechte eingeräumt wurden, hat hier die allgemein latente Hochschulkrise eine solche Zuspitzung erfahren. Einerseits untergräbt das Berliner Modell die traditionelle Selbstherrlichkeit des deutschen Professors, was einige Professoren schon psychisch nicht ertragen zu können scheinen und bei politisch zur Rechten neigenden Professoren das obrigkeitsstaatliche Erbe reaktiviert und sie nach autoritären Maßnahmen rufen läßt. Anderseits werden die engagierten Studenten durch das Verhalten dieser Professoren gelegentlich dazu provoziert, eine Erweiterung ihrer demokratischen Rechte zu verlangen, die insofern problematisch wäre, als die Universitäten schließlich Lehrgemeinschaften sind, in denen eine gewisse „Lehrende-Ler- nende-Hierarchie" gewahrt bleiben muß.

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