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Weniger oder mehr Politik?

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Aber hinter diesem Kampf um Abschaffung oder Erweiterung des Berliner Modells verbirgt sich die letztlich vielleicht entscheidende Auseinandersetzung um die Frage: „Politisierung oder Entpolitisierung der Universität?“ Der engagierte Teil der Studentenschaft kämpft für eine engere Verbindung zwischen Universität und Politik, wobei nicht etwa Panteipolitik, sondern an die großen Fragen der Innen- und Außenpolitik gedacht und unter „Politik“ vor allem die Schaffung eines politischen Bewußtseins verstanden wird. Man darf nicht vergessen, daß diese Studenten kurz vor oder nach dem Ende des zweiten Weltkriegs geboren wurden. Sie sind die Kinder einer Generation von politischen Versagern oder Schuldigen. Sie sind die Erben der

„unbewältigten Vergangenheit“. Muß man da gleich Linksradikalismus und Machtstreben wittern, wenn diese Jugend die katastrophalen Fehler ihrer Väter nicht wiederholen und sich rechtzeitig politisch bilden und engagieren will? Viele ihrer Professoren haben das Alter ihrer Väter, einige haben auf üble Weise den Nationalsozialismus unterstützt, andere sind so mitgelaufen: ist es da nicht mehr als verständlich, wenn diese Jugend der Professorenschaft zunächst einmal mit Skepsis begegnet und auf jedes autoritäre Verhalten eines Professors mit doppelter Empfindlichkeit reagiert? Die Forderung einiger Professoren nach Entpolitisierung der Universität empfinden diese Studenten mit Recht als Versuch, sie politisch zu entmün digen, und zwar von seiten derer, die politisch so eklatant versagt haben wie die Generation ihrer Väter. Auf der großen Demonstration der FU-Studentenschaft im Juni wandte man sich wiederholt gegen den „wilhelminischen“ Geist einiger Professoren, und es wurde die Frage gestellt: „Sind denn Professoren, die in der Hitler-Zeit politisch so sehr versagt haben, politisch tatsächlich reifer als wir Studenten?“ Was die Studenten am Verhalten einiger Professoren, die sich in der Auseinandersetzung mit der Studentenschaft besonders engagieren, erleben, ist eben jener Geist einer zu autoritären Formen zurückdrängenden Restauration, der sie der Entwicklung der Bundesrepublik als solcher schreckt. Der ASTA-Vorsitzende Knut Nevermann meine in seiner Rede auf der Immatrikulationsfeier, die den Senat zum Fernbleiben veranlaßt hatte, die Vorfälle an der FU seien Symptome für „die Verfestigung hierarchischer Strukturen, die Zurückdrängung der Impulse der Nachkriegszeit, wie sie sich in der Konzeption, einen sozialen und demokratischen Rechtsstaat aufzubauen, niederschlugen“. Und dann sagte er das Entscheidende: „Auf diesem Hintergrund müßte die politische Tätigkeit der Studenten verstanden werden, die man so oft als .Ruhestörung1, als .Politisierung“ und .Radikalisierung“ abzuqualiflzie- nen sucht, nämlich als ohnmächtiger Versuch, die Entmündigung des einzelnen aufzuhalten und ein kritisches Bewußtsein zu schaffen.“

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