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Vom akademischen Boden

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In der letzten Woche ereignete sich auf dem Hochschulboden ein schönes Beispiel für den Aufbauwillen der neuen Studentengeneration. Das nach der Befreiung unseres Landes geschaffene Provisorium in der Führung der Demokratischen Studentenschaft wurde im Hinblick auf das Ergebnis der Wahlen vom 25. November 1945 in eine gewählte Hochschulführung umgewandelt. Während früher nach dem Muster der politischen Öffentlichkeit der Drei-Parteien-Schlüssel angewandt worden war, der Hodi-schulführer aber als unpolitisch galt, wurden jetzt die Führung und die wichtigste*! Referate von der Freien österreichischen Studentenschaft besetzt. Die Leistung, die der frühere Studentenführer Wengraf bis zum Übergang in einen normalen Zustand vollbracht hat, soll nicht vergessen werden. Zwei Tage nach dem Zusammenbruch des nazistischen Regimes betrat er, mit der Bevollmächtigung der österreichischen Widerstandsbewegung ausgerüstet, die Universität. Es gelang ihm zuerst, die Alma mater, später auch die anderen Hochschulen, zuletzt das Haus. Koliftgase 19, in dem sich die demokratische Studentenführung befindet, in sichere Hand zu übernehmen. Nicht zuletzt durch seine Initiative vermochten die Professoren in kürzester Frist an den Wiederaufbau des akademischen Lebens zu gehen, sodaß in der schwergetroffenen Hauptstadt das erste Semester in verhältnismäßig kurzer Zeit seinen Anfang nehmen konnte. Dit. Referate, die geschaffen wurden, befaßten sfth mit Eer Uberprüfung 3er emzemen Studenten und mit der Aufnahme und Unterbringung der ausländischen Studierenden, von denen über tausend an der 'Wiener Universität verblieben waren; ein Kultur-leferat schuf ein Studio, in dem heute bereits englische, französische, italienische und deutsche dr a-matische Stücke in erstaunlich guter Darbietimg aufgeführt werden. Auch cfie ersten Verbindungen zum Ausland wurden angebahnt; eine Delegation ging zum Studentenkongreß nach Prag. Der Austausch mit Schweizer Studenten wurde eingeleitet und Studentendelegationen aus den Balkanländern auf Wiener Boden empfangen. Es ist nur recht und billig, daß man zum Abschluß der Tätigkeit des provisorischen Studentenführes ihm für die unter den schwierigsten Umständen geleistete Arbeit Anerkennung ausspricht.

Der Jungakademiker L e u t g e b hat nach erfolgter Wahl im Auftrage der FÖSt als

3er stärksten Fraktion 3er Studentenschaft die Leitung der demokratischen Studentenschaft übernommen. Das Programm, das die Freie österreichische Studentenschaft skh gestellt hat, verspricht das Universitätsleben mit einer neuen gesunden Durch-geistigung zu durchdringen. Sie fordert ein klares Bekenntnis zu Österreich und nicht nur des Österreichs der Jahre 1918 und 1945, sondern des aas langer geschichtlicher Tradition gefundenen Kulturbegriffs in Europa. Die Kräfte eines angehen dielten praktischen Christentums sollen helfen, dem Ziele näher zu kommen. In diesem Geist will die FÖSt auch versuchen, allen jenen Akademikern, bei denen durch die Ungunst der Nachkriegszeit das Studium gefährdet erscheint, jede mögliche Unterstützung angedeihen zu lassen; ebenso tritt sie für die Rechte der Kriegsversehrten ein.

Von kleinen Reibungen und Obergriffen einzelner Brauseköpfe abgesehen, verläuft das politische Leben innerhalb 3er Studentenschaft fn normalen Bahnen. Verschwunden sind die farbentragenden Studenten. Es ist daher der Primatder Aufbauarbeit, der nicht nur cfie FÖSt, sondern auch die anderen Gruppen innerhalb der demokratischen Studentenschaft vor allem beschäftigt. Das sieht man auch in den erscheinenden Zeitungen. Die „A kademische Rundscha n“, die das Blatt aller drei Gruppen ist, nimmt mutig tm allen Gegenwartsproblemen Stellung. Der „Student“ ad der „Strom“ geben durch ihre Parteikolorite den einzelnen Fragen politische Färbung. In diesem Fall macht auch eine maßvolle Polemik nichts aus, in rechter Form kann sie fördernd wirken. Verhindert muß unter allen Umständen werden, daß der Akademische Boden wieder das Feld wüster Parteiauseinandersetzungen und Ausgangspunkt politischer Abenteuer wird. Die Aula soll immerfort Raum echten akademischen Wesens sein.

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