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Der Tod Benno Ohnesorgs

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Den Siedepunkt brachte der Besuch des persischen Schah. Vor der Deutschen Oper Berlin, die von den persischen Gästen aufgesucht wurde, kam es zum bislang härtesten Zusammenstoß zwischen demonstrierenden Studenten und der Berliner Polizei. Der Student Benno Ohnesorg — gelernter Dekorateur, Abiturient des Zweiten Bildungswegs, jung verheiratet, von seinen Lehrern als still, klug und fleißig gerühmt — wurde von einem Polizisten aus bislang ungeklärten Motiven erschossen. Benno Ohnesorgs Tod wurde zum Zeichen für den allgemeinen Aufstand. Verhängte der Senat von Berlin auch ein allgemeines Demonstrationsverbot, so verhinderte er doch nicht, daß etwa 20.000 Studenten dem getöteten Kommilitonen auf einem vierstündigen Weg durch Berlin das letzte Geleit, sahen. Noch Wochen darnach fahren Studenten in Autos durch die Stadt, denen die Forderung nach dem Rücktritt des Regierenden Bürgermeisters aufgeklebt ist Berlins großer Boulevard, der Kurfürstendamm, war tage- und nächtelang von Diskussionsgruppen erfüllt: Studenten bemühten sich, der Bevölkerung ihre Haltung zu erläutern. Ein junger Theaterwissenschaftler lud alle Mitbewohner seines Hinterhauses im Arbeiterbezirk Wedding zum Kaffee ein, um ihnen von den Sorgen der Studenten zu berichten.

Das große Mißtrauen

Das Mißtrauen hatte sichtbaren Grund: West-Berlins Zeitungen, voran die vier Zeitungen des Verlagshauses Axel Springer, hatten sich zunächst einhellig gegen die Studenten gewandt. Ihr Informationsgeber war freilich meist die Pressestelle der Polizei.

An der Freien Universität im Vil-lehvorort Dahlem herrschte derweilen Revolutionsatmosphäre. Professoren begannen, sich mit der Studentenschaft zu solidarisieren; Diskussionsveranstaltungen riesigen Ausmaßes lösten einander ab; die Vervielfältigungsmaschinen liefen durch den Tag, durch die Nacht, durch den Tag und produzierten Flugblätter; der Vorsitzende des Allgemeinen Studentenausschusses brach über den Anstrengungen zusammen.

Der Riß zwischen den Studenten und der Gesellschaft in Berlin wird schwer zu kitten sein. Zahlreiche Prozesse und die öffentlichen Sitzungen eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses, der mit der Aufklärung der schweren Zusammenstöße vor der Deutschen Oper beauftragt ist, werden • den Studentenunmut allein nicht besiegen. Er schwellt weiter und- eskaliert inzwischen zu verbissenem Trotz: Studentische Mitglieder von Disziplinarausschüssen an der Freien Universität, in denen derzeit gegen eine Reihe aufständischer Studenten verhandelt werden soll, traten unlängst zurück und legten damit die Ausschüsse lahm. Während der Senator für Wissenschaft und Kunst mit der Staatsaufsicht über die Universität droht, haben sich die Gremien der Studentenvertreter schon wieder neuen Tätigkeiten zugewendet: Sie wandten sich unter anderem an alle vier Besatzungsmächte und baten darum, eine Übernahme der derzeit in Bonn beratenen Notstandsgesetze für West-Berlin zu verhindern, denn diese Gesetze würden die freiheitliche, demokratische und rechtsstaatliche Ordnung in Berlin „endgültig auch legal beseitigen“.

Versuche eines Brückenschlages

Ein ehemaliger AStA-Vorsitzen-der an der FU, Knut Nevermann, hat die Aktivitäten der Studentenschaft einmal so beschrieben: „Wir kämpfen gegen die Restauration des deutschen Bildungswesens. Wir kämpfen gegen Schulen und Universitäten, die den Typ des Angepaßten produzieren, den Opportunisten belohnen und die Entfaltung kritischen Bewußtseins verhindern.“

Dieses Zitat wurde unlängst von Schulsenator Carl-Heinz Evers aufgenommen: „Ich identifiziere mich mit dieser Äußerung“, bekannte er. Sie stelle eine Aufforderung dar, aus der Forderung nach Modernisierung und Demokratisierung des Bildungs-wesens praktische Tagespolitik zu machen. „Nur wenn uns das gelingt, werden wir die Flucht isolierter Studentengruppen in radikale Utopien ebenso verhindern können wie die Ausflucht in Restriktion und Polizeigewalt.“ Aber der Schulsenator scheint im Kreis der Westberliner Politiker vorerst noch ein einsamer Mann zu sein.

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