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Die Karrieristen-Generation

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Im Bemühen, die typische Haltung des heutigen Studenten zu definieren, hat sich ein neuer Ausdruck durchgesetzt, ein einziger bisher: „Neuer Pragmatismus“. Autoren zu diesem Thema verwenden gelegentlich auch d^n Begriff „Personalis. mus“, womit sie die Verfolgung persönlicher Ziele meinen, und in diesem Sinne werden die Studenten mitunter auch summarisch als „Karrieristen“ bezeichnet.

Wie immer dem auch sei, die amerikanische Studentenschaft in der Mitte der siebziger Jahre steht im scharfen Gegensatz zu den Vorgängern, die gegen Ende der sechziger Jahre die Wellen von Demonstrationen der „Studentenmacht“ und von „aktivistischer“ Gewalt auslösten. Die Gegnerschaft gegen den Vietnamkrieg hat sich überlebt, die Bürgerrechtsbewegung hat Erfolge erzielt, viele der studentischen Forderungen nach Lehrplan- und Verwaltungsreformen sind Inzwischen erfüllt worden.

Inflation und Rezession sind in den USA harte Tatsachen, deren Folgen auch die Studenten sehr wohl zu spüren bekommen, in Form von stark gestiegenen Studienkosten, Lehrplaneinschränkungen und weniger Stellenangeboten. Wegen dieser Probleme hat es schon einige Studentendemonstrationen gegeben, aber die Teilnehmer verhielten sich gemäßigt und ruhig.

In einer eingehenden Untersuchung schrieb hiezu die Zeitung „The Christian Science Monitor“: „Das Pendel schwingt zurück zu ruhigeren, ausgeglicheneren Zeiten, als Tradition und akademisches Leben noch etwas galten. An immer mehr. Universitäten - im ganzen .Land < beginnen Studenten wieder mehr zu büffeln.“

Ein Dekan der Syracuse Univer-sity im Bundestaat New York bemerkte: „Mir kommt die neue Stimmung introvertiert und introspektiv vor.“ Ein Student meinte unter Hinweis auf die veränderte Atmosphäre an den Universitäten: „Vor vier oder fünf Jahren wollte noch jedermann die Welt verändern. Heute versuchen sie, sich selbst zu ändern.“

Die Zunahme des Werkstudenten-tums untermauert die Theorie von der veränderten Stimmung. An der berühmten Stanford Universität in Kalifornien zum Beispiel haben jetzt mehr als die Hälfte aller Studierenden einen Job. Fast alle Hochschulen haben inzwischen in ihre Lehrpläne Berufsschulungskurse mit Teilzeitbeschäftigung aufgenommen. Es geht hiebei aber keineswegs nur ums „Geldmachen“, sondern sehr wesentlich um Selbsterfüllung und Zufriedenheit in der Arbeit.

Was die hauptberufliche Orientierung anbelangt, so zeigt eine statistische Untersuchung bei Studenten des ersten Semesters, daß das Interesse für Medizin und Jus zwar nach wie vor stark ist, aber doch etwas nachgelassen hat, unverändert ist das rege Interesse für Bodenkultur, Forstwirtschaft, Welthandel und Biologie.

Die Studenten interessieren sich heutzutage sehr für Kortsumenten-und Umweltschutz; viele machen daraus einen Nebenberuf und manche sogar ihren Hauptberuf. Vor vier Jahren wurde die National Student Lobby (NSL) gegründet, um Kongreßabgeordnete in Washington und Mitglieder der Parlamente der einzelnen Bundesstaaten von der Berechtigung wirtschaftlicher Forderungen der Studentenschaft zu überzeugen. In dieser Lobby sind nicht weniger als 229 studentische Verwaltungen aus allen Teilen des Landes vertreten.

Eine andere einflußreichere Organisation der Studenten ist mit Ralph Nader, dem bekannten Konsumentenschützer, und dessen „Aktionsgruppe der Bürger“ (Citizens Action Group) ein Bündnis eingegangen. Seit 1971 unterstützen mehr als eine halbe Million Studenten die Arbeit der in 21 Bundesstaaten bestehenden Public Interest Research Groups (PIRG), die Schwerpunkte des öffentlichen Interesses erkunden und diesen gerecht zu werden trachten. Die Gruppen befassen sich mit Anliegen der Konsumenten, mit Umweltproblemen und politischen Fragen. Sie arbeiten Gesetzesentwürfe aus und setzen sich für deren Verabschiedung ein; vor bundesstaatlichen oder lokalen Instanzen bringen sie gerichtliche Klagen in Gang; sie unterstützen die Arbeit städtischer Beschwerdestellen. Die Unterstützung hauptamtlicher Stellen durch ihre auf Sozialreformen ausgerichtete Arbeit gibt den Studenten ein Gefühl der Kontinuität ihrer Aufgabe.

Jobs und das liebe Ego sind also nicht unbedingt das Um und Auf des US-Studenten. Ein Vizekanzler der Universität von Kalifornien meinte: „Der Idealismus ist nach wie vor da, aber die Vorgangsweise ist jetzt gewaltlos.“ Ein vor den Abschlußprüfungen stehender Psychologiestudent im einst besonders unruhigen Berkeley-Campus dieser Universität sagte dazu: „Die meisten Leute hier fragen sich, was eigentlich mit dem Aktivismus erreicht wurde. Jetzt sind die meisten von uns auf der individuellen Suche nach Sinn.“

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