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Studentische Jugend in sozialer Aktion

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In der durch überkommene Einseitigkeiten bedingten geistigen, politischen und gesellschaftlichen Krise unseres Kontinents bricht sich unter den Denkenden eine Erkenntnis immer klarer die Bahn: nur wenn wir die menschliche Persönlichkeit wieder in ihrer ursprünglichen Beziehung zum übernatürlichen und in ihrer natürlichen Verbundenheit an die Gesellschaft erkennen und durch unser Handeln vorbehaltlos anerkennen, vermögen wir den Weg in eine lichtere Zukunft zu finden. Unter diesem Gedanken stand die vor kurzem im Schloß Traunsee bei Gmunden abgehaltene Sozialtagung der katholischen Weltstudentenorganisation ,Pax Romana“. Die Frage nach der Erreichung des Zieles und die Verwertung der bisherigen Ansätze bildete den Mittelpunkt der Referate, der Berichte aus den einzelnen Ländern und sprach aus den oft sehr lebhaften Erörterungen der Teilnehmer.

Uber die soziale Betätigung der katholischen Jungakademikerschaft in Europa hat man bisher nicht allzuviel gehört, und doch verdient dieses Suchen nach neuen Wegen die Beachtung weitester Kreise. Die Studenten, die heute in ihren Schulungen um das soziale Verständnis ringen und im Rahmen ihrer Möglichkeiten ihr soziales Wissen in der sozialen Tat verwerten wollen, stehen wahrscheinlich morgen im europäischen Geistesleben in vorderster Linie. Schon der Umstand, daß sich Studentenvertreter aus fünfzehn europäischen Nationen zu einer internationalen sozialen Schulungswoche zusammenfanden, bedeutet einen wesentlichen Fortschritt. Denken wir doch einmal einige Jahrzehnte zurück: wie verschwindend klein war damals die Anzahl von Hochschülern, die der sozialen Frage mit der notwendigen Aufgeschlossenheit gegenüberstanden, besonders im .rechten“ Lager!

Ein Merkmal zeichnet diese Bestrebungen von den marxistischen mit unverkennbarer Deutlichkeit ab: die Auffassung, daß der Mensch in erster Linie ein seelisch-geistiges Wesen ist und daß die Hilfe in seelisch-geistiger Notlage genau so notwendig jeder sozialen Tätigkeit zugehört wie die Behebung materieller Mißstände. All die sozialen Bewegungen innerhalb der katholischen Studentenschaft, die meist in den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts ihren Ausgang nahmen und nach dem letzten Weltkriege eine verstärkte Kraft entfalteten, sind von diesem Grundsatz beherrscht. Ein paar Hinweise mögen dies belegen.

Die Vermittlung des lebendigen Kulturgutes an die werktätige Bevölkerung durch unmittelbare persönliche Fühlung haben sich in Frankreich die Equipes sociales zum Ziel gesetzt, eine Gründung katholischer Studenten in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg. In diesen Arbeitsgemeinschaften wollen sich Jungakademiker und Jungarbeiter durch den gegenseitigen Austausch ihrer Kenntnisse und Erfahrungen menschlich näherkommen und so einander verstehen lernen. Der Erfolg blieb nicht aus: beide Teile haben einander gegeben und konnten voneinander nehmen. Sie trugen so viel zur überbrückung einer Kluft bei, an deren Bestehen gewisse Parteiideologen ein allzu selbstsüchtiges Interesse haben. Aus den alten Equipes sind fast immer Dauerfreundschaften geworden, die sich nun schon seit 30 Jahren bewähren. Gegenwärtig gibt es in Paris 55 Equipes sociales, im übrigen Frankreich annähernd ebenso viele.

Auf wesentlich breiterer Grundlage arbeitet die „Catholic Social Guild of Oxford“. Ihr Wirkungsfeld erstreckt sich auf alle Teile des britischen Empires, besonders durch ihre Schulungsbroschüren und durch ihren brieflichen Auskunfts- und Beratungsdienst. Die zentrale Leitung der 370 auf ganz England verteilten Gruppen befindet sich in Oxford. Die Organisation selbst umfaßt rund 4000 Mitglieder, unter denen den Studenten meist die Initiative zukommt. Das Ziel dieser sozialen Gilde ist in erster Linie die Weckung des sozialen Verständnisses durch eine Vertiefung des sozialen Wissens bei allen Alters- und Berufsklassen.

Wie der italienische Delegierte erklärte, hat auf der Apenninenhalbinsel der Großteil der Studierenden erst durch den Krieg sein Augenmerk auf das soziale Gebiet gelenkt. Die soziale Schulung und zum Teil auch die soziale Betätigung der katholischen Studenten erfolgt heute im Rahmen der an die 15.000 Mitglieder zählenden „Federazione uni-versitaria cattolica italiana“ (FUCI).

Um die Jungakademiker für eine spätere soziale Tätigkeit theoretisch ausreichend vorzubereiten, werden von der FUCI alljährlich ein Nationalkongreß abgehalten und soziale Studienwochen organisiert, die die notwendigen Kenntnisse und die erforderliche Einsicht in die sozialen Probleme vermitteln. Die breite Öffentlichkeit wird von den Ergebnissen dieser Veranstaltungen durch entsprechende Broschüren unterrichtet. Berufsberatung für Abiturienten, Vermittlung von Wohnungen und Kostplätzen, Verschaffung von kostenlosen Lehrbüchern und die Erhaltung und Verwaltung von Studentenheimen bilden den Hauptteil der praktischen Tätigkeit der FUCI. Darüber hinaus veranstaltet sie Sprachkurse für Auswanderer, nimmt sich der gefährdeten Jugend an und betreut Bedürftige in den Hafenstädten.

Damit sind im wesentlichen die Ansätze zur sozialen Arbeit katholischer Studenten in den drei europäischen Staaten festgehalten, in denen sie sich bisher am klarsten abzeichneten. Das Ergebnis der diesjährigen Sozialwoche in Österreich war ein Beschluß, demzufolge die soziale Schulung der in der ,Pax Romana“ vereinigten Verbände durch gegenseitigen Gedanken- und Erfahrungsaustausch, aber auch durch Ubersendung statistischer Unterlagen über das internationale Sozialsekretariat in Luxemburg weitgehend gefördert werden soll.

Abbe Elcheroth, der Leiter des sozialen Sekretariats der „Pax Romana“, hatte zu Beginn der Tagung die Weckung der sozialen Unruhe in den Studenten als erstes Ziel dieser Schulungswoche bezeichnet. Das Interesse, das die Delegierten aller vertretenen Nationen den aufgeworfenen Fragen entgegenbrachten, zeigte, daß sie diesen Ruf verstanden haben. Europas Jugendsetzt anzur sozialen Aktion aus christlichem Geiste. Sie wird diese in demselben Geiste der Verständigung durchführen, der die Teilnehmer aus den verschiedenen Ländern persönlich einander näherbrachte. In dem heftigen Für und Wider um unsere Jugend vergißt man nur zu oft eines ihrer hervorstechendsten Kennzeichen: ihre Sehnsucht und ihr Ringen um einen Ausgleich in einer durch so viele Gegensätze zerrissenen Welt. Der Kern der heutigen Jugend will Brücke sein, Brücke zwischen den Klassen von gestern und zwischen den Ideologien von heute. Deshalb ist er auch nicht „revolutionär“ — was anscheinend manche bedauern —, sondern evolutionär — auch auf sozialem Gebiete.

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