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Ein Dokument christlicher Sozialmoral

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Der Text wurde als das Endprodukt einer sorgfältig geplanten Aktion angesehen, an der die ACO entscheidenden Anteil nahm. Ebenso kamen zahlreiche Anregungen von Wirtschafitstheoretikem der Sozialen Woche. Gewerkschaftsführer und Unternehmer wurden konsultiert, Anregungen trafen aus Lyon ein, das stets ein Bollwerk des weltoffenen Katholizismus war.

Die Schlußfolgerungen wurden in der Umgebung des Präsidenten de Gaulle ausführlich erörtert. Während die sogenannten Linkskatholiken in der Veröffentlichung eine Bestätigung eigener Thesen fanden, nahmen die Würdenträger des Regimes den Text mit sehr gemischten Gefühlen auf oder lehnten ihn vielfach entschieden ab.

Dieses Dokument versucht die Prinzipien der christlichen Moral , im sozialen und wirtschaftlichen Bereich zu definieren, vermeidet es, eine Verurteilung der derzeitigen Strukturen durchzuführen. Es dürfte angebracht sein, einzelnen grundlegenden Überlegungen nachzugehen, da die Orientierung der Kirche in dieser Materie fixiert wurde.

„Sehr traurige Ereignisse“, setzt das Dokument ein, „kennzeichnen die Gegenwart“, Schließungen von Fabriken, die Krisen in der Industrie, und der Landwirtschaft schaffen eine immer schwierigere Situation für den Arbeitnehmer. Tiefgreifende Veränderungen in den 'bisherigen Vorstellungen, eine neue Form der Produktion sucht die ihr angemessene Organisation, die unter dem

Druck der demographischen Revolution weitere Impulse aus dem wissenschaftlichen, technischen Fortschritt zieht. Eine schöpferische Kraft, die zunehmende Beherrschung des Universums und seiner Schatze durch den Menschen ist festzustellen. Die veränderten sozialen und wirtschaftlichen Strukturen schaffen veränderte Bedingungen für jede Existenz. Von solchen Überlegungen ausgehend, muß ein System in Frage stehen, das derzeit diese Werte negiert. Sicherlich, eine wirtschaftliche Expansion ist in den letzten zehn Jahren unverkennbar, aber zu oft zahlten die Arbeiter diese Entwicklung, während andere soziale Kategorien beachtliche Gewinne erzielten.

Der Mensch kontrolliert die Entwicklung

Als entscheidender Faktor wird die Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit begrüßt, wobei die Bedürfnisse der künftigen Generationen Beachtung finden. Die Notwendigkeit und Begrenzung des Konsums ist zu prüfen. Der Gewinn allein reguliert keineswegs die wirtschaftliche Entwicklung. Vielfältige menschliche Bedürfnisse würden sonst zu Schaden kommen.

Mit Nachdruck wird auf die Beschaffung von Wohnraum und die Ausstattung der größeren menschlichen Gemeinschaften Wert gelegt. Im Industriebetrieb sei der Gewinn ein Stimulans, ohne ihn als Kriterium sozialer Möglichkeiten anzu- sprechen. Die wirtschaftliche Entwicklung sei dem Spiel eines natürlichen Mechanismus zu entziehen. Der Mensch allein kontrolliert die Entwicklung. Es ist gefährlich, daß kleine Gruppen oder bestimmte Gewalten in den Genuß großer wirtschaftlicher Konzentrierung gelangen. Im Gegenteil, die Wirtschaft möge von einer größtmöglichen Anzahl von Menschen orientiert werden. Neben Staat und Individuum erfüllen die Gewerkschaft und die sonstigen Organe des gesellschaftlichen Lebens wichtige Punktionen. Dem privaten Besitz wird es als Notwendigkeit auferlegt, als soziale Funktion vorgeschrieben, zu sparen, um der allgemeinen Produktion Mittel zur Verfügung zu stellen.

Den Arbeitern der Betriebe steht das Recht zu, an der Ausarbeitung und Beschlußfassung der Betriebs- Politik entscheidend mitzuwirken. Den Gewerkschaften obliegt ausdrücklich die Möglichkeit, in den übergeordneten Ebenen ähnliche Funktionen zu erfüllen.

Vier vordringliche Forderungen

Der Text stellt fest, daß die wirtschaftlichen Veränderungen und ihr Rhythmus ungenau oder zu spät erkannt wurden. Die Schaffung neuer Arbeitsplätze sei schnellstens in die Wege zu leiten. Das Kapital habe dorthin zu strömen, wo Arbeitskräfte vorhanden sind. Die Entwurzelung der Arbeiter stellt eine Gefahr für die Gemeinschaft dar. — Eine Reihe von Forderungen finden sehr energische Formulierungen.

1. In jeder Altersstufe besteht die Möglichkeit, eine fachliche Ausbildung zu erhalten.

2. Der Skandal bei der Beschaffung von Wohnraum hat zu verschwinden. Eine soziale Politik gewährt auch einem bescheidenen Einkommen die Möglichkeit, menschlich und würdig zu wohnen.

3. Das Leben in der Gemeinschaft erhält durch großzügige Städte- und Landplanungen ein neues Gesicht.

4. Jede Form von Arbeitslosigkeit ist auf das entschiedenste abzulehnen.

Die Bischöfe verkünden feierlich, daß der Mensch Ursprung, Mittelpunkt und das Ziel jedes Wirtschaftlichen sozialen Lebens darstellt. Aus dieser fragmentarischen Darstellung schimmert der neue Wille, der die Kirche Frankreichs in sozialer Hinsicht auszeichnet.

Die Abfassung dieses Dokuments ging keineswegs einfach vor sich. Einflüsse verschiedenster Natur tauchten auf. Mehrfach wurde versucht, den Text zu entschärfen. Auf der anderen Seite kritisierten die Vertreter der sofortigen sozialen Revolution, daß der Kapitalismus zu wenig eindeutig verurteilt wurde. Studiert man zahlreiche Faktoren, darf festgestellf werden, daß die ACO, die christlichen Gewerkschafter, die Männer der sozialen Wochen eine Bestätigung erhielten.

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