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Erwachsenenbildung: Neue Wege

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Man mag das Schlagwort von der „Bildungsgesellschaft” deuten und werten, wie man will, sicher scheint jedenfalls, daß unsere organisierte, komplizierte und verwissenschaftlichte Welt nur durch ein höheres Maß an Bildung bewältigt werden kann. Die Forderung des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen, der Mensch müsse sich, wenn er nicht Opfer der modernen Gesellschaft, sondern ihr Bürger wenden will, das Verständnis seiner selbst und der Welt, in der er lebt, in ständiger Bemühung erschließen, gilt erst recht für den Christen. Ihm ist infolge seiner Fundierung in der göttlichen Offenbarung und in der Heüslehre nicht nur eine besondere Befähigung, sondern auch ein ausdrücklicher Auftrag zur Erhellung menschlichen Lebens und zur Gestaltung der Welt aufgegeben.

Mit Recht darf man denen, die diesen Anruf der Zeit immer schon gespürt und auch stets vertreten haben, Diözesanbischof DDr. Zauner zuzählen. Für ihn ist katholische Erwachsenenbildung geradezu eine der notwendigsten und vordringlichsten Anliegen der Pfarre; ist jene doch sowohl durch ihre Stellung wie durch ihr Wesen zum Gespräch des Glaubens mit der Welt prädestiniert. Durch diese kräftige Förderung des Bischofs konnte das Katholische Bildungswerk der Diözese Linz seine Tätigkeit in 314 örtlichen Bildungswerken und mehr als 3600 Veranstaltungen pro Jahr entfalten.

Eine besondere Sorge

Katholische Erwachsenenbildung würde ihren Auftrag aber nicht erfüllen, wenn sie eich mit sämtlichen Veranstaltungen unter-

schiedslos und schlechthin an alle wendete. Niemals würde sie so vorstoßen können in den Bereich des Lebensgestaltenden.

Eine besondere Sorge katholischer Erwachsenenbildung muß vor allem jenen gelten, die durch ihre Fähigkeiten, durch ein feines Gespür für das Notwendige und durch den Mut zu einer größeren Verantwortung bereit sind, sich für die Gestaltung der Welt aktiv einzusetzen, die aus dem „Aufstand ihres Gewissens”, aus dem „Widerstand des freien Geistes” gegen eine „Verkehrung der Sinn- und Wertmaßstäbe des Menschen” (R. Schwarz in: Wissenschaft und Bildung) auftreten und den persönlichen Mut aufbringen, den Auftrag, den sie in sich spüren, in unbedingter Wahrhaftigkeit und mit unverrückbarem Verantwortungsbewußtsein durchstehen wollen. Eine solche Elite brauchen wir heute sowohl im Bereich der Kirche wie im gesellschaftlichen und staatlichen Leben — auch auf unterster und mittlerer Ebene — dringender denn je.

Aus diesen Überlegungen heraus sind nun in der Diözese Linz wähnend der letzten vier Jahre die Bildungsseminare entstanden, denen als spezielle Aufgabe die Formung der meinungsbildenden und führenden Schichte in Gemeinde und Pfarre anvertraut ist. Sie erfüllen dabei zu ihrer allgemeinen erwachsenenbildnerischen Intention noch zusätzlich ein besonderes Anliegen des Diözesanbischofs. Die Bildungsseminare versuchen nämlich, durch ihre spezifische Ausrichtung beizutragen zur Heranbildung einer Kernschar mündiger und verantwortungstragenider Laien, die sich aus echtem apostolischen Geist für die Ver- christlichung der Welt in aller Vielfalt des heutigen Lebens einsetzen, aber hiezu nicht nur ihre selbstlose Einsatzbereitschaft, sondern auch die notwendigen bildungsmäßigen Voraussetzungen mitbringen.

Schon das Bestimmungswort „Bildung” macht klar, daß die Bildungsseminare den Gliederungen der Katholischen Aktion nicht die spezielle Apostolatschulung abnehmen wollen, daß ihr Anliegen vielmehr auf den Zentralbereich, in die Tiefenschichten menschlicher Bildung zielt, daß sie also fundierende und persönlichkeitsformende Bildungsvorgänge bewirken wollen. Es geht um eine Auseinandersetzung mit Existenzfragen des Menschen, wobei sich der Bogen der Thematik von der Frage nach dem Wesen des Menschen, nach dem Sinn seines Lebens, nach seinem Woher und Wohin, über Grundfragen des Glaubens, des kirchlichen und gesellschaftlichen Lebens bis zu den bildungsrelevanten Aspekten der Wirtschaft spannt. Die einzelnen Themen sind dabei in gleicher Weise von zeitlos Gültigem wie von der Aktualität der Problematik bestimmt. Sie wollen auch nicht im bloß Theoretischen steckenbleiben, sondern wie jede echte Erwachsenenbildung vorstoßen zur Lebensgestaltung. Bedenkt man, daß ein Großteil der Erwachsenen ihr Menschen- und Weltbild weithin auf längst veraltetem und überholtem Schulwissen aufbaut, auf Gelegenheitswissen aus Presse, Rundfunk, Fernsehen und irgendwelchen zufälligen Vorträgen sowie auf einer Fülle von Voreingenommenheiten, die in emotionalen Tiefenschichten wurzeln, dann wird die ungeheure Arbeit, die sich stellt, geradezu greifbar. Es geht nicht um eine primitive Popularisierung, noch um eine unechte Akademisierung, sondern um eine bildende Auseinandersetzung, die das veraltete, fragwürdige und mangelhafte Wissen in Zweifel stellt, falsche Vorstellungen abbaut sowie emotionales Wissen und Voreingenommenheiten beseitigt und dafür eine unserer Zeit entsprechende Wissensgrundlage vermittelt. Ebenso gehört es zum Wesen der Bildungsseminare, die Kenntnisse der Wissenschaft in einen Dialog mit den Aussagen unseres Glaubens zu bringen. Um mit Philipp Dessauer zu sprechen: „Es geht um ein Hin- und Herbewegen zwischen dem Offenbarungswort Gottes und den Erfahrungen dieser Welt, um ein Vordringen vom Leistungswissen über das Daseinswissen zum Heilswissen. Thematisch gesehen bedeutet dies konkret beispielsweise die Gegenüberstellung von Schöpfungsbericht und biologischer Abstammungslehre, von Heilsgeschichte und Profangeschichte, aber nicht, um das eine durch das andere zu überführen, sondern um dem wesentlichen Gehalt der wissenschaftlichen Erkenntnisse wie dem des geoffenbarten Wortes nachzuspüren, um der einen Wahrheit ein Stück näherzukommen.

Die Bildungsseminare

Niemals soll dabei echte Bildung übergangen, sollen Bildungsprozesse ungerechtfertigt verkürzt oder gar Teilnehmer in ihrer weltanschaulichen Überzeugung vergewaltigt werden. Die Bildungsseminare verstehen sich wesentlich als Bildung und bemühen sich mit allem Emst um die Erfüllung von deren Gesetzlichkeiten und Forderungen. Der metho- dische Weg, der mit dieser Bildungsveranstaltung beschritten wurde, ist das Seminar. Vielleicht scheint der Begriff „Seminar” sehr hoch gegriffen. Nun, wenngleich in ihrer Verwirklichung noch eine große Variationsbreite erkennbar ist, so streben sie aber doch alle darnach, das zu sein, was unter Seminar gemeint ist: eine bildungsintensive Veranstaltung, die sich über eine längere Zeitdauer erstreckt (8 Abende), sich mit einem Gesamtthema eingehend beschäftigend und nicht nur von einem oder mehreren Dozenten, sondern von allen Teilnehmern mitgestaltet wird. Jeder einzelne fühlt sich zur Teilnahme am ganzen Seminar verpflichtet und durch den vorausgehenden Erhalt von Skripten aufgerufen, sich zu jedem Thema vorzubereiten. Die Diskussion bildet einen ebenso obligaten und strukturierenden Bestandteil der Seminare wie die Vorträge. Der eigentliche Sinn, daß der Weg des „Seminars” gewählt wurde, ist in der methodischen Zielsetzung zu suchen, die in einem vertieften Eindringen in die Thematik, in einer Schulung des reflektierenden und kritischen Denkens sowie in der Hinführung zur selbständigen und bewußten Auseinandersetzung mit den aufgegebenen Problemen liegt.

Bisher wurden insgesamt 139 Bildungsseminare mit 54.504 Besuchern in 88 Pfarren der Diözese (das sind 28 Prozent aller örtlichen Bildungswerke) durchgeführt. 74 Referenten standen allein im abgelaufenen Arbeitsjahr für 520 Seminarabende im Einsatz.

Es wäre eine Anmaßung, jetzt schon eine endgültige Aussage über Wert und Erfolg der Bildungsseminare machen zu wollen. Die Zeit der Erprobung ist noch kurz und die bildungstheoretische Durchdringung befindet sich erst in den Anfängen. Die bisherige Entwicklung, die stetig steigende Anzahl der Seminare und Orte, die sie durchführen (1960/61: 8, 1961/62: 18, 1962/63: 47, 1963/64: 66 und 1964/65 bereits mehr als 80), sowie das positive Echo von Seminarleitern und Teilnehmern lassen aber doch schon den Schluß zu, daß die Absichten der Bildungsseminare wirkliche Anliegen des heutigen Menschen treffen, wie sie doch auch als eine echte Möglichkeit der Bildung einer Führungselite in Pfarre und Gemeinde betrachtet werden dürfen. Sind sie als solche nicht auch vielleicht in einem neuen Sinn — Katholische Aktion, Dienst an der Welt, ein Beitrag zum „Omnia instauräre in Christo”?

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