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Lernen und Zukunft: Es geht ums Menschenbild

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Der bisher letzte Bericht an den Club von Rom beschäftigte sich mit dem Thema „Zukunft und Lernen", behandelt also grundsätzlich Fragen des Bildungs wesens. Unter dem Motto „Perspektiven der Bildungspolitik" veranstaltete die Gesellschaft für Zukunftsforschung in Wien eine Diskussion, die Gelegenheit bot, die allgemeinen Forderungen des Club von Rom mit dem aktuellen Stand der österreichischen Diskussion zu vergleichen.

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Der bisher letzte Bericht an den Club von Rom beschäftigte sich mit dem Thema „Zukunft und Lernen", behandelt also grundsätzlich Fragen des Bildungs wesens. Unter dem Motto „Perspektiven der Bildungspolitik" veranstaltete die Gesellschaft für Zukunftsforschung in Wien eine Diskussion, die Gelegenheit bot, die allgemeinen Forderungen des Club von Rom mit dem aktuellen Stand der österreichischen Diskussion zu vergleichen.

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In der Vergangenheit hat sich der Club von Rom in zunehmendem Maß das Image einer Kassandra eingehandelt. Die immer wiederkehrenden Hinweise auf die bevorstehenden weltweiten Krisen mußten von den zwar beunruhigten, aber sich machtlos fühlenden Zeitgenossen verdrängt werden. Nun, in diesem Bericht wird der Club seinem Image nicht gerecht. Die Sorge um die weitere Entwicklung der Welt ist zwar nicht gewichen, sie bildet aber nur den Hintergrund der Überlegungen. Das Hauptanliegen ist die Suche nach Auswegen. Die Situation wird folgendermaßen gekennzeichnet: „Das menschliche Dilemma ist die Diskrepanz zwischen der zunehmenden Komplexität aller Verhältnisse und unserer Fähigkeit, ihr wirksam zu begegnen."

Dabei verfügt die Menschheit heute über ein Wissen, das in der Geschichte der Völker seinesgleichen sucht. Allerdings stehen wir der Überfülle dieses Wissens relativ hilflos gegenüber, weil wir es einfach nicht überschauen können und weil wir es daher nur sehr mangelhaft handhaben und einsetzen.

Der Ausweg aus dieser Lage besteht daher in einer Mobilisierung der geistigen Kräfte der Menschen, allerdings der Freimachung der Fähigkeiten, die bisher nicht hinreichend gefördert wurden. Das Anliegen ist somit neues Lernen: „Es bedarf der Erwerbung und der Anwendung neuer Methoden, neuer Fertigkeiten, neuer Verhaltensweisen und neuer Werte, um in einer sich verändernden Welt bestehen zu können. Lernen ist der Prozeß der Vorbereitung auf neue Situationen."

Hier klingt auch schon das Hauptanliegen der Verfechter des neuen Lernens an: Es geht ihnen um Antizipation, also um die Fähigkeit, zukünftige Entwicklungen abschätzen zu lernen. Nur so werden wir die Zukunft bewußter gestalten können. Kritisiert wird, daß wir heute allzu einseitig auf die Vergangenheit ausgerichtet sind und daß auch die Bildung, die uns gegenwärtig vermittelt wird, allzu einseitig eine Haltung passiver Anpassung fördert. Worauf kommt es nun aber an, wenn wir eine zukunftsorientierte Haltung begünstigen wollen? Offensichtlich geht es darum, das Bewältigen von vielfältigen, unübersichtlichen Situationen zu erleichtern.

Das bedeutet, daß die menschlichen Fähigkeiten zur Synthese, zur Zusammenschau gefördert werden müssen. Die Umweltproblematik hat uns ja deutlich vor Augen geführt, daß unsere allzu einseitige Ausrichtung auf Analyse, auf Beobachtung von Detailaspekten, auf Spezialisierung es uns beinahe unmöglich macht, mit der vielschichtigen Umweltproblematik zu Rande zu kommen. Weiters erklingt der Ruf nach einem erhöhten Lerntempo. „Also noch mehr lernen!" wird der vom Schulstreß geplagte Durchschnittsschüler stöhnen. Doch es geht nicht so sehr um die Menge, sondern um den Rahmen des Lernens: Neueste Ergebnisse der Forschung zeigen nämlich, daß eine Information dann leicht aufgenommen werden kann, wenn sie in Beziehung zum bisherigen Denkrahmen und zum Weltbild des Schülers gebracht wird.

Aus dieser Einsicht rührt auch die große Bedeutung, die dieser Bericht des Club von Rom auf die Vermittlung von Werthaltung im Rahmen des Lernens legt. „Ein Mythos muß zerstört werden: Die Vorstellung, daß man nur in einem echten Wissenserwerb und zum Lernen gelangt, wenn beidem der Sinnbezug genommen wird."

Daß erfolgreiches Lernen selbstverständlich auch die Dimension des Voneinander-und Miteinander-Lernenshat, wird ebenfalls sehr stark betont. Daher auch die Forderung nach partizipati-vem Lernen: Es fördert Fähigkeiten, die dem Menschen erst gestatten, sinnvoll an einem gesellschaftlichen Lernprozeß teilzunehmen. Wir alle sollten mehr für Kooperation, Dialog, Kommunikation, Wechselseitigkeit und Einfühlungsvermögen geschult werden!

Erreicht werden sollte letztlich, daß wir fähig zur selbständigen Entscheidung werden, als Einzelmenschen und als gesellschaftliche Gruppen, also autonom werden und nicht nur außengelenkt. Gleichzeitig gilt es aber auch unsere Fähigkeiten, uns mit anderen Menschen und Gruppen einzulassen, also unsere integrativen Fähigkeiten zu steigern. Wir müssen wieder lernen, die Sorgen und Erfahrungen der anderen im eigenen Interesse ernst zu nehmen. Damit wird offenkundig, daß der

Schwerpunktder Anstrengungen im Bildungssektor wieder auf Persönlichkeitsbildung, auf Vermittlung von Werten und nicht mehr so ausschließlich auf das Lehren von Fertigkeiten und sehr spezialisiertem Fachwissen liegen sollte.

So neu klingt das nun alles gar nicht, ist der unvoreingenommene Leser versucht zu denken, wenn er sich all diese Forderungen vor Augen führt. Ja, gerade von der christlichen Warte aus gesehen, deckt sich dies durchaus mit den Anliegen, die sich aus dem christlichen Menschenbild ergeben.

Sicher, die Formulierungen sind manchmal etwas fremd, weil sie dem wissenschaftlichen Jargon entstammen. Manches wird in dem Bericht auch überbetont, etwa die Bedeutung der Zukunft für unsere Erfahrungen oder die Bereitschaft, alle Werte auch immer wieder in Frage zu stellen. Bei der Behandlung dieser Fragen müßte noch einiges klargestellt und manches zurechtgerückt werden.

Aber insgesamt kann ich mich mit diesen Anliegen voll identifizieren. Auch mit den abgeleiteten Forderungen: Dezentralisierung des Schulsystems, stärkere Verbindung von Arbeits- und Schulwelt, verantwortungsvollerer Einsatz der Massenmedien, besonders des Fernsehens, stärkere Förderung des menschlichen Potentials in den Ländern der 3. Welt, Anerkennung und Nutzung menschlicher und kultureller Vielfalt, usw...

Und der Stand der österreichischen Diskussion? In der überaus interessanten Veranstaltung der österreichischen Gesellschaft für langfristige Entwicklungsforschung wurde wieder einmal die ernüchternde österreichische Realität offenbar: Hierzulande scheint sich die politische Diskussion nach wie vor auf organisatorische Fragen des Schulsystems zu beschränken: nach wie vor geht es um die integrierte Gesamtschule, um Leistungsgruppen, um Ganztagsschule. Ich will durchaus nicht behaupten, daß organisatorische Fragen unbedeutend und somit nicht diskussionswürdig seien. Im Gegenteil!

Aber die Frage müßte doch einmal allen Ernstes gestellt werden: Sollte die Organisation nicht Ausflußderoptimalen Durchführung eines Grundanliegens sein? Meiner Ansicht nach kommt daher an erster Stelle die Diskussion des Grundanliegens, also der Lehrinhalte, der Frage: Was soll vermittelt werden? Und herrscht diesbezüglich annähernd Klarheit und Konsens, scheint es in einem zweiten Schritt angebracht, sich über die Frage, wie ich nun diese Inhalte vermittle, den Kopf zu zerbrechen!

Den Teilnehmern der Diskussion war dies auch mehrheitlich bewußt: Es ist in Österreich an der Zeit, sich endlich über die Lehrinhalte den Kopf zu zerbrechen! Zu überzeugen aber wären die Politiker! Überfrachtete Stundenpläne, von Lernsorgen geplagte Schüler und Eltern, schnell angelerntes und ebenso rasch wieder vergessenes Bücher- und Skriptenwissen dessen Bezug zum Leben kaum einsichtig ist, sind Symptome für ein tieferliegendes Unbehagen, das nicht mit organisatorischen Änderungen allein bewältigt werden wird!

Der Bericht des Club von Rom bietet Anregungen und Aussagen, auf der eine breite Diskussion über die grundsätzliche Ausrichtung unserer Bildungsanstrengungen aufbauen könnte. Wenn die Schule nicht mehr vorwiegend nur mehr Ort der Wissensvermittlung sein soll, sondern Stätte der umfassenderen Persönlichkeitsbildung, dann erfordert dies eine gründliche Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Menschenbild, das vermittelt werden soll. Um diese Auseinandersetzung aber kommen wir langfristig nicht herum. Geplänkel im organisatorischen Vorfeld können kein Ersatz dafür sein.

Quelle: Das menschliche Dilemma, Zukunft und Lernen. Herausgegeben von Aurelio Peccei. Molden-Verlag, Wien 1979, öS 150,-

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