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Gefährdete Hochschulreform

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Zu den Hauptproblemen der vielbeschworenen siebziger Jahre zählen das Bildungs- und das Demokratieproblem. Die Eigenart der gegenwärtigen Reformversuche liegt nun in der fragwürdigen Verbindung dieser Komplexe, und zwar derart, daß ein selbst problematischer Bereich zur Lösung des anderen herangezogen wird. Die Bildung soll also durch Demokratie und — für unser Thema weniger interessant — die Demokratie durch Bildung kuriert werden. Das Bedenkliche dieses Vorgehens liegt nicht nur in der Verwendung eines Problems als Heilmittel für ein anderes, sondern vor allem auch in der Einseitigkeit und Ausschließlichkeit dieser Therapien, worin sich ihr ideologischer Charakter manifestiert.

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Zu den Hauptproblemen der vielbeschworenen siebziger Jahre zählen das Bildungs- und das Demokratieproblem. Die Eigenart der gegenwärtigen Reformversuche liegt nun in der fragwürdigen Verbindung dieser Komplexe, und zwar derart, daß ein selbst problematischer Bereich zur Lösung des anderen herangezogen wird. Die Bildung soll also durch Demokratie und — für unser Thema weniger interessant — die Demokratie durch Bildung kuriert werden. Das Bedenkliche dieses Vorgehens liegt nicht nur in der Verwendung eines Problems als Heilmittel für ein anderes, sondern vor allem auch in der Einseitigkeit und Ausschließlichkeit dieser Therapien, worin sich ihr ideologischer Charakter manifestiert.

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„Überhaupt hat der Fortschritt das : an sich, daß er viel größer ausschaut, als er wirklich ist.“

Johann Nestroy :

Durch den Verlust eines allgemein verbindlichen Bildungsideals in den letzten Jahrzehnten, durch das gewaltige Anwachsen des Wissensmaterials seit der Renaissance — schon 1428 kam es auf der Wiener Universität zu einer detaillierten Fächerabgrenzung, die Nova Reformatio von 1554 sah vor, daß ein Professor nur für ein bestimmtes Fach ernannt werden sollte — und durch die Akademisierung zahlreicher Berufe erfolgte eine immense Spezialisierung der wissenschaftlichen Disziplinen, die heute aber über das Maß einer unvermeidbaren Arbeitsteilung hinaus den Charakter einer durchaus vermeidbaren Arbeitszerfaserung anzunehmen droht. Preisgabe der Problemorientierung sowie schließlich die Reduzierung wissenschaftlicher Kontrolle sind die üble Folge dieser Arbeitszerfaserung. Die überwältigende Faktizität der Welt wird in einem winzigen Sektor sammelnd und beschreibend erfaßt; Wobei es ziemlich egal ist, ob dies in fleißgetränkten Fußnotenplantägen oder in essayistischer Beiläufigkeit geschieht. Jedenfalls sinken die Universitäten allmählich, wie der Marburger Soziologe Werner Hofmann formulierte, „zu großen Warenhäusern des Geistes“ ab, die für mannigfache Indienstnahme offenstehen. Arthur Rimbauds desperater Ausruf „La science est trop lente!“ ist den Studenten aus derp Herzen gesprochen, wenn sie in den ersten Semestern die Tauglichkeit solch überspezialisierter Wissenschaft als Medium schöpferischer Selbstverwirklichung des Menschen testen. Die Arbeitsteilung darf jedoch nicht durch einen Kopfsprung ins Heilwasser irgendeiner Ideologie aufgehoben werden, sie ist zur Aufrechterhaltung unseres kulturellen und zivilisatorischen Stan- darts unerläßlich, wohl aber läßt sich die ArbeitsZerfaserung vermeiden — etwa durch Betonung der theoretischen Grundlagenfächer der jeweiligen Studienrichtungen oder durch interdisziplinäre Forschungsund Lehrveranstaltungen.

Dualismus

Zur Spezialisierung der Wissenschaften kommt problemvermehrend die mangelnde Informiertheit über Berufsaussichten und vor allem der Massenandrang auf die Hochschulen, der unter anderem auch bewirkt, daß mangelnde Begabung längere Zeit unerkannt bleibt. Das wird früher oder später zu größeren Reibungen führen, da ja die starke Neigung besteht, individuelle Studienschwierigkeiten gesellschaftlich zu erklären und ihre Lösung daher von außen zu erwarten. Sollten diese Erwartungen etwa durch Ausbleiben von Stoffverminderungen oder Prüfungserleichterungen enttäuscht werden, ist durchaus mit bilderstürmenden Aktionen zu rechnen. Der Hochschuldidaktik kommt deshalb überaus große Bedeutung zu. Der Massenandrang kann nicht in Großveranstaltungen abgefangen werden. So schwierig es ist; der im Allgemeinen Hochschulstudiengesetz verankerte Pluralismus der Lehrveranstaltungen (Seminare, Privatissima, Vorlesungen, Proseminare, Übungen, Arbeitsgemein schaften, Repetitorien, Konversato- rien, Praktika und Exkursionen) muß unter Betonung der Kleingruppenarbeit effektiver werden, da nur in ihr intellektuelle Erfüllung und gleitende Leistungskontrolle, die formelle Prüfungen zum Teil überflüssig macht, möglich sind. Das wird bedeutende personelle Mittel erfordern und gerade dem Mittelbau ein weiteres Anwachsen seiner Arbeitslast bringen. Wir dürfen nicht davor die Augen verschließen, daß der Massenandrang zur Folge hat, daß bei der künftigen Universität der Hauptakzent auf Lehre und Studium liegen wird, freilich wird die Forschung nicht ganz zu kurz kommen, da problemorientiertes Lehren immer wieder zur Lösung auftauchender Fragen, also zur Forschung reizen wird. Aber die umfassende und regelmäßige Forschung sowie die Heranbildung wissenschaftlicher Spitzenkräfte werden einqfi heuen Ort fin den müssen, etwa in einer erweiterten Akademie der Wissenschaften, wobei die Erfahrung der deutschen Max-Planck-Institute und des Wiener Ford-Instituts zu berücksichtigen wären. Schon Wilhelm v. Humboldt nannte die Akademie 1810 „die höchste und letzte Freistätte der Wissenschaft“, wo durch gemeinsames Forschen auch gelehrt wird, so daß die Gemeinsamkeit von Forschung und Lehre durch den Dualismus von

Akademie und Universität nicht zerrissen, sondern mit jeweils verschiedener Akzentuierung der beiden Glieder verwirklicht würde.

Das Demokratieproblem

Was der Entwurf des Universitäts- Organisationsgesetzes mit der einen Hand gibt — Vergrößerung der Institute und Schaffung besonderer Universitätseinrichtungen (Rechenzentrum, Großgeräteabteilung und Abteilung für Hochschuldidaktik) — nimmt er mit der anderen nicht nur, sondern verschlechtert auch noch den Status quo und zwar durch Einrichtung von Zwergfakultäten, durch Organhypertrophie und vor allem durch generelle Demokratisierung der Universitätsorganisation: Institutskonferenzen, Fakultätskollegien und Studienkommissionen sollen drittelparitätisch aus Professoren, Mittelbau und Studenten zusammengesetzt werden, die letztgenannten Gruppen wären auch in den Akademischen Senaten und den Universitätskonventen stark vertreten. Arbeitsüberlastung und psychische Energieverluste im Gefolge der Drit- telparitat würden Forschung, Lehre und Studium gewaltig beeinträchtigen. Dabei rechne ich gar nicht mit „großen“ politischen Auseinandersetzungen in den drittelparitätischen Organen, eher mit einer durch politische Phrasen kaschierten Rangelei um Posten und kleinliche Projekte, mit Tratsch, Angeberei und Intrige. Die Bauern dieses Schachspiels wären jedenfalls die Assistenten, sie müßten vermehrten Forscfiungs- und vor allem Lehrverpflichtungen nachkom- men, in der Hauptsache die konzep- tive und exekutive Tätigkeit in den demokratisierten Organen leisten und wären der täglichen (hochschul-) politisohen Konfrontation ausgesetzt, der sie sich noch weniger als die Professoren entziehen könnten. Gerade im drittelparitätisch organisierten Institut würde sich die freiheitsbedrohende, totalitäre Tendenz des Entwurfs am schmerzlichsten reali sieren. Schließlich wäre das berufliche Fortkommen der Assistenten durch die divergierenden Erwartungen und Forderungen der Professoren und der Studenten an sie mehr denn je gefährdet. Eine Chance hätte nur der Seiltänzer oder Jongleur, der es allen recht macht, und mehr noch als heute die stille Bravheit, die auch allen recht ist. Auf jeden Fall ginge der Liberalitätsgewinn der letzten 120 Jahre — vom Assistentenstandpunkt gesehen; gerade auch der letzten zehn Jahre — verloren.

Fingierte Gleichheit

Um Person zu werden, trachtet der Mensch, sich in all seinen Lebensäußerungen von seinen Mitmenschen zu differenzieren. Gleichheit ist keineswegs etwas Natürliches. Freiheit ist immer Freiheit zur Differenzierung. Damit aber möglichst viele Menschen die Chance der Freiheit erhalten, wurde immer wieder und mit wachsender Intensität seit der Aufklärung und der Französischen Revolution versucht, mehr Gleichheit herzustellen. Kraft holte sich der Gleichheitsgedanke vor allem aus dem Christentum (Gleichheit der Gotteskindschaft, der Erbsünde und der Erlösung), erwies er sich doch als eine der lebenskräftigsten christlichen Ideen überhaupt, gerade weil die christliche Gleichheit sich besonders leicht formalisieren und säkularisieren läßt. Instrument der Gleichheitssicherung war der Staat, denn die natürliche Entwicklung treibt zu mannigfacher Ungleichheit, nur staatlicher Zwang kann Gleichheit aufrechterhalten. Gleichheit in einem Lebensbereich kann daher nur mit dessen Verstaatlichung, mit seiner detaillierten restlichen Reglementierung erkauft werden. Totale Gleichheit bedeutet totale Unfreiheit —und umgekehrt. Ein mittlerer Verwirklichungsgrad von Freiheit und Gleichheit wäre optimal. Seit 200 Jahren besteht Politik zum Teil darrin, immer wieder die Grenze zwischen Freiheit und Gleichheit zu ziehen. Anfangs, im Kampf gegen die ständische und die absolute Monarchie, traten Freiheit und Gleichheit als eng verknüpfte und vorerst widerspruchslose Prinzipien auf, später wurde ihr Spannungsverhältnis offenbar, und schon Alexis de Toc- queville sah voraus, daß die Gleichheit auf die Dauer das wirksamere Prinzip sein werde. Die Ausdehnung der politischen Rechte auf die gesamte Bevölkerung bewirkte die Demokratisierung der Staatswillensbildung, der verfassungsgesetzlich gewährleistete Gleichheitssatz band aber auch die Vollziehung und schließlich die einfache Gesetzgebung des Staates. In der junistischen Diskussion um die Drittwirkung der Grundrechte spiegelt sich auch das Bemühen, die Gleichheitsverbindung der Staatsfunktionen auf das Verhältnis der Staatsbürger untereinander zu übertragen. Derartige Wünsche liegen auch den jüngsten Demokratisierungsforderungen zu Grunde, deren Ziel es ist, immer mehr mitmenschliche Beziehungen mit Hilfe des Staates auf der Basis der Gleichheit zu organisieren. Auf die ruhige Aufbauphase nach dem zweiten Weltkrieg folgt jetzt ein neuer Grenzstreit zwischen Freiheit und Gleichheit. Die Idee der politischen Reprä sentation hat an Überzeugungskraft verloren, die plebiszitäre Komponente verstärkt sich, der Ruf nach Einrichtungen der direkten Demokratie wird lauter, auch ihre Annäherungsform, die Rätedemokratie, erlebt eine zumindest theoretsche Renaissance.

Ständische Drittelparität

Um der Unzufriedenheit mit und der Unruhe in der bestehenden politischen Demokratie den Wind aus den Segeln zu nehmen, wurde mit Vorschlägen zur Demokratiereform versucht, die Mitwirkungschance des einzelnen an der Staatswillensbildung zu erhöhen. Andere verordnen politische Bildung, dabei übersehend, daß bloße Wissensübertragung wenig hilft. Demokratie braucht Tugenden wie Toleranz, Vertrauen, Achtung, Einsicht, Takt, Hilfs- und Opferbereitschaft, die letztlich nur in kleinen Gruppierungen, vor allem der Familie, vermittelt werden können; statt diese Qualitäten von dort in die politische Demokratie zu transformieren, will man die Organisationsform der politischen Demokratie mittels Fundamental- oder Totaldemokratisierung auf diese gesellschaftlichen Kleingruppierungen übertragen. Der Demokratisierungsimpetus äußert sich aber auch in der Wirtschaft und in gewissen Bereichen der staatlichen Verwaltung, besonders der Schul- und Hochschulverwaltung. Da im allgemeinen aber zwischen einem zehnjährigen Kind und seinem vierzigjährigen Vater oder zwischen Schüler und Lehrer keine Gleichheit der Fähigkeiten, Kenntnisse und Leistungen besteht, Gleichheit aber ‘Voraussetzung demokratischer Entscheidungen ist, muß Gleichheit fingiert werden. Freiheitsverlust, Aufhebung der Vorteile der Arbeitsteilung durch Einebnung der spezifischen Funktionen der einzelnen Lebensbereiche und damit eine allgemeine Primitivierung wären die äußerste Konsequenz umfassender Demokratisierung. Diese Uberstrapa- zierung des demokratischen Gedankens würde in Wirklichkeit zu einer gigantischen Camouflage aller möglichen Lebensformen als demokratisch und schließlich zu einer verbitterten Ernüchterung gerade der Jugend führen, einer Enttäuschung, die leicht auch zur Verwerfung der politischen Demokratie fortschreiten könnte.

Dabei ließe sich im Universitätsbereich eine nach Sachautorität und Interessen gestufte Mitwirkung von Studenten, Mittelbau und Professoren an der Universitätsverwaltung durchaus rechtfertigen, mit einer nach Forschung, Lehre und Studium differenzierten Organzusammenset- ‘ zung und einem von der Informierung über die Anhörung bis zur Zustimmung reichenden Fächer von 1 Mitwirkungsrechten. Der UOG-Ent- wurf setzt aber reichlich undifferenziert auf die Demokratisierungskarte. Da eine Stimmengleichheit nach : Köpfen doch noch als zu gewagt empfunden wird, griff man zu der im 1 Sommer 1967 in Hamburg „erfun- i denen“ Drittelparität, die ja eher eine ständische Einflußportionierung darstellt, aber in ihrer bestechenden i Einfachheit eine explosive Attrakti- s vität gewonnen hat. Der Durchset- zung dieses hochschulpolitischen : Programms mit Hilfe des Staates stehen freilich in Österreich die liberalen Grundrechte der Wissen- ; schafts-und Lehrfreiheit sowie der Gleichheit sperrig im Weg, ja auch das der Gleichheit, denn der Rechts- ! Ordnung, der Rechtsprechung und ! der Rechtswissenschaft Österreichs läßt sich kein dynamisches Verständ- ! nis des Gleichheitssatzes entnehmen, daß die Staatsfunktionen etwa durch i die Verfassung verpflichtet wären, in i allen Lebensbereichen Gleichheit ; herzustellen, es bedeutet im Gegen- I teil eine Gleichheitsverletzung, wenn sie Ungleiches gleich behandeln. Man ‘ muß daher die tatsächlichen Un- ; gleichheiten zwischen Studenten. ; Mittelbau und Professoren wegretuschieren und diese Personengruppen als ohnehin gleich verstehen. Dies 1 geschieht, indem tnan unbefangen und selbstverständlich von einer , gleichen Beteiligung aller Universitätsangehörigen am „Wissenschafts- prozeß“ spricht, überhaupt die Entscheidung gegenüber der Erkenntnis : überbetont und die in „Herrschaftsverhältnissen“ sich niederschlagen- den Interessen an Stelle von Funk- tionen und Zweck in den Vorder- grund rückt.

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