6882217-1979_13_14.jpg
Digital In Arbeit

10 Jahre nach der Revolte

Werbung
Werbung
Werbung

Gute dreißig Jahre sind seit der Gründung der Freien Universität Berlin vergangen, gute zehn Jahre, seit die Unruhen der Berliner Studenten auf die Hochschulen der Bundesrepublik übergriffen und damit jene Universitätsreform einleiteten, deren Wellen auch nach Österreich weiterrollten. Wie sieht heute die Bilanz in Berlin-Dahlemaus? Was hat sich seither verändert?

Präsident Eberhard Lämmert ist der zweite Spitzenfunktionär der FU, seit das Hochschulgesetz von 1969 die Struktur der Universität total änderte und einen Präsidenten mit siebenjähriger Amtszeit an die Stelle des bisherigen Rektors setzte. Der Germanist hatte schon in den sechziger Jahren in Berlin gelehrt, hatte die

„... eine Hochschule, die in ihrem Demokratisierungsgrad allen ihren Schwesterinstitutionen weit voraus war.“

Revolte von 1968 miterlebt und war 1970 nach Heidelberg berufen worden. Nun amtiert er wieder in Berlins schönstem Villenviertel, nachdem er in der Wahl gegen einen von der extremen Linken unterstützten Kandidaten siegreich geblieben war.

Schon darin ist die Veränderung festzustellen. Einst, 1948, waren Professoren und Studenten gemeinsam aus der Humboldt-Universität Unter den Linden ausgezogen, als der sowjetische Druck unerträglich geworden war, und hatten gemeinsam mit der kräftigen Hilfe der Amerikaner in Dahlem die Freie Universität errichtet - eine Hochschule, die in ihrem Demökratisierungsgrad Tillen ihren Schwesterinstitutionen weit voraus war. Wo wäre es damals sonst möglich gewesen, daß Assistenten und Studenten im Senat durchaus anerkannt am Meinungsbildungsprozeß mitwirken konnten?

Zwanzig Jahre später hatte die Insellage die Menschen neurotisiert. Die Professoren waren konservativ geworden. Die Studenten setzten sich zu einem guten Teil aus jungen Männern zusammen, die im Westen der Wehrpflicht entgehen wollten, zum anderen Teil aus solchen, die sich aus dem Osten abgesetzt hatten, nachdem sie dort bereits ideologisch infiltriert worden waren. Und auch der Rest reagierte so neurotisch, daß auch Studenten aus urbürgerlichen Familien die „Roten Zellen“ wählten, weü sie glaubten, ihrem Unbehagen nur durch Vietnam- und AntiSchah-Demonstrationen, eingeschlagene Fensterscheiben, nieder-gejohlte Professoren und verschmierte Wände entgehen zu können.

Als damals die Strukturreform der Hochschulen ins Laufen kam, waren die Assistenten die treibenden Kräfte - so schien es natürlich, daß einer der ihren, Peter Kreibich, erster von allen Gruppen (und mit Ubergewicht von links-außen) gewählter Präsident der FU wurde.

Die Reform sollte die Gruppenuniversität bringen, in der die „ständischen“ Interessen von Professoren, Assistenten und Studenten in den gemeinsam beschickten Gremien durch die jeweiligen Fachinteressen überdeckt werden sollten. Soweit kam es aber nicht, stellt nun Lämmer im Rückblick fest, denn die politisch-ideologische Polarisierung war stärker und endete im Chaos.

Quer durch die Gruppen fanden sich Linksextreme, Gemäßigt-Linke und die unter dem Sammelbegriff „Liberal“ subsumierten übrigen in Fraktionen zusammen, denen politische Positionen wichtiger schienen als die Notwendigkeiten des jeweiligen Fachs.

Das war die Zeit, da das „allgemeine politische Mandat“ die Studenten mehr beschäftigte als das Diplom und die spätere Berufslaufbahn, da endlose Sitzungen jeden Lehr- und Forschungsbetrieb paralysierten und die kommunistisch dominierten Institutsvertretungen die Berufung so manchen mißliebigen Professors verhinderten.

Zehn Jahre Abstand aber bedeuten auch zehn Jahrgänge neuer Studenten - den Hörern von 1979 sind die Krämpfe ihrer Vorgänger schon Geschichte. Die Schulreform, die Arbeitsmarktsituation haben mitgeholfen, die Blickrichtung zu verändern. Die seit der Mittelstufe geübte Hetze nach Punkten, die eine Uberwindung des Numerus Clausus versprechen, setzt sich auf der Hochschule fort in der Hetze nach „Zetteln“, die die verlangten Prüfungen bestätigen, denn der Arbeitsmarkt ist angespannt. Und die Berliner Zeugnisse haben aus den vergangenen Jahren einen etwas umstrittenen Ruf.

Die Revoluzzer von einst sind zum guten Teil längst integrierte Akademiker in Staat und Wirtschaft geworden. Manche, die sich nicht anpassen wollten, sind im Untergrund, im Terrorismus gelandet - etliche Männer und Frauen, die heute noch auf den Fahndungsplakaten der Polizei prangen, haben einst hier studiert.

Aber auch die Zeit der straff organisierten - und sichtlich vom Osten her gelenkten - Kader scheint vorbei zu sein. Wohl gibt es noch extreme Gruppen, aber so manches Ereignis, das einst sicher mit Demonstrationen, „Sit in“ und Schlägereien beantwortet worden wäre, Wird heute gar nicht mehr zur Kenntnis genommen. Die Extremen von heute sind die „Sponti“, die spontan Ausbrechenden, denen einmal das Temperament durchgeht, auch wenn sie bis dahin brav mitgearbeitet haben, I

Das ist die Landschaft, in der nun der zweite Präsident der FU sein Bemühen dareinsetzt, die Gruppenuniversität zum Erfolg zu bringen. Für

„Die Revoluzzer von einst sind zu integrierten Akademikern geworden“ ihn ist sie die einzige Form der Universität, die dem Auftrag gerecht werden kann, ein Fünftel bis ein Viertel der Bevölkerung aufzunehmen und weiterzubilden. Aber nun sind die Strukturen durch die Polarisierung verkrustet. Lämmert muß sie erst aufbrechen.

Ein erster Vorstoß in dieser Richtung ist ihm bereits gelungen. Er hat seine fünf Vizepräsidenten nicht nach Fraktionen wählen lassen, sondern nach Fachbereichen, um den Interessen der verschiedenen Disziplinen den Vorrang zu geben. Auch wenn so manche dagegen waren.

Nun steht ein neuer Einbruch bevor: die Novelle zum Hochschulgesetz sieht vor, daß die Lehre an der Universität nur von „Hochschullehrern“ erteilt werden darf - als solche gelten in Deutschland aber nur die drei Arten von Professoren, ordentliche, außerordentliche und außerplanmäßige (die in Österreich etwa den habilitierten und mit Professortitel versehenen Oberassistenten entsprechen).

Das würde bedeuten, daß die Zahl der Professorenstellen verdreifacht werden müßte, um die Assistenten aus der Lehre abzuziehen. Nach Lämmerts Ansicht sollte das Verhältnis zwischen Professoren und Assistenten, das heute etwa 1 zu 3 beträgt, damit umgedreht werden: auf drei Professoren ein Assistent, der sich vor allem seiner wissenschaftlichen Fortbildung widmen sollte -und der damit eine sichere Anwartschaft auf eine spätere Professur haben könnte. Die deutsche Universität wird wohl auch in den achtziger Jahren kaum zur Ruhe kommen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung