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Rote Universitäten?

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Hat die deutsche Universität rar Zeit eine Durststrecke zu durchstehen, nach deren Überwindung sie sich in zehn, fünfzehn Jahren zum Ideal einer im sozialistischen Sinn demokratisierten Institution mausern wird? Oder schlittert sie in eine Katastrophe, in ein Chaos, das sie auf viele Jahre hinaus ihre Effektivität in Lehre und Forschung kosten muß? Um diese Fragen drehen sich in diesen Wochen und Monaten zähllose Gespräche, und mit ihnen befaßte sich auch eine kleine Gruppe ausländischer Experten, die auf Einladung der deutschen Regierung Hochschulen und Zentralstellen besichtigte. Die Antwort sei vorweggenommen: Wahrscheinlich wird.die Lösung irgendwo in der Mitte liegen.

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Hat die deutsche Universität rar Zeit eine Durststrecke zu durchstehen, nach deren Überwindung sie sich in zehn, fünfzehn Jahren zum Ideal einer im sozialistischen Sinn demokratisierten Institution mausern wird? Oder schlittert sie in eine Katastrophe, in ein Chaos, das sie auf viele Jahre hinaus ihre Effektivität in Lehre und Forschung kosten muß? Um diese Fragen drehen sich in diesen Wochen und Monaten zähllose Gespräche, und mit ihnen befaßte sich auch eine kleine Gruppe ausländischer Experten, die auf Einladung der deutschen Regierung Hochschulen und Zentralstellen besichtigte. Die Antwort sei vorweggenommen: Wahrscheinlich wird.die Lösung irgendwo in der Mitte liegen.

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Den alten Problemen, dem Rückstand in Leistung, Mitteln und Formen, sollte durch die Reformen abgeholfen werden, die in den vergangenen Jahren eingeleitet wurden. Man gründete ein halbes Dutzend neuer Universitäten, ebenso um den wachsenden Zustrom an Studenten aufzufangen, wie um an neuem Ort unbelastet von Traditionen neue Formen durchexerzieren zu können. Wie weit sind diese Versuche gelungen? Darüber gehen die Meinungen auseinander.

Innere Organisation und Führungsspitze einerseits. Mitbestimmung anderseits waren die beiden Zentralanliegen. Die herkömmlichen Fakultäten schienen zu groß, die von einem einzelnen Ordinarius geführten Institute zu sehr seiner Alleinherrschaft ausgeliefert. So teilte man die Fakultäten in Fachbereiche oder Fachabteilungen, die als einzige Entscheidungsinstanzen übrig bleiben sollten — und sah sehr bald, daß sie zu groß waren, um nicht doch wieder nach einer Untergliederung zu rufen. Die „entmachteten“ Ordinarien aber konnten nicht arbeiten, wenn ihnen nicht wenigstens eine Grundausstattung : an Assistenten und Apparaten' zur Verfügung stand, über deren Einsatz sie nicht erst beim Fachbereich anfragen mußten.

in der Reihenfolge der Fakultäten und der Anciennität, ist längst auch in Österreich als überholungsbedürftig erkannt worden. Der Gedanke war richtig, diese Funktion wenigstens befristet zur Hauptfunktion zu machen und auch alle an der Wahl zu beteiligen, deren Vorgesetzter .der Rektor sein würde. Aber die im Sinn der „Demokratisierung“ an verschiedenen Universitäten , eingeführten Paritäten in den Wahlmännergremien hatten zur Folge, daß heute beide Universitäten in Berlin wie jene in Hamburg und Frankfurt und der Gründungsausschuß für Bremen von Männern geleitet werden, die der „Spiegel“ als „kritische Nachwuchsakademiker“ bezeichnet, Präsidenten oder Rektoren zwischen 31 und 37, die bis zu ihrer Wahl als Assistenten Dienst taten.

Im ersten Reformerelan hatte man die Bildung dreier gleicher Gruppen auf allen Ebenen versucht. Das mußte in die Irre führen. Heute gibt es ein Dutzend verschiedener Schlüssel, in die1 auch das nichtwissenschaftliche Personal einbezogen ist. Wie immer er lautet — an kleinen Hochschulen mit ruhiger Atmosphäre beginnt sich die Zusammenarbeit einzuspielen. An großen, auch an neuen, reformfreudigen, gibt es Schwierigkeiten. Ein ganzer Tag Diskussion jede zweite Woche im „Parlament“ in Bochum oder im „Großen Senat“ von Heidelberg — ein gigantischer Zeitaufwand. Wird er sich amortisieren?

Vorläufig drückt er noch stark auf die Bilanz, auf deren Negativseite auch die Abwanderungsbewegung der. Professoren zu verzeichnen ist. Ein lebhaftes Hin und Her auf dem Professorenmarkt hat es immer gegeben — damit konnte man sich ge-haltlich hocharbeiten. Heute aber verläuft die Bewegung immer mehr von Berlin weg nach den Neugründungen im Westen, von den Großen zu den Kleinen — und, ein Alarmzeichen, weg von der Universität in parauniversitäre Institute oder in die Industrie.

Deutsche Universität — wohin? Die erwähnten Gäste aus den USA, aus Kanada, aus Israel, die in diesen Wochen alle diese Entwicklungen beobachteten, stellten diese Frage allen ihren Gesprächspartnern — mit spürbar skeptischem Unterton. Die studentische Unruhe hatte ja von Berkeley herübergeschlagen nach Berlin — drüben hat sie längst andere Ziele angepeilt. Auch in der Bundesrepublik scheint sich die extreme Linke auf andere Probleme einzuschießen — Kambodscha. Kriegsforschung, in Berlin das „Handgranateragesetz“ scheinen ihr wichtiger als Paritäten in Senat und Fachbereich. Trotzdem sind die Studentenvertretungen von jenen Gruppen beherrscht, die sich mit Hammer und Sichel, mit Mao-Porträts kennzeichnen — denn die Wahlbeteiligung bleibt bei 40 Prozent stehen, womit den Radikalen die Tür geöffnet wird.

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