6597427-1953_15_06.jpg
Digital In Arbeit

Die letzten Bastionen

Werbung
Werbung
Werbung

Das Studienjahr 1952/53 hat den Universitäten der deutschen Ostzone eine noch engere Bindung an die Ideologie ihres Staates gebracht. Das Drama, das jetzt an diesen Stätten ehemals höchster deutscher Geisteskultur abläuft, tritt vielleicht nach außen nicht so in Erscheinung wie andere Ereignisse des staatlichen und politischen Lebens. Denn der Osten weiß, daß er zuerst die Bollwerke des Geistes in seine Hand bringen muß, das andere wird sich ihm früher oder ^>äter ergeben müssen oder hat sich ihm schon ergeben. So rechnet er.

Um schon äußerlich die Zugehörigkeit und Abhängigkeit zu demonstrieren, tragen alle Vorlesungsverzeichnisse nun am Kopf ihres Titelblattes die Aufschrift: Deutsche Demokratische Republik, Staatssekretariat für Hochschulwesen. Die akademische Verwaltung ist ja schon zum größten Teil in die Hände der Regierangs- und Parteistellen übergegangen.

Getreu dem alten Grundsatz: Teile und herrsche! zerschlug der Staat erst einmal die bestehenden Fakultäten in eine Anzahl spezialisierter Abteilungen. Die Ueberwachung wurde dadurch erleichtert, die Möglichkeit eines Widerstandes fast ausgeschaltet, wenigstens eines systematischen Widerstandes. So bestehen nun an der Humboldt-Universität Berlin eine philosophische, juridische, wirtschaftswissenschaftliche, pädagogische, theologische, medizinische, mathsmatisch-natur-wissenschaftliche, landwirtschaftlich-gärtnerische, forstwirtschaftliche und veterinärmedizinische Fakultät. Eine ähnliche Einteilung besteht auch an den anderen Universitäten. Die Verwaltung der Universitäten wurde gleichfalls aufgesplittert. Das Amt des Rektors ist zwar in seiner personellen Einheit noch erhalten, doch wurden je ein Prorektor für das gesellschaftswissenschaftliche Grundstudium, für Forschungsangelegenheiten, für wissenschaftliche Aspirantur und für Studentenangelegenheiten aufgestellt. Der akademisehe Senat besteht aus dem Rektor, den vier Prorektoren, den Dekanen, dem Direktor der Arbeiter- und Bauernfakultät, drei Wahl-senatoren, Vertretern der Betriebsgewerkschaftsleitung und (bei studentischen Angelegenheiten) einem Vertreter der Studentenschaft.

Die Grundlage jedes Studiums bilden Vorlesungen über Marxismus und Leninismus. Diese Vorlesungen werden an jeder Fakultät abgehalten und mit obligatorischen Zwischenprüfungen abgeschlossen. Am ausgeprägtesten sind diese Veranstaltungen natürlich an den philosophischen Fakultäten. So zeigt ein Vorlesungsverzeichnis folgende feierliche Ankündigung: „Grundlagen des Marxismus-Leninismus, Seminar dazu, Politische Oekonomie, Dialektischer und historischer Materialismus, Seminar dazu, Konsultation dazu, Spezialseminar dazu.“ Am schlimmsten steht es mit den juridischen Fakultäten. Begreiflicherweise hat der Kommunismus hier das meiste Interesse, alles zu zerschlagen, um es dann mühelos an sich zu reißen. Kiel hat keine juridische Fakultät, sondern nur ein Institut für Gesellschaftswissenschaften, Leipzig und Berlin nur je drei ordentliche Professoren und einige Dozenten. Der Strafrechtler von Berlin, ein holländischer Kommunist ohne besondere akademische Vorbildung, ist zugleich Vorstand der zentralen Richterschule, bildet also den gesamten Richterstand der Ostzone aus. Die medizinischen und theologischen Fakultäten sind noch am meisten vor allen Einbrüchen der SED-„Kultur“ bewahrt geblieben, obzwar natürlich auch sie marxistische Dozenten für Pflichtvorlesungen über Materialismus zugeteilt erhielten.

Die Studienbestimmungen sind dem Interesse der DDR entsprechend gehalten. Voraussetzung für die Zulassung ist „Gewähr der Mitarbeit am Aufbau der DDR“. Die freie “Wahl des Studienfaches ist aber weitgehend durch die Lenkung eingeschränkt und erfolgt ausschließlich „durch die zentrale Hochschulkommission beim Staatssekretariat für

Hochschulwesen der DL T nach dem von der staatlichen Plankommission angegebenen Arbeitskräftebedarf“. Ein Wechsel der Fakultäten ist nur mit Genehmigung der Fakultät möglich, über Wechsel im Studienort entscheidet das Staatssekretariat.

Von Rußland wurde die Einrichtung der Arbeiter- und Bauernfakultäten übernommen. Voraussetzung ist nur der Besuch der Grundschule (Volksschule), der Kurs selbst dauert drei Jahre. Es werden aber nur Personen im Alter von 17 bis 30 Jahren aufgenommen, deren Eltern vor dem 1. Jänner 1942 als Arbeiter in der Industrie oder Landwirtschaft tätig waren.

Für alle Studierenden ist Russisch für die Dauer des ganzen Studiums Pflichtfach. Beim Staatsexamen ist eine schriftliche Zusammenfassung der Arbeit in russischer Sprache abzuliefern. Außerdem findet eine mündliche Prüfung in Russisch statt.

Nach außen gesehen scheint der Kampf an den deutschen Universitäten aussichtslos zu sein. Vielleicht ist es nur eine Frage der Zeit, bis es dem Kommunismus gelingt, diese Anstalten an sich zu ziehen und vollkommen botmäßig zu machen. Vielleicht sind die geistigen Kräfte stärker. Man darf nicht vergessen, daß das Gros der ostzonalen Hoch-schullehrr- nicht auf die materialistische Doktrin hört und einen zähen geistigen Widerstand leistet. Viele Universitäten haben noch Männer in ihren Mauern, deren Namen in der Wissenschaft der ganzen Welt bekannt sind. So Brockelmann (Orientalistik) und Eißfeld (Altes Testament) in Halle, Steuernagel (Hebräist) in Greifswald, Werner Krauss (Romanist), Robert Schröder (Medizin), Friedrich Alt (Altes Testament) in Leipzig und Hugo Preller (Historiker) in Jena. Dies sind nur einige aus der Zahl derer, die noch eine Hoffnung lassen. Ob ihre Kräfte ausreichen werden, ihre Forschungsstätten vor dem endgültigen Zugriff des Bolschewismus zu bewahren?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung