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Prag streicht die akademische Freiheit

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Der Gesetzentwurf, mit dem sich Regierung und Parlament der Tschechoslowakei kürzlich befaßten, bedeutet, wie die offiziellen Prager Kommentare dazu versichern, das Ende der „sogenannten unpolitischen Hochschule“, das Ende der akademischen Freiheit und das Ende der Freiheit der Wissenschaft — diese Bezeichnungen hätten ja nur zur Verdek-kung der reaktionären Haltung der Hochschulen gedient und als Mäntelchen, unter dem volksfeindliche Theorien und eine bourgeoise Pseudowissenschaft verbreitet worden seien. Diese „Reservationen für die Erziehung einer der kapitalistischen Gesellschaftsordnung ergebenen Intelligenz“ zu beseitigen, sei die vordringlichste Aufgabe des neuen Gesetzes.

Aufgabe der Hochschulen ist es von jetzt an, „fachlich und politisch hochqualifizierte Arbeiter“ heranzubilden, die der volksdemokratischen Republik und der Idee des Sozialismus treu ergeben sind. Das Gesetz stellt, wie Unterrichtsminister Nejedly im Ministerrat erklärte, die logische Fortführung des Schulgesetzes dar, das die Einheitsschule einführte und damit die Schulreform einleitete. Die Hochschulen sind Staatsanstalten und werden vom Staat verwaltet. Dem mit der Leitung beauftragten Ministerium für Schulwesen, Wissenschaften und Künste wird als Beratungsorgan der „Staatsausschuß für die Hochschulen“ beigegeben, der zu zwei Dritteln aus Hochschulprofessoren besteht und in dessen Kompetenz nicht nur alle organisatorischen und wirtschaftlichen Hochschulangelegenheiten fallen, sondern auch die Personalangelegenheiten, die Studienpläne, die Verleihung akademischer Grade u. dgl. für die vier Universitäten, drei technischen Hochschulen, fünf Akademien der bildenden beziehungsweise musischen Künste und acht weiteren Hochschulen des Staates.

Der Kompetenz des Unterrichtsministeriums werden jedoch die theologischen Fakultäten entzogen; sie werden dem Staatsamt für kirchliche Angelegenheiten unterstellt.

Jede einzelne Hochschule wird von einem „Rat der Hochschule“ verwaltet, an deren Spitze der Rektor steht; in ähnlicher Weise stehen den Dekanen Fakultätsräte zur Seite; eine Neuerung sind die „Katheder“, die als „Kollektive“ der Lehrer desselben wissenschaftlichen oder künstlerischen Faches oder mehrerer eng verwandter Disziplinen umschrieben werden. Russischem Vorbild ist man mit der Errichtung der „Aspiranturen gefolgt, Studenten noch einige Jahre nach Abschluß ihres Studiums dienen.

Die in Vorbereitung stehenden neuen Studien- und Prüfungsordnungen sollen eine Planung und Kontrolle des Hochschulstudiums gewährleisten, vor altem soll eine gründliche Reform des Studiums an den technischen Hochschulen in Kürze in Angriff genommen werden, nachdem bereits im vorigen Herbst das Studium der Gesellschaftswissenschaften völlig umorganisiert worden war. Damals hatte man die Prager Handelshochschule, die 1945 in Hochschule für Wirtschaftswissenschaften umbenannt worden war, mit der Hochschule für politische und soziale Wissenschaften zusammengelegt und so eine neue Hochschule geschaffen, die ursprünglich als Hochschule für Gesell-Schaftswissenschaften bezeichnet werden sollte, schließlich aber den Namen „Hochschule für politische und Wirtschaftswissenschaften“ erhielt. (Die kurz vorher in Brünn errichtete Hochschule für Sozialwissenschaften wurde bei dieser Gelegenheit wieder aufgelöst.) Die neue Hochschule, deren Aufgabe die Heranbildung der führenden Männer des politischen und wirtschaftlichen Lebens sein soll und die jährlich mehr als tausend Absolventen verlassen werden, verzichtet als erste Hochschule der Tschechoslowakei auf die Reifeprüfung als Aufnahmebedingung.

Als an der Land- und forstwirtschaftlichen Hochschule das neue Semester eröffnet wurde, da begrüßten nach dem Dekan, der mit der traditionellen goldenen Kette erschienen war, ein Traktorenführer und eine landwirtschaftliche Arbeiterin die Studenten, um die Einheit von Theorie und Praxis zu dokumentieren, und unter den 231 neuen Hörern dieser Schule befinden sich 74 Landarbeiter, die durch die staatlichen Vorbereitungskurse zur Hochschulreife vorbereitet worden waren. Es erschien aber auch Landwirtschaftsminister Duris, begleitet vom Vertreter des Unterrichtsministers, um das Interesse der höchsten Stellen des Staatfes und der Partei zu bekunden.

Wenige Wochen vor der „Machtübernahme“ im Februar 1948 hatte noch der Informätionsminiäter Hochschulprofesso-ren und Studenten schärfstens angegriffen: „Die Hochschulen vermitteln in der Tschechoslowakei“ — so sagte Minister Kopecky damals — „nicht einmal so viel Bildung, wie sich ein Arbeiter aneignet, der laufend die kommunistische Zeitung liest... Ich könnte davon erzählen, wie in unseren Industriebetrieben schon oft Stimmen laut wurden, daß sich die Arbeiter nicht mehr länger dafür plagen werden, damit für Milliarden von Staatsgeldern an den Hochschulen Bastionen der Reaktion errichtet werden ... Wir glauben, daß die Studenten früher oder später alle mit uns gehen werden. Nichts anderes wird ihnen übrig bleiben ... Ihr werdet sehen, daß es so weit kommen wird, jetzt latht ihr nodi darüber!“

Schnell genug war den Studenten das Lachen tatsächlich vergangen — fast 10.000 fielen während des folgenden Jahres der Säuberung durch den neuen Unterrichtsminister zum Opfer; sie wurden, wie die amtliche Mitteilung darüber besagt, .lebenswichtigen Berufen zugeführt“.

Man verzichtete freilich auch nicht ganz darauf, an die Tradition anzuknüpfen: Die 600-Jahr-Feier der Prager Universität im April 1948, bei der Präsident Benes noch einmal mit einer knapp drei Minuten währenden Rede in Erscheinung trat — seiner ersten öffentlichen Rede nach dem Staatsstreidi und seiner letzten überhaupt —, benützte auch Klement Gottwald zu einer grundsätzlichen Erklärung: „Die Karls-Universität hat in der Tat eine ruhmreiche Geschichte. Aber sie wird eine noch großartigere Zukunft haben, wenn sie ihre Aufgabe erfüllt, dem Volk mehr und mehr tatsächliche Intelligenz zu schenken...“ Und über den neuen Geist, der heute durch die Hörsäle der Hochschulen geht, sagt Unterrichtsminister Nejedly: „Die liberale Schule ließ mehrere Wahrheiten zu, die marxistische Schule kennt nur eine einzige Wahrheit, die tatsächliche Wahrheit, die auf der ganzen Welt eine und dieselbe ist.“ Und der Mathematiker Mu-karovsky, der ein paar Tage vor der 600-Jahr-Feier den durch die Absetzung von Professor Englis vakant gewordenen Posten eines Rektors der Prager Universität übernahm, legte in seiner Antrittsrede ein Bekenntnis zur parteigebundenen Wissenschaft ab.

Als Staatspräsident Gottwald auf dem letzten Parteikongreß der KPC den Ruf nach einer „neuen Intelligenz“ erhob, konnte er gleichzeitig feststellen, daß bereits alles in die Wege geleitet wurde, sie zu schaffen — soweit und wenn überhaupt dies eben mit den Mitteln einer „Planung und Kontrolle“ möglich ist.

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