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Die „strammen Akademiker“

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Diese junge Intelligenz war allerdings nationalistisch und zum Großteil antimarxistisch eingestellt und mußte daher nach dem siegreichen kommunistischen Umsturz erneut von den Hochschulen entfernt werden. Bei der Säuberung 'gingen die Kommunisten allerdings nicht so brutal vor, wie es die deutschen Nazis taten. Sie eliminierten die ihnen unliebsamen Elemente von den Hochschulen durch die Einführung der sogenannten „Kaderblätter“. Alle Studenten, die nicht eine lückenlose proletarische Abstammung vorweisen konnten, wurden vom Weiterstudium ausgeschlossen, und den Nachkommen des Mittelstandes blieb der Besuch von Hochschulen über ein Jahrzehnt versagt. Die Zeit der Schnellsiedekurse, der Richtererziehung innerhalb sechs Wochen, des Ärzteausstoßes nach sechsmonatigen „Studien“ usw. begann.

Zu Hunderten schickte man stramme Kommunisten, kaum des Schreibens und Lesens mächtig, auf die Hochschulen und machte aus ihnen innerhalb kürzester Zeit Akademiker. Diesen „Akademikern“ aus Parteignade verschaffte man nicht nur Pöstchen, sondern auch Posten.

Die katastrophalen Folgen konnten nicht ausbleiben. Nur ein geringer Teil jenes Personenkreises, welchem die Chance gegeben wurde und der sich ehrlich und ernsthaft weiterbildete, zeigte sich auch des Vertrauens der Partei würdig: der Großteil der so unerwartet zu Ehren Gekommenen mußte versagen. Nachdem der jugendliche Elan sich verflüchtigt hatte, kam für die Zwischengeneration die grausame Ernüchterung. Jene Ernüchterung, die, soziologisch gesehen, eine enorme Explosivkraft in sich birgt. Seit den sechziger Jahren verlassen die tschechischen und slowakischen Hochschulen mit kommunistischem Rüstzeug versehene, aber bereits bestens qualifizierte Jungakademiker jährlich zu Tausenden — an den 38 Universitäten, Hochschulen und Akademien der Tschechoslowakei studieren heute auf 102 Fakultäten nahezu 92.000 Studenten —, für die es .gilt, Arbeitsplätze zu finden.

Die neue Generation

Diese Jugendlichen, die sich mit einem bemerkenswerten Elan weiterbilden und die unbedingt den Anschluß an die Jugend Europas finden wollen, sind ernüchtert, realistisch, materialistisch und vollends apolitisch eingestellt. Verschiedene soziologische Studien über dieses Problem, die laufend in den tschechischen Kulturzeitschriften und Stu- dentenblättem veröffentlicht werden, sollten für die Machthaber ein sehr ernst zu nehmendes Warnungszeichen sein. Wenn sich die Führer der kommunistischen Jugend auf den Universitäten über das völlige Desinteresse ihrer Kommilitonen beklagen, könnte man vielleicht noch mit einem Achselzucken darüber hinwegsehen, was jedoch bei dem erschrek- kend sprunghaften Ansteigen der Jugendkriminalität nicht mehr der Fall sein darf.

Wenn sich die kommunistischen Jugendführer darüber beklagen, daß ihnen die Lenkung der akademischen Jugend völlig aus der Hand geglitten ist, ist dies einzig und allein der verfehlten Studienpolitik der letzten Jahre anzukreiden. Hier spielt das Generationsproblem eine entscheidende Rolle. Die akademische Jugend sieht in den eigenen Vätern — mögen diese noch so große politische Verdienste aufzuweisen haben — keine Vorbilder und Pioniere, sondern in der Aufwärtsentwicklung steckengebliebene Halbintelligenzler, die der eigenen Klasse verlorengegangen sind, aber nicht befähigt genug waren, einen eigenen neuen Mittelstand zu bilden, die der Jugend aber den Weg nach oben versperren. Psychologisch verständlich, daß gerade diese Jugend ihre geschwächte gesellschaftliche Position durch vermehrtes geistiges Rüstzeug kompensieren will.

Die heutige akademische Jugend der Tschechoslowakei ist von einer Lemwut befallen, die kaum zu überbieten ist. Sie interessiert sich außer für Tagespolitik für alles, bildet sich vielseitig, nicht nur im eigenen Fach. Diesem unbändigen vielseitigen Interesse wird auch das neue Hochschulgesetz gerecht. Die böhmischen und slowakischen Universitäten werden in den kommenden Jahren hervorragende Fachleute und wertvolle Individualisten hervorbringen — sofern das Gesetz auch dem Buchstaben nach durchgeführt wird. Ob die Kommunisten dann auch an dieser akademischen Jugend ihre Freude haben werden können, gehört auf ein anderes Blatt, das wir erst in etwa zehn Jahren lesen werden.

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