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Die übersprungene Generation

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Obwohl sich Soziologen und Psychologen eingehend mit den Protest- phänomenen in einem Teil der jungen Generation beschäftigen, hat es den Anschein, als würde ein Charakteristikum dieser Anti-Establishment-Begegnung kaum beachtet: Die Tatsache, daß es sich hier vielfach gar nicht um einen Aufstand gegen die Väter und deren Generation handelt. „Establishment” ist für die nach Reform strebenden jungen Menschen, die — vor allem in ihrem ernst zu nehmenden Teil — etwa zwischen 20 und 25 Jahren zählen, nicht nur die Generation der Fünfzigjährigen und Alteren. Sie wenden sich ebenso entschieden und manchmal sogar noch agressiver gegen Dreißig-, Fünfiunddreißig-, höchstens Vierzigjährige.

Der junge Mann, der auf Grund außerordentlicher Begabung mit kaum 30 Jahren Hochschullehrer oder Leiter eines Forschungslabora- toriums ist, die Künstlerin, die an Jahren den Protestierenden oft noch näher steht, sind nur durch eine altersmäßige Minimalspanne von der „Jugend” abgehoben. Vielfach befinden sie sich in ihrem eigenen Wirkungsbereich selbst noch in einem, wenn auch mit anderen Mitteln ausgetragenen, „Generationskampf”, etwa in der Konkurrenz mit jenen, die im siebenten Lebensjahrzehnt und, nicht zuletzt dank der modernen Medizin, tatsächlich noch auf der vielizitierten Höhe der Schaffenskraft stehen. Nicht selten hat der zur Spitze strebende Vierzigjährige einen Mann vor sich, der — damals relativ jung — im Zuge der Ereignisse von 1945 an die Führungsposition gelangte, sich dort im Laufe der Jahre eingearbeitet hat und dort verbleiben wird, bis der nach heute (gerade noch) geltenden Maßstäben präsumtive Nachfolger gemäß den Maßstäben der Zukunft als „zu alt” qualifiziert werden wird.

Wenn Servan-Schreiber noch vor kurzem eine „Machtübernahme” durch die Vierzigjährigen Vorhersagen und wohl auch begrüßen konnte, so hat es heute den Anschein, als würde in der Generationsauseinandersetzung eben diese Altersgruppe, zu der in einer Reihe von Fällen auch schon Fünfundreißig-, ja, heute Dreißigjährige gehören können, an der vollen Entfaltung und Auswertung ihrer Kapazität gehindert werden.

Dazu mag die Tatsache beitragen, daß nicht wenige Möglichkeiten der speziellen beruflichen Weiterbildung für diese Altersgruppe noch nicht offenstanden. Bildungsstätten einer echten Elite, wie etwa das Institut für Höhere Studien oder die Diplomatische Akademie, bestehen erst seit relativ kurzer Zeit; auch auf Hoehschulboden haben sich erst in jüngster Vergangenheit eine Reihe neuer Studienmöglichkeiten aufgetan — eine begrüßenswerte Ent- wickung, bezüglich derer nur zu wünschen ist, daß sie von den Nach- rückenden voll genutzt wind. Die Frage, in welches Verhältnis eine soeben abgeschlossene theoretische Ausbildung gegenüber einer zielstrebigen Aneignung spezifischer Erfahrung der Praxis an die konventionelle Ausbildung zu setzen ist, wird jedoch von Fäll zu Fall gründlich zu prüfen sein. Zweifellos wird sich für die „noch Jungen”, also die etwa Dreißigjährigen, in vielen intellektuellen Berufen die Frage nach der Weiteihildung und der Aneignung zusätzlichen theoretischen Wissens in den nächsten Jahren dringend stellen. Sie stellt sich heute bereits für eine in Österreich noch relativ stille Gruppe: für jene Frauen nämlich, die nach Abschluß ihrer Studien und kurzer, oft erfolgversprechender Karriere mit Rück- sich auf Ehe und kleine Kinder den Beruf aufgegeben haben, nach einigen Jahren aber Anschluß an dieses Berufsleben suchen. Abgesehen von der menschlich unbefriedigenden Lage solcher Frauen mit brachliegendem Wissen ist hier das Beispiel einer echten Vergeudung von geistigen und auch materiellen Investitionen gegeben. Ohne das Rüstzeug einer Überbrückungsausbildung ist der Einsatz, gerade in gehobene- ren Berufen, aber nach mehrjähriger Pause kaum noch möglich.

Auch solche Probleme müßten in einem zeitgemäßen Ausbildungssystem berücksichtigt werden. Sie liegen der heutigen studierenden Generation begreiflicherweise fern, während sie auch bei der tatsächlich „älteren Generation” vielfach auf Verständnislosigkeit stoßens.

Die letzte Phase der Ablösung . VööÄftSikefl HochgöcjtaI fjto. so gut wie allen Branchen — wobei „von dßri ike 3ajif” sefoem heißen, kann „ohne zusätzliche Spezialausbildung” — müßte, rein von der Bevölkerungspyramide her gesehen, von eben jener Generation getragen werden, die von der sich anbähnen- den Entwicklung zwar nicht „überrollt”, aber doch nicht selten „übersprungen” zu werden droht.. Zweifellos hat sie in ihrem Anteil an der Vollendung dessen, was mit „Wiederaufbau” begann und zu dem geführt hat, was die militante Jugend als „Establishment” bezeichnet, einen Kräfteverschleiß zu verzeichnen, der in den Auswirkungen dem des Ertragens und Überlebens von Krieg und Wirtschaftskrisen gleichzusetzen ist. Wobei Ärzte und Psychologen nicht verabsäumen, darauf hinzuweisen, daß die heute Siebzigjährigen zumindest noch die frühe Jugendphase in einer Epoche der Sicherheit für sich buchen konnten. Die Frage, ob die indes erarbeiteten Fortschritte kinderpsycholo- gischer, pädagogischer und sogar medizinischer Art den positiven Zügen jener längst verschwundenen Atmosphäre der Geborgenheit die Waage halten können, ist noch nicht endgültig beantwortet, auch wenn man die grundlegenden Fehler des einstigen ErZiehungssystems voll in Rechnung stellt.

Eines jedenfalls wird den Jahrgängen von 1925 oder 1930 oder auch 1935 nicht erspart bleiben: die echte, keineswegs feindliche Auseinandersetzung mit den Nachrük- kenden. Für sie ist die Hoffnung mancher Älterer illusorisch, daß sie aämlich die Entwicklung der nächsten zehn oder fünfzehn Jahre nur loch als unbeteiligte Zuschauer mit- jrleben werden. Wie die Gesellschaft, in der sie sich „etabliert” aaben, sich weiterentwickeln wird, längt nicht so sehr vom Elan der Jungen als von der Einstellung und Haltung derjenigen ab, die vielleicht schon jetzt nicht ganz ohne Schuld laran sind, daß der Brückenschlag wischen den „Söhnen” und den .Vätern” so schwierig ist. Denn sie, lie in dieser Auseinandersetzung veder mit den Vätern noch mit den söhnen ganz identifiziert werden cönnen, könnten eines Tages außenstehende Leidtragende sein.

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