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Stimme ex cathedra

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Welche Gründe gibt es dafür, daß es in einem kommunistischen Land zu einer völligen Abkehr vom sowjetischen Vorbild kommen mußte? Mehr als offenherzig sprachen darüber in der Prager Nationalversammlung die an der Diskussion über das neue Hochschulgesetz beteiligten Abgeordneten, vor allem aber der neue Unterrichtsminister Prof. Dr. Jiri Häjek: „Indem wir in der letzten Zeit die Anzahl der Studenten auf unseren Hochschulen aufgebläht haben, brachten wir eine Reihe von wenig qualifizierten Kräften hervor, und unsere Arbeitgeber waren in vielen Fällen nicht geneigt, die allzu große Anzahl von minderwertigen Absolventen aufzunehmen.

In Zukunft werden wir daher auch auf den Hochschulen in erster Linie Wert auf die Qualität der Kenntnisse der Studenten legen und uns nicht mehr bemühen, Menschen mit Hochschulbildung am laufenden Band zu produzieren, sondern werden von den Studenten genauso wie vom Professorenkollegium bessere Arbeit verlangen.“

Wohl versuchte der Minister in seiner Parlamentsrede die bisher geübte Praxis der „Erzeugung von Akademikern“ mit dem Bedarf an politisch zuverlässigen jungen Fachleuten zu motivieren, trotzdem war seine Rede eine mehr oder minder unverhüllte Kritik an der bisherigen Form des Universitätsstudiums. Er kannte natürlich nicht von den Fehlem der letzten Jahre offen reden, aber seine schüchternen Anspielungen waren eine einmütige Absage an die stalinistische Erziehungspolitik.

Der Rückstoß von 1948

Als die Kommunisten 1948 die

Macht an sich rissen, wußten sie genau, daß sie aus politischen Gründen in erster Linie die Hochschulen von den sogenannten „reaktionären Elementen“ zu säubern hatten, wenn sie ihre Ziele erreichen wollten. Nur in den Methoden unterschieden sie sich von den deutschen Okkupanten, die ebenfalls mit ihrem ersten und schwersten Schlag, zu dem sie in ihrer Vernichtungspolitik gegen die tschechische Nation ausholten, mit der Schließung aller Hochschulen das tschechische Volk an seinem Lebensnerv trafen. Sechs Jahre lang — von

1939 bis 1945 — waren die Hochschulen im damaligen Protektorat Böhmen und Mähren geschlossen; die meisten Studenten wurden in Konzentrationslager gesperrt und vernichtet, im besten Fall zur Zwangsarbeit verschleppt. Ais dann 1945 mit Kriegsende die Befreiung kam, bedeutete dies für die Tschechen die Notwendigkeit der raschen Aufstockung des enormen Intelligenzverlustes. Sechs Jahrgänge an Ausstoß von Akademikern und der Tod zahlreicher junger Intelligenzler sollte genauso innerhalb raschester Zeit aufgeholt weiden, wie es auch galt, jene Lücke zu schließen, die durch die Vertreibung der Intelligenzschicht deutscher Nationalität entstanden war, die bekanntlich ebenso wie das jüdische Element in der Wirtschaft, in der Verwaltung, insbesondere aber in den technischen Berufen führende Positionen in der Zwischenkriegs-CSSR eingenommen hatte. Der verbliebene Teil der Jugend des tschechischen Mittelstandes strömte nach 1945 auf die Hochschulen.

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