6671923-1961_03_01.jpg
Digital In Arbeit

Hochschul Barometer

Werbung
Werbung
Werbung

Am 25, Jänner geht es auf den österreichischen Hochschulen seltsam zu. Für 24 Stunden ruht das akademische Leben. Hörsäle verwandeln sieh in Wahllokale, aus einem cand. phil. wird ein Kommissionsvorsitzender, während ein stud. med. vor den Toren der Alma mater Stimmzettel verteilt. Kein Wunder: statt dem historischen Proseminar oder den physikalischen Übungen stehen an diesem Tag Hochschulwahlen auf dem Vorlesungsverzeichnis.

Alle zwei Jahre wählen die österreichischen Studenten ihre Wortführer. Zum Unterschied von anderen Ländern sind Hochschulwahlen in Österreich immer auch ein politischer Urnengang, ein Barometer, an dem man die Stimmen der jungen akademischen Generation ablesen kann. Wie kam es dazu? Die Antwort auf diese Frage enthüllt ein Kapitel jüngster österreichischer Geschichte. Als Österreich 1945 wieder seine Selbständigkeit erlangte, wurden bekanntlich zuallererst von den Alliierten drei politische Parteien genehmigt. Entsprechend diesen drei Parteien bildeten sich auch an den Hochschulen 1945 zunächst drei Studentengruppen. Der „Verband sozialistischer Studenten“ und die „Kommunistische •Studentengruppe“ bekannten schon durch ihren Namen die enge Bindung zu einer politischen Partei. Die von jungen Katholiken gegründete „freie österreichische Studentenschaft" (FöSt.) betonte dagegen stets ihre organisatorische Unabhängigkeit von der Volkspartei, mit der sie sogar einen Vertrag abschloß, in dem die Volkspartei auf die Bildung einer Hochschulgruppe verzichtete. Im Herbst 1945 bildete die FöSt. zusammen mit den sich nach und nach wieder sammelnden katholischen Korporationen — dem farbentragenden Cartellverband (ÖCV), dem nicht farbentragenden Kartellverband (ÖKV) und den traditionalistischen „Landsmannschaften" — die „Union österreichischer Akademiker“.

Am 14. November 1946 warben diese drei Gruppen das erstemal um die Stimmen der Studenten. Damals entschied sich mehr als nur eine Studentenwahl. Kommunistische Demonstranten belagerten nämlich an diesem Tage die Universität Wien, drangen in das Gebäude ein, stürzten einen Studenten aus dem Fenster und attackierten andere schwer. Allein, das Ziel, eine Verhinderung der Wahl, wurde nicht erreicht. Am Abend des Tages, der an allen österreichischen Hochschulen eine Wahlbeteiligung von 82 Prozent gesehen hatte, war es erwiesen: die österreichischen Studenten

waren, belehrt durch den ihnen zuteil gewordenen Anschauungsunterricht, immun für jedes Werben des Linksradikalismus. Ganze drei Prozent gaben ihre Stimme den Kandidaten der kommunistischen Studentengruppe. Die sozialistischen Studenten erzielten mit 4526 (21,7 Prozent) einen Achtungserfolg. Unbestrittener Sieger des Tages aber war die Union österreichischer Akademiker: 15.654 (75,3 Prozent) aller Hörer an den österreichischen Hochschulen wählten die Kandidaten der Union, die somit die Studentische Selbstverwaltung weitgehend übernahmen.

Im Jänner 1948 wählten die österreichischen Studenten das zweitemal. Es war — verglichen mit der „Sturmwahl“ 1946 — ein ruhiger Urnengang. Die gleichen drei Gruppen warben wieder um Vertrauen, auch das Ergebnis war nicht wesentlich verschieden. Die Stimmenzahl für die Union ging etwas zurück (70,3 Prozent), die sozialistischen Studenten holten mit 26,2 Prozent etwas auf, der Kommunismus blieb weiterhin auf dem Hoch- schulboden bedeutungslos: 3,4 Prozent wählten seine Kandidaten.

Noch einmal sahen wir das Dreigespann — Union, Sozialistische Studenten, Kommunisten — bei den dritten Hochschulwahlen im Mai 1949 allein im Rennen. Daran änderte auch nichts, daß die kommunistische Studentengruppe auf Grund der ihr erteilten Lehren und einer allgemeinen Taktik ihrer Partei folgend, diesmal und seither stets sich im Tarnhemd als „Verband demokratischer Studenten" (VDS) vorstellte. 1949 stieg wieder ein wenig die Stimmenzahl der Union- Kandidaten (71,9 Prozent), und die ihrer sozialistischen Kollegen sank etwas zurück (24,4 Prozent). Bei den nun als VDS auftretenden Kommunisten gab es nichts Neues: 3,6 Prozent. Das auffallendste Merkmal dieses Wahlganges war die rückläufige Wahlbeteiligung (68,4 Prozent).

Zwischen Mai 1949 und Jänner 1951, dem nächsten Termin der Hochschulwahlen, wurde das sogenannte Hochschülerschaftsgesetz rechtskräftig, das der Österreichischen Hochschülerschaft den Charakter einer Körperschaft des öffentlichen Rechts gab und auch einen festen Wahlturnus — alle zwei Jahre — festsertzte. Außerdem gab es den Studenten völlige Wahlfreiheit. Jeder Student sollte die Möglichkeit haben, bei Vorlage einer bestimmten Anzahl von Unterschriften zu kandidieren. Allein schon bei den Wahlen 1951 zeigte es sich, daß von dieser Möglichkeit, mit Ausnahme der „individualistischen" Kunstakademien, wenig Gebrauch gemacht wurde. Interessant aber war das Auftreten einer Gruppe, die sich in Wien „Stuwag“ (Studentische Wahlgemeinschaft), in Graz „Bus“ (Bund unabhängiger Studenten) und in Innsbruck „Freiheitliche Studenten" nannte. Das „nationale Lager“ trat wieder an die Öffentlichkeit. Allein mit 62,12 Prozent behielt der Wahlblock trotz scharfer Konkurrenz auch diesmal im Zentral- ausschuß die absolute Mehrheit. Ihm folgte, wie gewohnt, der „Verband sozialistischer Studenten“ mit 21,6 Prozent, und erst an dritter Stelle mit 11,9 Prozent die Kandidaten der Stuwag, des Bus und der FS. Die Kommunisten verteidigten zäh ihre diesmal nicht ganz drei Prozent. Die ungültigen Stimmen hatten abgenommen, der Rückgang der Wahlbeteiligung hielt jedoch noch weiter an.

1953 war es wieder so weit. Die letzten beiden Arbeitsjahre waren damals für die Studentenvertreter de’ ,.Wahlblocks“ besonders schwer gewesen. Aus der anfänglichen Arbeitsgemeinschaft aller studentischen Frak

tionen zogen sich die Sozialisten zurück. Die Erhöhung der Studiengebühren durch das von einem dem „Wahlblock“ nahestehenden Minister geleitete Unterrichtsministerium erwies sich als schwere Hypothek. Dazu kam, daß sich das „nationale Lager“ auf Hochschulboden im „Ring freiheitlicher Studenten“ geeinigt hatte und eine lebhafte Agitation zur Wiedererlangung der einstmals dominierenden Stellung entfaltete.

Dieser Traum erfüllte sich nun doch nicht. Immerhin verlor der „Wahlblock“ bei den Jännerwahlen 1953 erstmals die absolute Mehrheit im Zentralausschuß, wo er freilich mit 49,4 Prozent die unbestrittene Führung behielt. Mit 32,1 Prozent hatte die deutschnationale Fraktion einen unbestreitbaren Bodengewinn erzielen können; sie war an die zweite Stelle aufgerückt. Der „Verband sozialistischer Studenten“, für den diesmal nur 16,7 Prozent gestimmt hatten, mußte sich mit dem dritten Platz begnügen. Besonders bemerkenswert war der Vorstoß der auf die Burschenschaften gestützten nationalliberalen Kräfte an der Technischen Hochschule in Graz und an der Tierärztlichen Hochschule in Wien. Die anderen Hochschulen, allen voran die Universität Wien - nach wie vor das unbestrittene Zentrum des studentischen Lebens in Österreich —, hielten dem „Wahlblock" die Treue.

ln dieser Situation erschien es angebracht, den „Ring" mit in die Verantwortung einzubeziehen. Hier sollte den gemäßigteren Elementen die Möglichkeit zur Entfaltung geboten werden. Sie nützten freilich nur zum Teil die Chance. Daß für einen ebenso lautstarken wie anachronistischen „BeutschnationalismuS“T’_Wrer’1ftn die damalige Führungsgruppe entfaltete, die junge akademische Generation in Österreich keinerlei Bedarf hatte, erwies sich am 27. Jänner 1955. Das Ergebnis war überraschend; Der „Wahlblock“ holte auf; Die absolute Mehrheit wurde mit 55,8 Prozent aller abgegebenen gültigen Stimmen zurückerobert; der „Ring freiheitlicher Studenten" trat am Platz, ja zeigte sogar mit 30,6 Prozent eine rückläufige Tendenz. Hatte man auch im sozialisti

schen Lager die Hoffnung auf breiten Bodengewinn unter den Jungen Akademikern schon lange aufgegeben, so war doch der weitere Rückfall auf nur noch 12,15 Prozent eine schmerzliche Überraschung. Die Kommunisten waren vom Hochschulboden praktisch verschwunden.

Die Studentenwahlen im Jänner 1957 standen unter dem Eindruck der so nahen ungarischen Erhebung. Hunderte geflüchtete ungarische Studenten hatten in Österreich Asyl gefunden. „Lebt nicht unter dem Glassturz“, mahnten Plakate des „Wahlblocks“. Die österreichischen Studenten bewiesen am Wahltag, daß sie nicht unterm Glassturz leben. Sie erteilten jedem Radikalismus eine massive Absage. Der „Wahlblock“ vereinigte wie

der 59,78 Prozent auf seiner Liste. Der „Ring freiheitlicher Verbände“ erreichte 27,88 Prozent und der „Verband sozialistischer Studenten“ elf Prozent.

Am 22. Jänner 1959 wählten die österreichischen Studenten zum achtenmal. Hauptcharakteristikum dieser Wahl: die Wahlbeteiligung stieg um fünf Prozent auf 70 Prozent. Der

„Wahlblock" hielt mit 57,6 Prozent seine Führung, an manchen Hochschulen — den Technischen Hochschulen in Graz und Wien zum Beispiel — verbesserte er sie. Die „Sozialistischen Studenten" konnten mit 14,11 Prozent einige Terraingewinne erzielen, während der „Ring“ mit seinen 27,02 Prozent konstant blieb. Der kommunistische „Verband demokratischer Studenten“ blieb mit seinen 1,21 Prozent im toten Rennen.

Und diesmal? Prophezeiungen sind müßig. Es waren keine leichten Jahre für die Studentenvertreter. Auf der Habenseite steht ohne Zweifel eine Steigerung der Aktivität. Stipendien und Krankenhilfsbeiträge aus den Mitteln der Hochschülerschaft sind gewachsen. Es ist gelungen, das Interesse der brei

ten Öffentlichkeit - links und rechts — für eine verstärkte Heimbautätigkeit, vor allem in der Bundeshauptstadt, zu wecken. Auch das seit einem Jahrzehnt geplante Studentenhaus in Wien I, Führichgasse, an dessen Fertigstellung manche schon nicht mehr glauben wollten, konnte vollendet und in Betrieb gestellt werden. Auf der anderen Seite überschattete die „große Politik“ immer stärker die studentische Selbstverwaltung. Als die Führung des „Wahlblocks“ vor zwei Jahren die sozialistische Gruppe auf den Hochschulen nach einer mehrjährigen Zusammenarbeit, in der die Sozialisten, ihrem Kräfteverhältnis auf Hochschulboden entsprechend, stets nur die Rolle des Juniorpartners gespielt hatten, in die Opposition entließen, mußten sie gewußt haben, daß sie sich nunmehr zwischen zwei Feuer begaben. Die sozialistischen Studenten nahmen ihre Chance sofort wahr und eröffneten, unterstützt von ihrem gesamten Parteiapparat und sekundiert selbst durch höchste Regierungsmit- glieder, die sich zu nicht sehr diplomatischen Briefen hinreißen ließen, eine lautstarke Opposition. Der RFS gefiel sich immer mehr in der Rolle des zuwartenden Dritten. Die Atmosphäre vergiftete sich von Monat zu Monat, bis sie in den spektakulären Ereignissen bei der Konstituierung der zentralen Wahlkommission, die selbst das Datum der Abhaltung der Hoch- schulwahlen in Frage stellten, ihren Krisengrad erreichte. Glaubt man auf diese Weise das an sich nicht gerade überentwickelte Interesse der Hochschüler, insbesondere das der mehr als zehntausend jungen Menschen, die das erstemal in ihrem Leben zur Wahlurne gehen, für die studentische Selbstverwaltung zu steigern?

Es ist zu hoffen, daß hier die Studentenwahl 1961 mit die Rolle eines reinigenden Gewitters erfüllt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung