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Keine Auferstehung für „Karteileichen“

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Die Schlacht im Polit-Kindergarten ist geschlagen, die neue Mandatsverteilung im Zentralausschuß der österreichischen Hochschülerschaft steht fest. Nachdenklich stimmt die Wahlbeteiligung. Nur 38,7 (1975: 39,6) Prozent der 97.776 (1975: 81.210) Wahlberechtigten schritten zu den Urnen. Waren die vielen Appelle, wählen zu gehen, vergebens? Sind tatsächlich fast zwei Drittel der Studenten uninteressiert an der Zusammensetzung ihrer Standesvertretung?

Die Zahl der Wahlberechtigten sagt im Prinzip sehr wenig aus, denn nicht alle sind „Studenten“ im landläufigen Sinn, viele nur noch „Karteileichen“. Das Wahlrecht besitzen nicht nur die Inskribierten, von denen etliche ein Alibistudium betreiben (um etwa billig eine Netzkarte zu bekommen), berufstätig sind und den Problemen der Hochschule daher eher gleichgültig gegenüberstehen, sondern alle Immatrikulierten.

Aus der Matrikel wird man aber nur gestrichen, wenn man entweder offiziell von der Universität abgeht oder mehr als zwei Semester nicht inskribiert hat. Es dauert dann manchmal ein weiteres Semester, bis die Streichung aus dem Wählerverzeichnis erfolgt So standen natürlich auch heuer noch „Studenten“ auf den Listen der Wahlberechtigten, die vor Monaten mit akademischem Grad die Hochschule verlassen haben oder sich vor mehr als einem Jahr zuletzt die Mühe machten, einen Inskriptions schein auszufüllen. Ob man da mit dem Wahlrecht nicht zu großzügig umgeht? Und sollte es an den Universitäten, diesen Pflegestätten moderner Wissenschaften, nicht möglich sein, die Wählerverzeichnisse „up to date“ zu halten?

Die Wahlbeteiligung war natürlich trotz allem nicht überragend. Um so mehr überrascht das schwache Abschneiden der extremen Gruppen, vor allem auf der rechten Seite. Für die Aktion Neue Rechte (ANR) wäre das geforderte Verbot völlig überflüssig gewesen, denn mit 454 Stimmen reichte es zu keinem Mandat. Total unter die Räder kam der ständig abbauende Ring Freiheitlicher Studenten (RFS), der vier seiner neun Mandate einbüßte, eines davon sicher wegen der ultranationalen Schlägertruppe.

Beachtlich schlug sich die Junge Europäische Studenteninitiative (JES), die sieben - statt bisher vier - Mandate eroberte und zur drittstärk- sten Studentenfraktion wurde. Diese Liste, die sich als einzige „konservativ“ zu nennen wagte, blieb dennoch unter ihren Möglichkeiten, nicht zuletzt wegen der massiven Propaganda des großen Siegers dieser Wahl.

Dieser war zweifellos die österreichische Studentenunion (ÖSU), die zwölf Sitze gewann und nun mit 33 die absolute Mehrheit im Zentralausschuß innehat. Vor Übermut muß die ÖSU aber sehr gewarnt werden. Ein großer Teil des Zuwachses ist durch die gemeinsame Kandidatur mit dem Forum Innsbruck und die Auflösung der einst abgespaltenen Demokratischen Studentenunion (DSU), die nur noch für den Hauptausschuß an der Technischen Universität Wien kandidierte, zu erklären. Der große Erfolg der ÖSU bedeutet für sie nicht nur viel Vertrauen, sondern auch sehr viel Verantwortung!

Wo blieb die Linke? Der Verband Sozialistischer Studenten Österreichs (VSStö) hielt sich angesichts der Querelen um den Bruch mit der Mutterpartei erstaunlich gut und besitzt nun elf Mandate, eines mehr als 1975. Es wäre auch ein.Fehler, die drei linksradikalen Gruppen, die - meist mit Stimmengewinnen - auf je zwei Mandate kamen, abzuschreiben. Etwa in der gleichen Größenordnung etablierte sich die Fraktion Theologie mit nunmehr zwei Mandaten statt einem und mit mehr als doppelt so vielen Stimmen wie 1975.

Alle Gruppen, außer dem RFS, profitierten von der Vermehrung der Mandate von 55 auf 65. Nach der Theorie sollte ein Mandatar 1500 Studenten vertreten, nach der Wahlbeteiligung ist es aber nur knapp ein Drittel davon.

Rückschlüsse auf die große Politik scheinen gewagt. Eine Absage an die radikale Rechte, ein Trend zur Mitte und eine Stagnation der Linken scheinen unverkennbar. Aber Hochschulwahlen haben eigene Gesetze und betreffen nur einen kleinen Teil der Jungwähler. Und interessieren anscheinend davon wieder nur eine Minderheit. 38,7 Prozent?

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