6795760-1971_10_04.jpg
Digital In Arbeit

Nicht beim Heurigen

Werbung
Werbung
Werbung

Das derzeitige Zauberwort in der Feen- und Fabelwelt der Wiener Universität heißt „Marsch durch die Institution". Damit entwickelten die global und folglich unscharf als „Neue Linke" bezeichneten Studentengruppen ihre Revolutionsstrategie. Erklärtes Ziel ist eine „antiimperialistische und antikapitalistische", kurz eine marxistische Universität.

Erste Etappe dieses Marsches zur Macht sind Basisgruppen und Institutsvertretungen. Die Methode, um in diesen Gremien zu dominieren, ist simpel: Stundenlange Diskussionen über Dinge geringer Wichtigkeit lassen poltisch interessierte, aber nicht kadermäßig organisierte Studenten ermüdet resignieren. Und ist man erst einmal „unter sich", bringen formlose Abstimmungen die gewünschte Einstimmigkeit. Besieht man diese Entwicklung im Licht der Ergebnisse der Hochschulwahlen, gewinnt sie aft Bedeutung: Die österreichische Studentenunion (ÖSU) erreichte an der Wiener Universität mit 56 Prozent aller gültig abgegebenen Stimmen die absolute Mehr heit; der Ring Freiheitlicher Studenten (RFS) 22,6 Prozent, der Verband Sozialisti - ;her Studenten (VSStö) 10,7 Prozent, die „Aktion" 7 Prozent und die (orthodox-kommunistische) Vereinigung Demokratischer Studenten (VDS) 3,7 Prozent. Die Freude der ÖSU über einen drei-prozentigen Stimmengewinn — der AnteU der Linksgruppen blieb hingegen mit insgesamt 21,4 Prozent stabil — wurde durch die extrem niedrige Wahlbeteiligung von nur 39 Prozent gemindert. Dieses Desinteresse — 1969 wählten noch 32 Prozent der Studenten — manövriert heute die Hochschül?r-schaft jedoch in eine Situation, die Firnbergs Wort von der nicht repräsentativen Hochschülerschaft bald Wirklichkeit werden läßt; sehnlichst herbeigewünscht von linken Studenten, die zum Wahlboykott aufrdeleA freilich ohne zu vergessen, die eigenen Parteigänger möglichst vollzählig zur Urne zu bringen.

Nabelschnur zur SPÖ

Diese neue Strategie, nämlich die Umfunktionierung bestehender Insti tutionen durch aktive Mitarbeit an denselben einerseits und die „De-maskierung der Hochschülerschaft als Hont der Reaktion" anderseits, entstand, als die als Träger einer permanenten, direkten Revolu’.^jn konzipierte „Linke Plattform" zerbrach. Dieses Sammelbecken der Linken vereinigte für kurze Zeit (AprU bis Dezember 1970) den VSStö, VDS, die „Aktion" und die „Aktion Katholische Studentenpresse" und erhob „den Anspruch, eine emanzi-patorisch-polymorphe Gesellschaftsordnung aus der Utopie zu heben".

Bald jedoch gab es schwere Differenzen: der VSStö wollte und konnte seine finanzielle Nabelschnur zur SPÖ nicht durchtrennen und war dadurch a priori suspekt, der vr-s, an die KPÖ geltiettet, wiederum bedauerte den Mangel revolutionärer Aktivität und vermißte bei den anderen Gruppen eine grundsätzliche, systemtransparente Kapitalismuskritik.

Schwere Fehleinschätzung der Situation allerdings wäre es, im Zerfall der „Linken Plattform" den Tod der „Neuen Linken" an unseren Hochschulen zu sehen. Die konzertierten Aktionen der Basisgruppen rund um die Bestellung eines neuen Professors für Soziologie beweisen es. Etablierte Hochschülerschaftsfunktionäre werden gut daran tun, den Erfahrungssatz, daß in Wien Revolutionen bislang beim Heurigen, musikalisch verziert, versandeten, neu zu überdenken.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung