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Auf dem W eg ins Abseits

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„In der ÖH herrscht das Chaos.“ — „ÖH weiter ohne Vorsitzenden.“ — „Studenten wählten ÖH-Chef.“ — „Gefälschte Vollmachten.“ — „ÖSU von Spaltung bedroht.“ Das ist nur eine kleine Auswahl von Schlagzeilen, die derzeit zur Kunzcharak- terisierung der Situation in der österreichischen Hochschülerschaft verwendet werden.

In der Tat muten die Vorgänge abenteuerlich an: Da wird zum erstenmal in der Geschichte der Hochschülerschaft ein Vorsitzender des Zentralausschusses (ZA) abgewählt, wobei — infolge der Mandatsverteilung — auch Mandatare der eigenen Fraktion (ÖSU) ein „Hackl“ geworfen haben müssen. Der Verdacht der Unterschriftenfälschung auf einigen Vertretungsvoll- machten führte zur derzeitigen. Ratlosigkeit, wer nun eigentlich ZA- Vorsitzender sei: der zwar abgewählte Schneider, der jedoch Unregelmäßigkeiten bei der Abwahl geltend macht, sein Stellvertreter Keckeis, der jedoch die Geschäfte nicht führen will, oder gar kein Vorsitzender, wie es der VSStö (Verband der Sozialistischen Studenten Österreichs) sehen will, um dadurch vielleicht in dieser Zeit allgemeiner Wirrnis zum erstenmal in der Geschichte der ÖH einen „roten“ Vorsitzenden wählen zu können.

Wie auch immer die derzeitige Misere gelöst wird (und eine Lösung sollte bald getroffen werden, denn demnächst sind wieder Hochschul- wahlen), die zentrale Frage ist: wie konnte es soweit kommen? Wie konnte es geschehen, daß Österreichs größte Studentenpartei, die österreichische Studentenunion (ÖSU), ein derartiges Harakiri betreibt? Wieso räumt jene Fraktion, die bis jetzt immer den ZA-Vorsit- zenden stellte, dem politischen Gegner kampflos das Feld? Wieso konnte es zu einer Koalition der äußersten Rechten, des national- burschenschaftlich-schmissigen RFS (Ring Freiheitlicher Studenten) mit der Linken kommen?

Faktum bleibt, daß ohne ÖSUStimmen die notwendige Zweidrittelmehrheit nicht erreicht werden hätte können. Die „Opposition“ (RFS sowie Linksgruppen) mußte also zumindest vage Andeutungen vom „Umfallen“ einiger ÖSUler haben, da sie sonst das — normalerweise — von vornherein zum Scheitern verurteilte Mißtrauensvotum gar nicht erst gestartet hätten.

Der wirkliche oder vermeintliche Vorsitzende Schneider faßte die Problematik prägnant in einem Satz zusammen: „Zu dem Ganzen wäre es nicht gekommen, wenn die ÖSU nicht in so einer konfusen Situation steckte.“

Ein wahres Wort.

Die innere Zerrissenheit der ÖSU wurde aber bereits anläßlich der letzten ÖH-Wahlen im Frühjahr dieses Jahres offenbar. Schon damals war keine einheitliche Linie mehr zu finden, da spalteten sich Listen ab, Mandatare verunglimpften einander, Anzeigen wurden vor dem ÖSU-Gericht erstattet und der Ausschluß mehrerer Prominenter Mitglieder gefordert. Geschehen ist zwar nichts, denn das Schiedsgericht hat keinen einzigen Fall verhandelt.- Aber es wurde wéitefgewúrstel t.

Nun äst selbstverständlich, daß durch Hinauswürfe das politische Profil einer politischen Gruppe nicht wieder hergestellt werden kann; aber nicht nur, daß keine persönlichen Konsequenzen gezogen wurden, wurde auch — und das ist viel schlimmer — keine Diskussion zur inneren Katharsis eingeleitet. Für eine Standortbestimmung wäre Zeit genug gewesen, doch diese intellektuelle Arbeit wollte man sich nicht aufbürden.

Mit einer „Es-wird-schon-irgend- wie-weitergehen-Mentalität“ hat nicht zuletzt auch die nunmehrige Zentralfigur Schneider zum eingetretenen Chaos indirekt Vorarbeit geleistet. Leider fehlt in der Studentenunion derzeit das intellektuelle Potential, wie es zur Zeit der Gründung der ÖSU vorhanden war. Es fehlt an profilierten Persönlichkeiten, die den Mandataren klar machen,, daß die ÖSU keine ideologische Spielwiese für modelinke Politspinner ist, deren Marxismus sich im wesentlichen auf das vordergründige Nachplappern von gängigen Phrasen beschränkt und die im übrigen nur in den wenigsten Fällen überhaupt wissen, worum es geht. Dazu kommt die panische Angst zahlreicher Funktionäre vor einer klaren Scheidung zur politischen Linken — denn das wäre „unmodern „unfesch“, ja geradezu „reaktionär“ —, wiewohl die klare Abgrenzung zur Rechten, nämlich zum RFS, wiederholt so erfolgreich praktiziert wurde, daß genügend hochschulpolitisches Porzellan zerschlagen wurde.

Es soll hier nicht dem RFS das Wort geredet werden, da dessen anachronistischer Humus vielfach tatsächlich national-reaktionär gefärbt ist. Dennoch muß es jedoch verwundern, daß gerade dieser RFS gemeinsam ■ mit dem VSStö den ÖSU-Vorsitzenden aus dem Sattel heben kann. Dahinter steckt mehr als bloß ein taktisches tagespolitisches Manöver. Der Grund dafür dürfte in erster Linie in der Tatsache zu finden sein, daß weder RFS noch VSStö die ÖSU in ihrer derzeitigen Situation ernst nehmen können. „Beim RFS und beim VSStö weiß man wenigstens, woran man ist“, meinte ein Funktionär — bei der ÖSU offenbar nicht.

Vor einigen Jahren war das noch anders, da gab es den „Wahlblock Union österreichischer Akademiker“: eine Studentenpartei, die nicht Einzelmitglieder hatte, sondern deren Mitglieder lediglich Verbände waren und wo die gemeinsame Politik, wie in „hündischen“ Parteien üblich, einen Kompromiß der einzelnen Verbandsmeinungen darstellte. Stärkste Fraktion war der österreichische Carteilverband (ÖCV), der auch damals bereits den Löwenanteil der Arbeit in der Hochschülerschaft leistete. Das rief die Eifersüchte der kleineren Fraktionen (manche waren ohnehin nur nominell Mitglied) hervor. Schließlich wurde die ÖSU geboren.

Daß sich in der unmittelbaren Folgezeit bezüglich der in der ÖH tätigen Wahlblockfunktionäre nichts änderte, war eine der Tatsachen, weshalb die ÖSU florierte. Bald wurden aber minder qualifizierte Studentenvertreter nach oben gespült, wozu auch das Ausscheren vereinzelter CV-Verbindungen kam, die Lust am Experiment hatten und die politische Mode krankhaft „progressiv“ sein zu wollen, übten.

In einer Zeitung wurde jüngst die Tatsache begrüßt, daß „seit Jahren keinem Studentenfunktionär der Einstieg in die , große Politik“ geglückt ist“ — eine durchaus richtige Feststellung, die genug über die

Qualifikationen von Studentenfunktionären aussagt.

In wenigen Monaten sind neuerlich Hochschülerschaftswahlen. Man darf insbesondere auf die Wahlbeteiligung gespannt sein, denn diese nimmt seit Jahren ab; ein untrügliches Barometer für das Interesse der Studenten an ihrer Standesver- tretung. Die wahiwerbenden Gruppen, allen voran die ÖSU, sollten nicht vergessen, daß sie nicht an Brillanz und Lautstärke ihrer

Rhetorik gemessen wenden, sondern an ihren Persönlichkeiten sowie insbesondere an ihrer weltanschaulichen Aussage. Eine Fraktion, die gar keine Aussage (oder gar mehrere widersprechende) anbietet, stellt sich selbst ins Abseits.

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