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Fraktionen mit groben Konzepten

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Im vergangenen Jahr mauserten sich auch die österreichischen Studenten mehrmals zu Aspiranten des Rampenlichts. Je näher jedoch der Termin der diesjährigen Hochschulwahlen rückt, desto mehr entspannt sich die Atmosphäre, und man konnte, wohl zur Zufriedenheit der Hochschulbesucher, bisher einen völlig ungestörten Studienbetrieb im Wintersemester durchführen. Ob für dieses Faktum die Erkenntnis der „progressivsten“ Gruppen, daß in Österreich andere Maßstäbe als in der deutschen Bundesrepublik oder gar in Frankreich angelegt werden müssen, zu einer gemäßigten und sachlicheren Agitation führte oder ob eine allgemeine Resignation eingetreten ist, wird erst nach dem 22. Jänner zu beurteilen sein.

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Im vergangenen Jahr mauserten sich auch die österreichischen Studenten mehrmals zu Aspiranten des Rampenlichts. Je näher jedoch der Termin der diesjährigen Hochschulwahlen rückt, desto mehr entspannt sich die Atmosphäre, und man konnte, wohl zur Zufriedenheit der Hochschulbesucher, bisher einen völlig ungestörten Studienbetrieb im Wintersemester durchführen. Ob für dieses Faktum die Erkenntnis der „progressivsten“ Gruppen, daß in Österreich andere Maßstäbe als in der deutschen Bundesrepublik oder gar in Frankreich angelegt werden müssen, zu einer gemäßigten und sachlicheren Agitation führte oder ob eine allgemeine Resignation eingetreten ist, wird erst nach dem 22. Jänner zu beurteilen sein.

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Dennoch gewinnt die bevorstehende Wahl in Anbetracht der Reformbe-strebungen besondere Bedeutung. Alle wahlwerbenden Fraktionen sind sich darüber einig, daß der antiquierte Status der Universitäten möglichst rasch beseitigt werden soll und eine Reorganisation zukunftsorientiert, das heißt in diesem Fall den mit ziemlicher Genauigkeit zu berechnenden Anforderungen der nächsten Jahrzehnte angepaßt, erfolgen muß. Eine Untersuchung der OECD ergab, daß unser Land zwischen 1961 und 1980 einen Bedarf an 51.800 Akademikern benötigt. Die voraussichtliche „Hochschulprodiuk-tion“ wird uniter den gegebenen Verhältnissen nicht einmal die Hälfte des „Plansolls“ erfüllen! Daran werden auch die geburtenstarken Fünfziger Jahrgänge nur insofern eine Änderung bringen, als die Scblagwortfakten Raumnot, Massen-betrieb und Professorenmangel eine weitere Zuspitzung erfahren müssen. Die steigende Budget-Dotierung der Hochschulen erscheint im Ver-t gleich zum akademischen Bedarf als Tropfen auf den heißen Stein.

Das Zauberwort der Reformer lautet „Umstrukturierung“. Was für die gesamte österreichische Wirtschaft nötig, ist den Hochschülerm dringend. Ein werteres Schlagwort ist den Stimmwerbern aller Fraktionen gemeinsam: die Demokratisierungswelle soll die autoritäre Organisation ebenso wegspülen wie das ehrwürdige Grau der Universitätsfassade der Säuberungsprozeß anläßlich der 600-Jahr-Feier. Der Verband Sozialistischer Studenten Österreichs (VSSTÖ) will dies, schlicht ausgedrückt, durch den „Ersatz der bisherigen hierarchischen Organisation der wissenschaftlichen Arbeit durch horizontale Kooperation im Vertrauen auf die antizipierte Mündigkeit der Studenten“ erreichen, während die von der österreichischen Studenten-Union (ÖSU) dominierte Hoch-schüterschaft in einer Stellungnähme zum Hochschülerorganisa-tionsgesetz den „Abbau patriarchalisch-feudaler Züge“ forderte. Wegbereiter der Demokratisierung soll die nun schon berühmt-berüchtigte „Drittelparitait“'“ darstellen, derzu-folge Professoren, Assistenten und Studenten in gleicher zahlenmäßiger Stärke den Akademischen Senat bilden sollen. Wehmütige Blicke auf die demokratisierten Hochschulen der Bundesrepublik, Vorbild und Barometer, mögen den Reformeifer wachhalten.

Als Voraussetzung für eine Demokratisierung und Effektuierung des Studienbetriebes wird den Stimmberechtigten das Abteilungssystem schmackhaft gemacht. Diese Zersplitterung der altehrwürdigen Fakultäten bietet laut eines ÖSU-Entwurfes für die philosophische Fakultät die „einzige derzeit praktikable Möglichkeit, funktionsfähige und fachkompatente Entscheidungsgremien zu schaffen“. Als Aufgaben dieser Abteilungen werden Habilitation, Berufungen, Budget, Dienst-postenplanung, Raumverteilung, Großgeräteanschaffung, Studienpläne, Gutachtertätigkeiit, Forschungskoordination sowie Wahlen in die Abteilungsvertretung programmiert.

Eine weitere Forderung bezieht sich auf die Abschaffung der „Professorenrente“, was bedeutet, daß der Lehrstuhl eines Ordinarius ins Wackeln kommen soll, sofern er nicht durch pausenlose wissenschaftliche Publikationen seine Daseinsberechtigung nachweist. Warum ist wohl die Verwaltungs-refarmkommission noch nicht auf den Gedanken gekommen, dem Inhaber eines pragmatisierten Dienstpostens ein jährlich zu bewältigendes Aktenlimit zu setzen?

Nach den Intentionen der ÖSU ist auch eine Vorlesungskritik unentbehrlich, da diese „den Kontakt Lehrender — Student fördern und den Professoren Gelegenheit bieten soll, zu erfahren, ob ihre Vorlesungen Anklang gefunden haben“. Darüber hinaus beschäftigt den VSSTÖ eine „Modifizierung“ des Prüfungs-verfahrens), weil die „Prüfung in unserer hierarchischen Gesellschaft ein sekundäres Sozialisationsinstru-ment darstellt, durch das direkt gesellschaftliche Macht ausgeübt werden kann. Daher muß das Privilegium der autoritären Prüfung durch eine kontinuierliche wissenschaftliche Tätigkeit ahgelöst werden. Der autoritäre Prüfer wird durch die Selbstkontrolle des Kollektivs er setzt. Begründet wird dies unter anderem damit, daß „die Prüfung die direkte Ersatzbefriedigung des Sexualtriebes wird, wobei auch Aggressionen freigemacht werden. Die Prüfung wirkt als Bestrafungsinstanz für aggressive und sexuelle Wünsche, die Angstlust kulminiert in dem masochistischen Bild des Versagens. Viele erleben die Abschlußprüfung als Trennung von einem libidinös besetzten Objekt“. Ob Sigmund Freud die Geister, die er rief, nicht doch wieder loswerden wollte?

Nicht zuletzt wird die Forderung nach einer Entrümpeluhg des Lehrstoffes erhoben; die Studienordnungen, zum Teil noch aus dem vergangenen Jahrhundert, sollen eine Modernisierung dahingehend erfahren, daß der Akademiker beim ersten Schritt in das Berufsleben nicht durch die Erkenntnis vor den Kopf gestoßen wird, daß weit mehr als die Hälfte des in seiner Studienzeit angesammelten positiven Wissens für die Praxi uninteressant ist, er dafür in essentiellen Dingen nur unzulänglich oder überhaupt nicht ausgebildet ist, wie dies in den geisteswissenschaftlichen Diszipli-, nenleidgr aillau.häufig der Fall, ist.

Eine kurze Kennzeichnung der Situation knapp vor den Wahlen gibt etwa folgendes Bild: als progressive Fraktion, wenngleich nicht so radikal und auch nicht so populär wie sein deutscher Bruder, der SDS, präsentiert sich der VSSTÖ. Bedingt durch einen Gärungsprozeß im CV stellt die ÖSU, der Nachfolger des imageblassen Wahlblocks als mandatsstärkste Fraktion, für ihre Anhäinger ein gewisses Fragezeichen: mit der Bezeichnung „progressive Mitte“ kann sie gewiß wieder einen beachtlichen Teil der Hochschüler ansprechen, obwohl zu erwarten ist, daß eine etwaige Abwanderungsten-denz nach rechts stärker ausfallen wird als nach links, da der Ring Freiheitlicher Studenten (RFS) den krisenfestesten inneren Eindruck bietet; die zum Teil mentalitätsbedingte Beharrungstendienz des Österreichers ist gerade auf akademischem Boden deutlich spürbar, wovon derjenige profitieren sollte,dessen Programm am wehigsten „progressiv“ ist.

Während der Wahlblock 1965 mit fast 60 Prozent der gültigen Stimmen eine beruhigende Mehrheit innehätte, waren zwei Jahre später die Abbröcklungssymptome unverkennbar: er errang nicht mehr ganz die Hälfte aller Vota, diafür holten RFS mit 30 Prozent und VSSTÖ mit 13 Prozent an Terrain auf. Der neue Name und neue Spitzenfunktionäre wollen die Vorherrschaft des bürgerlichrfort-schrittlichen Lagers in der geistigen Elite festigen. Der 22. Jänner wird weisen, wie widerstandsfähig die ÖSU gegen innere und äußere Nager war.

Die Gespräche mit Dkfm. Ortner und Silvio Lehmann führte FURCHE-Mitarbeiter Winfried Eier.

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