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Akademische Selbstbestätigung

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Studenten mit ausgeprägtem Sinn für Unterhaltung wissen die (öffentlichen) Sitzungen des Hauptausschusses der österreichischen Hochschülerschaft an der Universität Wien schon seit langem ob ihrer turbulenten Szenen zu schätzen. Manchmal prügelt man einander sogar. Nicht ganz so arg, aber immerhin recht bewegt verlief die letzte Sitzung, als der Ring Freiheitlicher Studenten (RFS) und der Verband Sozialistischer Studenten (VSStö) einen Mißtrauensantrag gegen den Mandatar der österreichischen Studentenunion (ÖSU) und Vorsitzenden der ÖH. Wolfgang Stickler, einbrachten.

Grund dafür waren „undurchsichtige Manipulationen“, durch welche sich Stickler 59.000 Schilling verschafft haben soll. Diese Summe war im vergangenen Februar bei der Budgeterstellung für Telephongebühren reserviert worden, wurde aber nicht benötigt, weil das Unterrichtsministerium das Rektorat angewiesen hatte, Telephongebühren in Hinkunft durch die Universitäts-quästur zu begleichen. Stickler selbst meint, er hätte ohnedies bei der nächsten Hauptausschußsitzung diesen Posten aus dem Budget eliminieren lassen. Im übrigen sei „die Diskussion um die 59.000 Schilling auf die Ignoranz der Opposition zurückzuführen, die es unterlassen habe, sich genau zu informieren“. Da der Betrag ja unangetastet vorhanden sei, könne man „die Einigung des RFS und VSStö nur im Hinblick auf die bevorstehenden Hochschülerschaftswahlen“ (Jänner 1971) erklären. Immerhin geriet Stickler durch diese „Wahlkampftaktik“ in Bedrängnis, denn bei der Abstimmung über den Mißtrauensantrag mußte er — da Stimmengleichheit erzielt wurde — von seinem Dirimierungsrecht Gebrauch machen und sich selbst das Vertrauen aussprechen.

Kaum hatte sich Stickler selbst bestätigt, kam es zur nächsten Pikan-terie. Der VSStö-Mandatar Glaser forderte die Erhöhung der zwölfmal jährlich an den Vorsitzenden der ÖH zu zahlenden Aufwandsentschädigung von 2800 Schilling auf sechzehnmal jährlich 4000 Schilling. Dieser „Juxantrag“ kam zur Abstimmung und erzielte Mehrheit, weil einige ÖSU-Mandatare bei der Abstimmung brav die Hände hoben. Stickler, der „die Gehaltserhöhung“ letztlich ablehnte und dadurch verhinderte, in wenigen Wochen wieder im Zentrum von Mißfallenskundgebungen zu stehen, meinte: „ÖSU-Mandatare haben nur deshalb mitgestimmt, um den Antrag der Opposition zu entlarven.“ Die Wege studentischer Hochschulpolitik sind gewunden und unüberschaubar; wen wundert da gelegentliches Stolpern und Ausrutschen?

Anderseits feierte man auch an der Hochschule die 25. Wiederkehr des Tages, an dem die Zweite Republik gegründet wurde. Der Wiener Car-tellverband versuchte mit seiner Feier „die junge Republik“ der üblich gewordenen Selbstbeweihräucherung und retrospektiven Bespie-gelung eine zukunftsorientierte Veranstaltung entgegenzusetzen.

Am ersten Abend, der unter dem Titel „Grabgesang“ stand, lamentierte man lautstark „am Grab der österreichischen Kultur“. Die „Sänger“ (Feuerstein, Haid, Henisch, Ernst, Feilerer und Trampitsch) beklagten die kulturelle Situation Österreichs, wobei sie sich einiger Beispiele amtlicher Kultur- und Subventionspoli-tk bedienten. Leider nichts Neues. Dem „Grabgesang“ soll am 13. Mai eine feierliche Einäscherung der österreichischen Kultur durch die Gruppe „I“ folgen.

Der zweite Abend, war „Experimen-tal-, Polit- und Undergroundfllmen“ gewidmet. Filme, für die man das Interesse weckte, indem man verkündete, es handle sich um „Streifen, die bei der Viennale nicht gezeigt werden durften“. Trotz dieser Ankündigung war der Hörsaal I des Neuen Institutsgebäudes nur etwa zwei Drittel gefüllt, als Filme von Wippersberg, Lepeniotis, Mühl, Fallenberg und Brus die Zuschauer schockieren und provozieren sollten. Sei es, daß das Hörsaal-I-Stamm-publikum „transzendentaler Provokation“ nicht zugänglich ist, sei es, daß die Filme als „systeminhärent“ empfunden wurden; der Abend verging sang- und klanglos, womit sowohl Inhalt als auch Form der Veranstaltung charakterisiert sind. Der letzte Abend hatte sich unter dem Titel „Die Wiener Schule des politischen Realismus“ um „Thesen zur Demokratdereform'* bemüht. Ein Großaufgebot „politischer Realisten“ stand einer verhältnismäßig geringen Zahl von Studenten gegenüber. Broda, Gratz, Busek, Diem, Wilflin-ger, Pelinka, Welan, Fischer und Nenning legten ihre Thesen dar. Sie gingen von der Ablehnung der Oberflächenkosmetik über die Forderung nach Politisierung des Staatsbürgers (Wilflinger) zur Formulierung: Demokratie ist angewandte Zivilcourage (Fischer). Die beiden neuen Minister Broda und Gratz sprachen „als Praktiker“ und forderten sofortige Maßnahmen zur Demokratiereform, so in der Frage des Strafrechtsreform (Broda), und eine Umschichtung des Erziehungs- und Unterrichtssystems (Gratz). Die nicht auslot- und absteckbare Fülle dessen, was man in Ermangelung einer klaren Terminologie als Demokratiereform bezeichnet,

machte es unmöglich, einzelne Probleme zu diskutieren.

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