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Hü und Hott in Österreich

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Es gibt nun auch in der Regierungspartei zahlreiche höhere Funktionäre, die freimütig bezweifeln, daß Österreich noch mit der alleinigen Zielsetzung regiert wird, das außer Rand und Band geratene Preisgefüge unter Kontrolle zu bringen. Die Ursache dieses tiefen Mißtrauens gegenüber dem Kabinett Kreisky ist in der Abfolge von politischen Handlungen begründet, die den Bundeskanzler als nach wie vor exzellenten Taktiker ausweisen, seine Fähigkeiten zur Bewältigung komplizierter wirtschaftlicher Probleme aber ernsthaft in Frage stellen: nach nunmehr drei Jahren Inflation an Österreich hat der Finanzmdnister nun auch für das vierte Jahr ein inflationsitreiben-des Budget vorbereitet; ein paar als „Phase II“ proklamierte und vorwiegend geldpolitische Maßnahmen werden, ehe sie noch recht wirksam werden, von den Lohnforderungen rund einer Million Arbeitnehmer bereits wieder unterlaufen; einige wichtige Gruppen akademisch gebildeter Arbeitnehmer, wie die Universitätsprofessoren, die Richter und Staatsanwälte und die Lehrer, wollen gegen ihren Arbeitgeber, den Staat, streiken weil dieser kein Ohr für ihre mehr oder weniger berechtigten Forderunigen haben will; in den Betrieben herrscht unter notorisch sozialistisch wählenden Arbeitnehmern ein starkes Gefühl der Unzufriedenheit mit einer Regierung, die mehr und mehr den Eindruck bestätigt, daß auch praktizierter Neo-Marxismus gewissermaßen ein Murksen ist.

Die Regierung Kreisky hat auf zahlreichen Gebieten ihre Reformvorstellungen des Jahres 1970 längst aufgegeben oder aufgeben müssen:

• Die Infrastrukturinvestitionen (Schulen, Krankenhäuser, Wohnungen, Hochwasserschutz usw.) werden in den nächsten beiden Jahren geringer sein, als in den vorangegangenen Jahren;

• die Realeinkommen der Arbeitnehmer werden auch in den nächsten beiden Jahren schwächer steigen, als in den Jahren vor 1970;

• wichtige Reformvorhaben im ökonomischen Bereich (Kreditwesengesetz, Sparkassengesetz, Haushaltsrechtsreform usw.) wurden bereits offiziös abgesagt.

Was die Regierung Kreisky derzeit beschäftigt, ist das Problem, wie man den Arbeitnehmern glaubhaft machen kann, daß es nach v/ie vor zwischen „sozial“ und „sozialistisch“ keine Diskrepanz gibt.

Dies ist eine äußerst schwierige Aufgabe, wenn man bedenkt, daß sozialistische Arbeiter in den Betrieben die Meinung kolportieren, daß allein die Akademiker, wenn sie nur Streikdrohungen vom Stapel lassen, zu den Begünstigten des sozialistischen Regierungskurses zählen, wohingegen Funktionäre des Gewerkschaftsbundes an der Basis die Arbeiter drängen, ihren Unmut über diese Regierung doch zu zügeln. Denn würde dieser Unmut einmal losbrechen und hätten die Gewerkschaften keine Kontrolle mehr über die Arbeitnehmer, dann würden sich daraus für die Entwicklung Österreichs Auswirkungen ergeben, die heute nun tatsächlich noch nicht absehbar sind.

Der formierte Widerstand von Akademikergruppen wiederum ist völlig neu im politischen Spektrum Österreichs. Gehörten doch die aka-

demisch Gebildeten zu jenen, die sich lange Jahre für den Streik „zu fein'' waren. Seit aber die Ärzte in ihrem Kampf gegen die Krankenkassen Erfolg hatten, proben auch andere Gruppen den Kampf gegen die Regierung: Lehrer, Professoren, Richter, Staatsanwälte. Damit aber gerät die Bundesregierung in Österreich in eine nicht unähnliche Situation, wie sie vor einigen Monaten in Schweden eingetreten ist — als nämlich akademischer Protest zu einer schweren Erschütterung des Kabinetts Palme beitrug — und die Akademiker der Regierung bewiesen, wie wichtig sie für das Funktionieren des modernen Staates sind.

Dem nach wie vor großartigen Taktiker Bruno Kreisky ist das alles nicht verborgen geblieben. Er flüchtet, wie das in ähnlicher Weise auch schon andere Politiker vor ihm gemacht haben, in eine „Regierungs-außenpolrtik“, kurz: er taktiert mit Wahlterminen, verschiebt politisches Personal von einer auf die andere Ebene, setzt dort und da Testwahlen an, nur um das aggressive Potential in seiner Partei zu binden — gleichzeitig aber doch auch deshalb, um von den Problemen seiner Regierung und seiner Glücklosigkeit in der Reformpolitik abzulenken.

Da nun in Oberösterreich die Dinge so laufen, daß die Sozialisten dort am 21. Oktober wahrscheinlich keine spektakulären Erfolge erzielen dürften, hat er auf den gleichen Tag im Wien Bestätigungswahlen für seine Regierung ansetzen lassen. Da ihm dafür nichts zu teuer ist, hat er durchgesetzt, daß dem „System Sla-vik“ ein Leopold Gratz aufgestülpt wird, um jedenfalls die ärgsten Schwächen- dieses „Systems“ für kurze Zeit zu überdecken. Die veröffentlichte Meinung vertritt zur Zeit noch die Auffassung, daß ein Gratz in Wien genügt, um ein verfahrenes „System“ zu retten. Die Frage ist, ob Gratz ein Mann der Aktion ist, ein wirklich konzeptiver und dynamischer Politiker — oder eher ein kluger Analytiker von Situationen. In Kreisen der Wiener SPÖ, die das „System Slavik“ aufgebaut haben und nun verteidigen, gilt Gratz als Glücksfall eines „reputierlichc-n“ Politikers, der freilich den Dingen, so oder so, ihren Lauf läßt. Tn dieser Richtung vermerkte auch schon ein Leitartikler in der „Arbeiter-Zeitung“, daß Leopold Gratz bloß ein Zugeständnis an die Bedürfnisse der Massenmedien war, deshalb aber noch kein Versprechen für eine gute Kommunalpolitik zu sein braucht.

Am 21. Oktober 1973 wählen rund 40 Prozent aller Wahlberechtigten in Österreich einen neuen Landtag in Wien und Oberösterreich. Sicherlich wird dabei auch über kommunale und landespolitische Probleme abgestimmt werden. Es steht zu befürchten, daß diese Probleme aber nur den Hintergrund bilden werden, vor dem die Österreicher ein Urteil über die Qualität der Regierungspolitik abgeben werden. Dieses Urteil dürfte zugleich ein Urteil über das Hü und Hott in Österreich sein, das Hü und Hott als Kennzeichen einer in der letzten Zeit eher schwächlichen Politik; einer Politik, die heute keine gläubige Zuversicht in das Charisma dieser Regierung hervorruft, die wirtschaftliche Stabüität in diesem Land wieder herzustellen, notwendige Reformen durchzusetzen und das Gemeinwohl kompromißlos zu maximieren.

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