6609584-1954_43_01.jpg
Digital In Arbeit

Der Blick aufs Barometer

Werbung
Werbung
Werbung

Die „kleinen Wahlen“ 1954 sind vorüber, der Blick auf das politische Barometer ist frei. Der in seine Alltagssorgen verstrickte Staatsbürger klopft interessiert auf das Glas, und aus dem geringen Ausschlagen der Nadel mag er auf „Windstille“, auf ein „Anhalten der politischen Großwetterlage“ schließen. Dem Leser der parteipolitischen Morgenpresse kommt hingegen — gleichgültig welcher der beiden großen Parteien er sich zugehörig fühlt — die frohe Kunde ins Haus, daß seine Partei schöne Erfolge erzielen konnte. Die Frage ist nur, mit welchem Maßstab dieses Etappenergebnis zwischen zwei „großen Wahlen“ gemessen wird, welche Vergleichszahlen man in den Vordergrund rückt …

Nimmt man die der letzten Landtagswahlen — lang, lang ist’s her — im Jahre 1949, so wird man ohne Zweifel ein Ansteigen der sozialistischen Stimmen registrieren können, was sich in allen Bundesländern, in denen gewählt wurde, durch eine Vermehrung der sozialistischen Mandate ausdrückt. Wird dagegen ein Vergleich mit den entsprechenden Zahlen aus den Nationalratswahlen 1953 angestellt, so ergeben sich daraus im Duell der beiden Großen etliche Gutpunkte der Wähler für die Volkspartei.

Neuralgischer Punkt dieses Urnenganges war ohne Zweifel Niederösterreich. Hier hatte sich 1953 mit 360.791 Stimmen die zweite Regierungspartei an die Fersen der ersten geheftet, die zwar mit 438.348 Wählern noch in Führung lag, aber nur noch 48,47 Prozent aller abgegebenen Stimmen, also nicht mehr die absolute Mehrheit, für sich buchen konnte. In der programmatischen Monatsschrift der Sozialistischen Partei wurde bereits ein „Schattenlandtag“ vorgestellt, die neue Verteilung der Mandate ausgerechnet, wenn eben diese Wahlen auch Landeswahlen wären. Das Ziel wurde offen ausgesprochen: „Bekäme die OeVP bei den Landtagswahlen nur um 458 Stimmen weniger als 1953, so verlöre sie ein weiteres Mandat und damit die Mehrheit im Landtag.“ Diese Hoffnungen blieben unerfüllt. Jm Gegenteil: Nicht nur daß, wie eine Ueberprüfung einwandfrei ergibt, die Volkspartei in Niederösterreich die Partei mit den geringsten Stimmenverlusten gegenüber 1953 ist, konnte sie auch mit beinahe 51 Prozent die absolute Mehrheit aller gültigen Stimmen zurückgewinnen. Die Zeche zahlte hier, wie überhaupt in allen übrigen Bundesländern, die „Wahlpartei der Unabhängigen“ — ein Phänomen, von dem noch die Rede sein wird. 22.056 Stimmen für die „Unabhängigen“ gegenüber 47.706 im Jahre 1953, ja selbst gegenüber 38.779 im Jahre 1949: das muß eine herbe Enttäuschung für die Führung, die Freunde und die Förderer dieser politischen Gruppe bedeuten.

Erwies sich Niederösterreich als stabil, ja war hier ein leichtes Anziehen des Stimmenanteils der Volkspartei zu bemerken, so darf dasselbe für die Bundeshauptstadt gesagt werden. Wer sich hier nicht den da und dort kolportierten Illusionen von einer „Eroberung des Rathauses“ hingab, wird mit dem Abschneiden der Volkspartei nicht unzufrieden sein. Die Mandatszahl bleibt mit 35 dieselbe wie 1949, gegenüber den Vergleichszahlen vom Februar 1953 konnte aber der Stimmenanteil von 30,75 auf 33,18 Prozent aller gültigen Stimmen „aufgewertet“ werden. Ein Blick auf die Ergebnisse in den einzelnen Bezirken zeigt, daß das nach den Vergleichszahlen von 1953 für die Volkspartei verlorene Hietzing wieder zurückgewonnen wurde, am Alsergrund ist der 1953 gewonnene Vorsprung der sozialistischen Wähler vor den Anhängern der Volkspartei wieder auf 113 zurückgegangen und selbst in dem „proletarischen“ Floridsdorf konnte bei leisem Rückgang der sozialistischen Stimmen (1953: 31.130, 1954: 31.038) die Volkspartei eine steigende Tendenz melden (1953: 10.960, 1954: 11.475), Zeichen, die gedeutet werden wollen. Das alles ändert freilich nichts an dem Gesamtergebnis im Gemeinderat, wo durch die Mithilfe der Arithmetik sechs Mandate, die bisher von den WdU-Abgeord- neten ausgeübt wurden, zu der sozialistischen Mehrheit hinübergewandert sind. Nachdem der Kampf um das Grundmandat auf der Landstraße für die WdU verloren iwar, mußte sie auch ihre Fahne vom Turm des Wiener Rathauses wieder einholen.

Salzburg hatte nach den Ergebnissen der Volkszählung sechs funkelnagelneue Mandate zu seinen üblichen 26 zu vergeben. Sie wurden mehr oder weniger einträchtig und ehrlich zwischen den beiden großen Maklern auf geteilt. Ob das eine Mandat, das die WdU abgeben mußte, den Gewinn der Sozialisten von drei auf vier erhöhte oder ob es zur Volkspartei wanderte, während die Sozialisten vier „neue“ Mandate gewinnen konnten, ist eine akademische Streitfrage. Auf jeden Fall — und das scheint uns entscheidend — ist das Verhältnis der 15 VP-Abgeordneten im Salzburger Landtag zu den 13 Sozialisten und 4 WdU-Leuten dasselbe wie früher (12:9:5). Die Frage ist nur, ob jene Kreise innerhalb der sozialistischen Partei, die sich mit dem an sich schon sehr dubiosen Gedanken getragen haben, mit ihren Stimmen einen WdU- Landeshauptmann zu erküren, sich nicht angesichts der Gewichtsabnahme ihres Partners nun eines Besseren besinnen. Zumindest ist zu erwarten, daß in dieser Frage die Vernunft in den Reihen der SPOe durch das Wahlergebnis Verstärkung erhalten hat.

Im Westen Oesterreichs nichts Neues. Höchstens das eine, daß in Vorarlberg ein gewisser alpenländischer Freisinn aus dem „nationalen“ Lager abgeschwenkt ist und innerhalb der SPOe neues Quartier sucht.

Die Lehren, die aus diesem herbstlichen österreichischen Wahlgang gezogen werden können, sind drei.

Fürs erste: Es gab — wieder einmal — keinen Erdrutsch, aber auch ein weiterer stärkerer Ausschlag der Magnetnadel des politischen Barometers unserer Republik nach links unterblieb. Die unausgesprochene Drohung der Forderung von Neuwahlen — das allgemein erwartete Echo auf einen massiven sozialistischen Erfolg — wird, so die politischen Führer dieselbe Besonnenheit wie die Wähler bekunden, unterbleiben. Ungestört kann die Arbeit im Bund ihren Fortgang nehmen.

Zweitens: Nicht dezimiert, nein, sogar gevierteilt ist die „Wahlpartei der Unabhängigen“. Wir haben dieser politischen Gruppe, seitdem sie sich aus einem kühn-idealistischen Vorstoß in politisches Neuland in eine Ressen-timentpartei verwandelt hat, manch herbes Wort zu sagen gehabt. Nun, in ihrer schweren Stunde, fällt es uns leicht, Zurückhaltung zu üben. Eines nur darf gesagt sein: mit politischer Geisterbeschwörung, mit der Lebensrune als Parteiabzeichen läßt sich eben 1954 in Oesterreich doch keine Politik machen. Das „nationale Lager“ als eine bestimmende Kraft in der österreichischen Innenpolitik ist gewesen. Nicht erst heute, auch nicht 1945, sondern schon seit de m 1 3. März 193 8, seitdem Hitler seine Wirklichkeit dem „Traum vom Reich“ gegenüberstellte. Trotzdem wird es weiter eine WdU geben. Und es soll sie auch geben. Wenn es nicht noch andere Gründe gebe, dann aus dem einen, um der kommunistischen Propaganda die Möglichkeit zu nehmen — wie bereits geschehen —, zu schreiben, „daß die OeVP im Begriffe ist, die Führung der großdeutsch-militärischen Reaktion an sich zu reißen“. Hier wird man von verantwortlicher Seite gut tun, solchen Unterstellungen rechtzeitig Paroli zu bieten.

Die dritte Lehre ergänzt die zweite: Anhänger der Theorie, daß wir uns langsam aber stetig dem Zweiparteiensystem nähern, können an dem vergangenen Wahlgang ihre Freude haben. Vielleicht ist es in absehbarer Zeit wirklich so-

weit? Auf keinen Fall kann es schaden, sich rechtzeitig Gedanken darüber zu machen, daß in einem solchen Fall auch die Frage eines Uebergangs vom Verhältnis- auf das Mehrheitswahlrecht — nur dieses macht ein Zweiparteiensystem sinnvoll — erneut zur Diskussion gestellt werden wird.

Doch davon zu sprechen, wird in diesem Blatt noch Gelegenheit sein. Ebenso wie von den Ueberlegungen, die die Volkspartei statt eitler Freude anstellen sollte, will sie sich nicht mit einem — um in der Sprache des Barometers zu schließen — nach Strichen zu berechnenden Erfolg bescheiden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung