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Ein unwürdiges Spiel — ein gefährliches Spiel

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Ein untrügliches Kennzeichen aller innerpolitischen Tendenzen sind die bei den Parlamentswahlen abgegebenen gültigen Stimmen. Im Laufe von zehn Jahren haben die Sozialisten, ohne jemals enenpqsihljig /zu leiden, 330.411 Stimmen ,■-gyrdnn.en, die Kommunisten 70.488 und die Splitterparteien 19.099 Stimmen verloren. Dagegen erreichten die Schwankungen bei der Volkspartei mit 218.209 Stimmen 11,3 Prozent des gegenwärtigen Besitzstandes und bei den Freiheitlichen — unter Berücksichtigung der einstigen „Wahlpartei der Unabhängigen" — mit 205.524 Stimmen 61,1 Prozent ihrer augenblicklichen Stärke. Da die Sozialisten bei den letzten Wahlen um 25.892 mehr Stimmen erhielten als die Volkspartei, die ihren Rang als stärkste Fraktion des Parlaments nur der Wahlarithmetik verdankt, spielen die gefürchteten Randschichten noch immer eine entscheidende Rolle, weil sie. ihre Stimmen abwechselnd der Volkspartei, den Sozialisten oder den Freiheitlichen zuwenden. Daraus entwickelte sich in der Koalition das unwürdige „Buhlen“ um die Gunst der oppositionellen Wähler, damit die ehemaligen Großdeutschen und Nationalsozialisten, die Malkontenten und notorischen Negativisten beim nächsten Urnengang für die Volkspartei oder die Sozialisten stimmen, was manchmal gelingt und manchmal fehlschlägt, praktisch jedoch zu einer gewissen geistigen Infiltration der Regierungsparteien führt. Im allgemeinen wurden dabei zwei Verfahren angewandt. Die „Taktik Oberweis“ ist schon im Anfangsstadium mißraten. Später hielt man sich an die „Methode als ob“, bei der die Vergangenheit großzügig mit Stillschweigen übergangen wurde, als ob es überhaupt niemals einen Nationalsozialismus und ein Drittes Reich gegeben hätte. Alle Betroffenen wären, so hieß es, angeblich seit langem bekehrt, und man dürfe auch nicht ewig in makabren Erinnerungen wühlen. Der Erfolg war in beiden Fällen problematisch. Künftig wird anscheinend ein neuer Weg beschritten. Man will auf die Bekehrung der alten Generation als verspätet und aussichtslos verzichten, aber die Jugend gewinnen; seit dem Ende des zweiten Weltkrieges seien schon sechzehn Jahre vergangen, und die politische Geschichte vor 1946 spiele für die junge Generation nicht die geringste Rolle. Dazu wäre es allerdings notwendig, mit einer verstärkten geschichtlichen Schulung Ernst zu machen'

und selbst klare Bekenntnisse nicht zu scheuen.

Größeres Verantwortungsgefühl tut allerorten not!

Diese kurze Analyse erlaubt einige i Schlußfolgerungen. Niemand zweifelt, daß die nächsten Parlamentswahlen von überragender Bedeutung sind, weil es sich darum handelt, ob der bisherige Kurs — dem der Staat seine Wiedergeburt, die Wirtschaft ihren Aufstieg und die Bevölkerung ihren Wohlstand verdanken — fortgesetzt oder ein Weg ins Ungewisse eingeschlagen wird. Koalition, Opposition, Randschichten und politisch Heimatlose müssen sich der Verantwortung bewußt sein, die jeder Staatsbürger in der Demokratie trägt. Natürlich gibt es Lücken, Schönheitsfehler und Unterlassungen. Manche Kritik mag im einzelnen verständlich sein. Aber wer wollte leugnen, daß der äußere und innere Kurs in seiner Gesamtheit richtig gewesen ist. Doch genügt es nicht, Erfolge zu verwalten, die vielmehr von Dauer sein müssen, wozu ihre Verankerung im Bewußtsein der Bevölkerung gehört. Das Werk, das der österreichische Patriotismus von 1945 bis 1961 aufgebaut hat, benötigt eine Fortsetzung, Erweiterung und Konsolidierung. Der jungen Generation, die diese Aufgabe übernimmt, wird Abneigung und Gleichgültigkeit gegen die Politik und das öffentliche Leben nachgesagt, die jedoch durch Aufklärung und direkte Teilnahme überwunden wird, aber auch mit Hilfe einer besseren Kenntnis der österreichischen Geschichte, von ihrem Anbeginn zur keltischen Zeit bis zur modernen Gegenwart.

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