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Einkehr

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Die Tage der Walilpropher.cn und Zeichendeuter sind vorüber. Jetzt sprechen die nüchternen zahlenmäßig bestimmten Tatsachen. In einem musterhaften Wahlgang hat das österreichische Volk seine Meinung zu den öffentlichen Dingen dargelegt. Nicht so, wie es die Optimisten von rechts, aber auch nicht so, wie es die Optimisten von links für sich erwarteten. Die hochfliegenden Hoffnungen der Wahlpartei der Unabhängigen sind jäh zerknickt worden. Das Verlangen der sozialistischen Führung nach der Vormachtsstellung ihrer Partei hat sich nicht erfüllt, sie muß sich mit ihrem ansehnlichen, fast lückenlos über ganz Oesterreich gebreiteten, in der Parteiengeschichte der österreichischen Republik bisher noch nicht verzeichneten Zuwachs von 195.000 Stimmen zufriedengeben. Das Votum des Volkes hält sich in der Mitte, weicht den Extremen aus und hat nebenbei den Splitterern, wie immer sie “sich geheißen haben mögen, die unzweideutige Mißbilligung ausgesprochen. So enthält, im ganzen gesehen, das Wahlergebnis eine ganze Reihe weiser Lehren.

Das Arbeitsbündnis der beiden großen Parteien ist bestätigt. Gegen diejenigen ist durch das Wahlergebnis Vorwurf erhoben, die in vergangenen Jahren diese Arbeitsgemeinschaft zerstört haben. Die Leistung des • Nationalrates, die Fruchtbarkeit der gesetzgeberischen Arbeit, die Lebenskraft unserer Demokratie wird in einer verantwortungsbewußten loyalen Zueinander ordnung der beiden großen Lager zu verfestigen sein, oder sie wird nicht sein. Die ganze Folgenschwere der in die Hände der beiden Arbeitspartner gelegten Entscheidung wird damit offenbar. Niemand kann sich darüber täuschen, daß keine andere Kombination die notwendige Zusammenordnung ersetzen kann. Vor kurzem mögen noch Führer des VdU von Ministersesseln und Zubehör geträumt haben, die ihnen beschert sein würden, wenn ihre Partei als dritte Komponente des nächsten politischen Systems einrücken würde. Sie hatten es nicht wahrhaben wollen, daß eine jung aufkommende politische Bewegung sich ihren Platz auch als Opposition durch ihre sachliche Leistung zu erkämpfen hat, durch. eine Bewährung, ohne die sie eines Tages dahin-schmelzen muß wie der Märzenschnee. Inwieweit diese Leistung erbracht wurde, darüber hat die Wählerschaft gerade der Stammbezirke der Unabhängigen ihre Meinung deutlich zusammengefaßt. Voran sind, zehntausende steirische und oberösterreichische Arbeiterwähler, der bisherige Stolz der Partei, sozusagen mit fliegenden Fahnen und klingendem Spiel aus dem Lager der Unabhängigen auf Nimmerwiedersehen ausgerückt. Wenn es je irgendwo in den großen Parteien politische Rechenspielereien gegeben hat, die in eine künftige Regierungsmehrheit die Partei einzuschalten versuchten, so haben sie jetzt ihr Ende gefunden. Um sc strenger sind die beiden bisherigen Koalitionspartner darauf gewiesen, eine zuverlässige, achtunggebietende, auf gegenseitiger Achtung der Partner beruhende Mehrheit zu bilden.

Die Volkspartei ist aus dem Wahlkampf mit einem geringen Verlust an Mandaten und einem mehrsagenden an Stimmen heimgekehrt. Bereichert, wie man hoffen darf, um eine wertvolle, naheliegende und wieder aufgefrischte Erfahrung. Mit knappem Vorsprung behauptet sie ihre Führerstellung. Im Wahlkampf hat sie geschickt und energisch ihre wirtschaftlichen Grundsätze und Pläne vorgetragen und sich zu ihrer praktischen Ausführung bekannt. Sie hat dafür viel Verständnis gefunden und in Zeitläuften, wo wieder unverantwortliche Versprechungen zur gefährlichen Propagandamode geworden sind, sich den Dank der Einsichtigen verdient. Aber das reichte nicht, sie vor Verlusten zu schützen. Jetzt nach der Wahl hat sie, die kein opportunistisches Gefüge ist und auch nicht sein darf, sich darüber Antwort zu geben, ob sie als Volkspartei, die alle Werte der menschlichen Gemeinschaft zu betreuen hat, sich nicht dem Mißverständnis aussetzt, daß sie den Primat im Staate der Wirtschaft zuweise. Die Sicherung der wirtschaftlichen Wohlfahrt gehört zu unserer Existenz. Wir bedürfen ihrer, so wie sie unserer gewissenhaften Pflege bedarf. Aber sie ist nicht die vorderste Macht und die Volkspartei ist kein Gebilde liberaler oder materialistischer Doktrin. Im Ringen mit den heute die Menschheit umdrängenden dämonischen Gewalten kommt man allein mit Nationalökonomie und Finanzwirtschaft und nicht einmal mit der Nachahmung Hitlerscher Autobahnpläne durch. In einem geistreichen Essay über das Dilemma des säkularisierten Staates schrieb Wilhelm Oswald: „Der Indifferentismus aus der liberalen Haltung, welcher in den Weltanschauungsproblemen eine bloße unverbindliche und unerhebliche Privatangelegenheit glaubte erblicken zu dürfen, ist unhaltbar und unverantwortbar geworden. Die Dynamik eines neuen weltanschaulichen Prinzips (der Fri-bourger Gelehrte deutet auf den Bolschewismus hin), durch welches eine Umwertung aller Werte und eine Umgestaltung aller Dinge ins Werk gesetzt wurde, läßt heute die Frage der geistigen Grundlegung, der metaphysischen Verankerung aller menschlichen Einrichtungen als unumgängliches Anliegen von höchster praktischer Bedeutung erscheinen. Christliche Kulturbesinnung wird damit zu einer Aufgabe, die uns durch die weltgeschichtliche Stunde, in der wir stehen, gestellt is t.“ Wenn dieses Wort hier zitiert wird, so ist es eine Erinnerung und nichts anderes. Aber doch eine Erinnerung, daß eine politische Partei von Stellung und Beruf der Volkspartei zum Primat des Geistes zu stehen hat mit dem offenen Bekenntnis durch das Wort und die Tat. Das soll nie verdunkelt werden. Mit wirtschaftlichen Parolen allein gewinnt man keine großen Schlachten auf dem Felde der Geister.

Auch politische Verluste können zum Gewinn werden, wenn aus ihnen die rechten Erkenntnisse erhoben werden, in .schminkenloser Selbstprüfung und mit dem festen Entschlüsse, gemachten Fehlern an den Leib zu gehen. Nicht zuletzt durch Hinkehr der Volkspartei zu ihrer sozialreformerischen, aus ihrem weltanschaulichen Standorte geschöpften Berufung.

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