6840880-1975_43_06.jpg
Digital In Arbeit

Wenig Wellen

19451960198020002020

Am letzten Oktobersonntag wird das Schweizer Volk sein Parlament neu zu bestellen haben. Wenn die politische Stabilität auch nicht unbedingt so groß ist, wie sie sich soeben in Österreich ergeben hat, so steht doch jetzt schon fest, daß keine gewaltigen Erdrutsche erwartet werden können. Zudem steht aber — und das ist eine schweizerische Besonderheit — jetzt schon die Regierungszusammensetzung vom kommenden Dezember mit fast absoluter Sicherheit fest. Seit 1959 wird der Bundesrat, also die Bundesregierung, die bekanntlich als kollegiales Gremium amtiert, nach einer Zauberformel auf vier Parteien aufgeteilt: 2 Christdemokraten, 2 Sozialdemokraten, 2 Freisinnig-Dertiokraten und 1 Mitglied der sogenannten Schweizerischen Volkspartei, die früher einmal „Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei“ geheißen und ihr soziologisches Spektrum auch über den Namenswechsel hinaus nicht geändert hat.

19451960198020002020

Am letzten Oktobersonntag wird das Schweizer Volk sein Parlament neu zu bestellen haben. Wenn die politische Stabilität auch nicht unbedingt so groß ist, wie sie sich soeben in Österreich ergeben hat, so steht doch jetzt schon fest, daß keine gewaltigen Erdrutsche erwartet werden können. Zudem steht aber — und das ist eine schweizerische Besonderheit — jetzt schon die Regierungszusammensetzung vom kommenden Dezember mit fast absoluter Sicherheit fest. Seit 1959 wird der Bundesrat, also die Bundesregierung, die bekanntlich als kollegiales Gremium amtiert, nach einer Zauberformel auf vier Parteien aufgeteilt: 2 Christdemokraten, 2 Sozialdemokraten, 2 Freisinnig-Dertiokraten und 1 Mitglied der sogenannten Schweizerischen Volkspartei, die früher einmal „Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei“ geheißen und ihr soziologisches Spektrum auch über den Namenswechsel hinaus nicht geändert hat.

Werbung
Werbung
Werbung

So gesehen, wundert es denn auch recht wenig, daß der Wahlkampf kaum große Wellen wirft, außer vielleicht in den wenigen Kantonen, in denen aus ganz persönlichen Gründen führende Kandidaten umstritten sind. Einerseits hört man immer wieder die Klage, daß auf dem Weg über die Parlaments-wahlen kaum Wesentliches geändert werden könne, und zweitens beklagt sich der einfache Bürger darüber, sich in der Fülle von kandidierenden Gruppierungen nicht mehr auszu-kennen. Der erste Vorwurf ist bedingt richtig, denn eine massive Kräfteverschiebung im Parlament würde sich zweifellos in der politischen Arbeit und damit sogar in der politischen Zusammensetzung der Regierung auswirken — so unwahrscheinlich dies in der Praxis ist. Der zweite Einwand ist jedoch nicht aus der Welt zu schaffen. Es genügt ein kleines Grüppchen, laut Gesetz genau 15 im Wahlkreis wohnhafte Stimmberechtigte, um eine eigene Liste einzureichen, wobei sich sogar von diesen 16-nurein einziger unbe-j dingt als Kandidat zur Verfügung ( stellen muß. So sind denn jetzt insgesamt etwa 170 verschiedene Listen eingereicht worden, was die Qual der Wahl wesentlich vergrößert.

Aber auch, wenn man die eigentlichen Parteien analysiert, die das Recht auf Beteiligung an Wahlsendungen von Radio und Fernsehen haben, kommt man immer noch auf die schicksalhafte Zahl von dreizehn. Diese Parteien lassen sich in drei mehr oder weniger klar zu trennende Gruppen einteilen: ganz links, ganz rechts und dazwischen die sehr breite Mitte, die von den Sozialdemokraten bis zu der die Bauern, Gewerbler und Bürger umfassenden Schweizerischen

Volkspartei reicht.

Vor kurzem hat nun eines der vielen agierenden Institute einen möglichen Sieg der Sozialdemokraten errechnet. Man sprach von der Möglichkeit, die SPS könnte über zehn zusätzliche Parlamentssitze gewinnen. Dann aber wurde bald „richtiggestellt“, daß es sich dabei nicht um eine Prognose, sondern nur um eine Trendrechnung gehandelt habe, daß dieser Trend inzwischen etwas abgeschwächt sei und daß ja der eigentliche Wahlkampf (soweit es dazu überhaupt kommt!) den Trend schließlich verändern könne. Mit anderen Worten: alles ist offen, aber geschehen wird nicht viel.

Mit einiger Sicherheit kann man einen Rückgang der äußersten Rech-teu^voraussagen. Jpa^, diese .bi^M., aber insgesamt nur 11 der 200 Sitze einnahm und da nicht mit ihrem vollständigen Ausscheiden zu rechnen ist, würde auch dies keine umwälzende Veränderung bringen. Daß diese „Rechte“ Einbußen erleiden wird, ergibt sich einerseits aus der wirtschaftlichen Rezession. Die „Rechte“ hat vor allem mit dem Schlagwort der Überfremdung operiert, das heute nicht mehr so einzuschlagen vermag, wie noch vor vier Jahren, da inzwischen mindestens 100.000 ausländische Arbeitskräfte das Land bereits verlassen haben. Anderseits dürfte die Schlagkraft der Rechten nachgelassen haben, weil sie sich in einem ungeheuren Intrigenspiel selbst* zerfleischt hat. Aus der Nationalen Aktion ist deren Gründer, James Schwarzenbach, schon vor Jahren ausgetreten und hat die Konkurrenzbewegung der Republikaner gegründet. Nun sind daneben von Renegaten noch die Eidgenössisch-Demokratische Union und die Liga zum Schutz von Lebensraum und Lebensqualität, beide mit ähnlichen Zielen, ins Leben gerufen worden.

Doch nicht nur ganz rechts stehen dem Bürger vier sich bekämpfende und doch ähnlich gerichtete Gruppen zur Wahl, auch ganz links ist der Streit vehement und geht von der Partei der Arbeit (moskautreue Kommunisten) über die POCH (Progressive Organisationen) bis zur Revolutionären Marxistischen Liga.

In der Mitte schließlich ist die Position des sogenannten Landesrings der Unabhängigen, das heißt: die seinerzeit von Duttweiler und seiner Detailhandelsorganisation „Migros“ gegründete politische Organisation, umkämpft. Sie stellt gegenwärtig 13 Nationalräte, und es ist nicht sicher auszumachen, ob die herrschende Rezession diese Gruppe eher stärken oder schwächen wird. Die Frage bleibt im Augenblick offen, ob auch der Landesring von den vermutlich schrumpfenden

Anti-Ausländern profitieren wird, oder ob diese Sitze tatsächlich nur an die Sozialdemokraten gehen.

Die letztgenannte Version könnte dann eine Verschiebung der Reihenfolge der drei Großen erbringen. Jetzt sind die Freisinnig-Demokra-ten mit 49 Mitgliedern im Nationalrat vertreten, die Sozialdemokraten mit 46 und die Christdemokraten mit 44. Hier sind also Stellenwertwechsel möglich, ohne daß sich jedoch die grundsätzliche Innen- oder

Außenpolitik der Schweiz ändern wird.

Kein Wunder also, daß die Spannung am Wahltagabend nicht allzu groß sein wird — außer natürlich bei den Politologen und den direkt Betroffenen. So ist auch in einem Land, das — im Gegensatz zu Österreich — keine Hochrechnung kennt, die Attraktivität gesenkt. In der Schweiz sind die letzten Ergebnisse vor vier Jahren sogar erst am Mittwoch Vormittag nach den Wahlen eingegangen.

Man sieht: eine Allerweltslösung gibt es nicht, und das Schweizer Radio, wie auch das Fernsehen, hätten eigentlich eine Hochrechnung gewünscht, in der Hoffnung, dadurch genau jenes Element wieder einzubringen, das in Österreich durch die Hochrechnung zerstört worden ist: die Spannung. Kein einziges spezialisiertes Unternehmen aber wagte sich in der Schweiz an diese Aufgabe heran. Die Kompliziertheit der Wahlarithmetik, die gewaltigen Unterschiede der Regionen und auch das Wahlverfahren selbst schreckten die Spezialisten zurück. Man hätte vielleicht einen Probelauf gewagt unter der Bedingung, daß darüber in der Öffentlichkeit nichts publik werde. Das aber lief den Intentionen von Radio und Fernsehen zuwider, und keine andere Institution wollte um des bloßen Spiels willen die nötigen über hunderttausend Franken aufbringen.

So unterbleibt die Hochrechnung — aber Spannung will sich trotzdem keine einstellen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung