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Imperativ der Einheit

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Der heute 83jährige Ehrenpräsident des ökumenischen Rates, Pastor Marc Boegner, ist nicht allein in seinem Heimatland Frankreich wegen seiner jahrzehntelangen Präsidentschaft der französischen protestantischen Kirchen allseits bekannt und geschätzt. Als protestantischer Theologe und Förderer der ökumenischen Bewegung — er gehörte 1948 bis 1954 zu einem ihrer Präsidenten — genießt er internationalen Ruf.

Er ist Mitglied der Acadėmie Franęaise und Kommandeur der Ehrenlegion. Zahlreiche Universitäten verliehen ihm den Ehrendoktortitel — darunter Edinburg, Prag, Toronto, Genf, Bonn, Aberdeen, N orth-Western-University.

Aus der Fülle seines schriftstellerischen Lebenswerks seien einige Titel herausgegriffen: „Der Einfluß der Reformation auf die Entwicklung des internationalen Rechts” (1926), „Die Christenheit und die moderne Welt” (1928), „Was ist die Kirche?” (1931), „Der Christ und das Leid” (1935), „Das triumphierende Leben” (1954), „Die sieben Worte am Kreuz” (1957), „Unsere Neigung zur Heiligkeit” (1958).

Es waren fazinierende Stunden, in denen der großartige alte Mann — aus der Fülle seines Erinnerungsfundus schöpfend — Städte und Begegnungen, Vorträge, Interventionen, Gespräche und Menschenporträts kaleidoskopartig an den geistigen Augen des Zuhörers vorüberziehen ließ. Wenn Präsident Marc Boegner über Karl Barth, Bultmann und Gollwitzer spricht, oder wenn er über Unterredungen mit Marschall Pėtain, Laval, de Gaulle und Gerstenmaier berichtet, weiß man nicht, was man an ihm mehr bewundern soll: sein außerordentliches Gedächtnis oder seine trotz der Jahre ungebrochene Tatkraft. Für ihn bedeutete -dię Wahjin den Kreis der vierzig Unsterblichen” der Acadė- mįę ęr ęięaise nicht den Abschluß einer Karriere durch die höchste Ehrung des Staates,, sondern nur einen Ansporn zu neuem Schaffen. Nach wie vor reist er im In- und Ausland umher, nimmt an Kongressen teil, hält Vorträge, schreibt Broschüren und Zeitungsartikel und hält auch hie und da eine Predigt Betrachtet man seinen Terminkalender, der — nicht anders als bei einem Industriellen oder vielbeschäftigten Politiker — Anfang und Ende eines Gesprächs mit militärischer Genauigkeit begrenzt, so kann man sich nicht vorstellen, daß es im Leben Marc Boegners auch Mußestunden geben könnte.

Die folgende Aufzeichnung stellt einen Extrakt aus mehreren Gesprächen mit Pastor Marc Boegner dar. Sie vermittelt dem Leser, der die französischen Kirchenverhältnisse nicht näher kennt, einige wesentliche Elemente. Darüber hinaus gibt sie einen Hinweis darauf, warum die Aktivität des Ehrenpräsidenten des Ökumenischen Rats besonders in katholischen Kreisen diesseits und jenseits der französischen Grenzen eine so hohe Wertschätzung findet.

Protestanten in der Minderheit

FRAGE: Herr Präsident, in Frankreich vereinigen die protestantischen Kirchen insgesamt etwa 800.000 Gläubige. Die Zahl ist seit dem 19. Jahrhundert stationär geblieben und zeigt keine Progression. Dafür wird die wachsende Zerstreuung des protestantischen Elements als Grund angegeben. Die Bevölkerung der ehemaligen protestantischen Landgebiete geht zurück, während die Abwanderung zu den Städten zur Zerstreuung und Isolierung führt. Wie ist es aber zu erklären, daß der Protestantismus in Frankreich gegenüber dem Katholizismus eine so verschwindende Minderheit darstellt?

ANTWORT: Die geringe Anzahl der Protestanten in Frankreich ist die tragische Folge einer langen und aufreibenden Verfolgungsperiode, die etwa 250 Jahre andauerte und zur Abwanderung zahlreicher Protestanten ins Ausland führte. Ich erinnere Sie an die Zehntausende, die als die eigentlichen, lebendigen Kräfte des Protestantismus anzusehen waren und die sich nach der Widerrufung des Edikts von Nantes, am 18. Oktober 1685 durch Ludwig XIV., gezwungen sahen, nach England, den Niederlanden, der Schweiz und nach Preußen auszuwandern.

F.: Aber auch die römisch-katholische Kirche stellt in Ihrem Land einen Minderheitsfaktor dar. Ich erinnere mich an ein Gespräch, das ich 1932 mit dem damaligen Berliner Bischof, Dr. Schreiber, führte. Er meinte, daß man Frankreich nicht als ein katholisches, sondern als ein atheistisches Land bezeichnen müsse. Ist dieser Tatbestand eine Folge der Kulturkämpfe zu Beginn des 20. Jahrhunderts?

A.: Es ist eine Tatsache, daß der französische Katholizismus in vieler Hinsicht — bei Betrachtung der geistigen Gesamtheit der Nation — eine deutliche Minorität darstellt. Obwohl nicht übersehen werden darf, daß die französische Masse bereits vor 1939 ein spirituelles und theologisches Erwachen kannte, kann man doch generell von ihr sagen, daß sie im wesentlichen vom Freidenkertum,’ religiösem Unwissen und Gleichgültigkeit geprägt bleibt. Die in Frankreich seit 1905 bestehende Trennung zwischen der Kirche und dem Staat, für die der Protestantismus immer eingetreten ist, wird von uns als positiver Faktor gewertet: Der Sieg des Laizismus hatte die Einheit der Kirche gefördert, ihren Einfluß verstärkt und ihr die Unabhängigkeit gebracht.

F.: Kann man sagen, daß die katholische Kirche nach dem zweiten Weltkrieg in Frankreich eine Wiederbelebung und Erstarkung erfahren hat?

AOhne jeden Zweifel — und zwar als mittelbare Folge der Kriegs jahre. Ich möchte , hj.gr nur. die Soldatenpriester und . gewisse Konzessionen der Kirche gegenüber sozialen Entwicklungen erwähnen? Die arbeitenden Massen in den Induslriewerken waren nicht mit der Theorie, mit Worten, zufriedenzustellen. Sie wollten Taten sehen. So kam es zur völlig neuen Einrichtung der Arbeiterpriester.

F.: Wie steht es nun mit dem französischen Protestantismus? Hat er in der letzten Zeit innere Konflikte und Spannungen von einiger Bedeutung gekannt?

A.: Der französische Protestantismus kannte Ende des vergangenen Jahrhunderts doktrinäre Konflikte zwischen der orthodoxen und liberalen Richtung. Zwischen den beiden Weltkriegen erlebte er eine unvergleichliche Wiederbelebung des Calvinismus und die Einflüsse Karl Barths. Heute kann man eine gewisse liberale Bewegung und die Einflüsse Bultmanns registrieren.

F.: Kann man bei einer Betrachtung der neueren Geschichte der protestantischen Kirchen Frankreichs von direkten oder indirekten Einflußnahmen ihrer Exponenten auf die Staatspolitik sprechen?

A.: Die Kirche als solche nimmt keine direkte Einflußnahme auf die Staatspolitik. Aber ihre Entschließungen finden eine starke Beachtung im öffentlichen Leben und bei der Exekutive. Das war beispielsweise während des letzten Krieges besonders deutlich geworden, als wir mit Entschiedenheit gegen die Auslieferung der Juden — sowohl der Emigranten aus Deutschland als auch Juden französischer Staatsangehörigkeit — eintraten oder uns gegen die Rekrutierung französischer Arbeitskräfte für die deutsche Kriegsindustrie stellten. In meinem Rechenschaftsbericht bei der Generalversammlung des französischer Protestantismus in Nimes — im Oktober 1945 — habe ich ausführlich über meine Interventionen bei Marschall Pėtain, Ministerpräsident Laval, Admiral Darlan und anderen Politikern berichtet.

In neuerer Zeit haben wir nun in der Frage der Militärdienstverweigerer aus Gewissensgründen einen „Status des zivilen Dienstes”. Wenn ich an die Zeit der Konflikte um diesen Status denke, möchte ich feststellen, daß General de Gaulle unter den hohen Autoritäten des Staates der einzige war, der meine ihm vorgebrachten Argumente wirklich verstanden hat.

Im Priesterseminar von Innsbruck tritt in der Zeit vom 4. bis 6. September die Herbstkonferenz 1964 der Arbeitsgemeinschaft der Katholischen Aktion zusammen. Am Programm stehen zunächst die Neuwahl des Präsidiums, die Bestimmung des Jahresthemas der Katholischen Aktion für die Jahre 1965/67 und die Erörterung verschiedener organisatorischer und allgemein aktueller Probleme.

Die Verhandlungen um Leihgaben für die Ausstellung „Die Kunst der Donauschule 1490 bis 1540”, die das Land Oberösterreich von Mai bis Oktober 1965 im Augustiner-Chorherrenstift St. Florian bei Linz und im Linzer Schloßmuseum veranstaltet, sind nun so weit gediehen, daß feste Zusagen von bereits 70 privaten und staatlichen Kunstsammlungen vorliegen.

Zu gemeinsamen Aktionen des Widerstandes der Gewerkschaften und der Religionsgemeinschaften gegen jene Manager, die am Volksverderb verdienen wollen, ruft der „Neue Arbeiter”, das Blatt der Katholischen Arbeiterbewegung Österreichs, in seiner Augustnummer auf. Es sei durchaus angezeigt, daß Gewerkschaften und Religionsgemeinschaften, denen ja vielfach dieselben Menschen angehören, den Kampf gegen die Manager, die Diktatoren der Zivilisation, gegen Niedergang und gegen Volksverderb aufnehmen.

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