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Kader der „neuen Intelligenz“

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Wenn sich die Zahl der Ministerien in der Tschechoslowakei heute gegenüber der Zeit vor 1938 verdoppelt hat, so ist damit das erstrebte russische Vorbild noch lange nicht erreicht, war hier doch im gleichen Zeitraum die Zahl der Ministerien — sie hießen damals freilich noch Volkskommissariate — von 18 auf 59 gestiegen. Vor allem das Beispiel des russischen Industrieministeriums, an dessen Stelle im Laufe der Jahre 1932 bis 1947 nicht weniger als 31 Fachministerien traten, hat es der Prager Regierung sichtlich angetan. Das 1945 errichtete Industrieministerium der Tschechoslowakei wird 1950 in eines für Leicht- und eines für Schwerindustrie geteilt, dieses wird 1951 wieder beseitigt und an seine Stelle treten die fünf Ministerien für Brennstoffe und Energie, für Hüttenindustrie und Erzbergbau, für chemische Industrie, für Schwermaschinenbau und für allgemeinen Maschinenbau. Daneben bestehen — um nur auf dem wirtschaftlichen Sektor zu verbleiben — die' Ministerien für Arbeitskräfte, für Landwirtschaft, für Forste und Holzindustrie, für .Lebensmittelindustrie, für Baustoffindustrie und an Neuschöpfungen des heurigen Jahres das Ministerium für Verbindungen (Post und Telekommunikation), das Versorgungsministerium (eigentlich Ministerium für Aufkauf) und das Eisenbahnministerium.

Diese immer weiter um sich greifende Spezialisierung in der Organisation der obersten Staatsbehörden, diese immer weiterschreitende Verästelung und Aufspaltung hat ihre Parallele in der Organisation des Schulwesens. Einschneidende Neuerungen hat, nachdem bereits seit Jahren ein reichgegliedertes Fachschulwesen für alle Zweige der Industrie besteht, der Regierungsbeschluß vom 3. Juni d. J. für das landwirtschaftliche Schulwesen gebracht, und zwar ebenfalls nach russischem Beispiel. Neben den bestehenden zwei- bis Vierjährigen Landwirtschaftsschulen werden mit Beginn dieses Schuljahres „Meisterschulen" für 17- bis 40jährige Schüler mit mindestens zweijähriger Praxis errichtet, und zwar für die Fachrichtungen Garten- und Obstbau, Mechanisierung der Landwirtschaft,

Weinbau, Hopfenbau, Anbau von Gespinstfasern, daneben einjährige Meisterschulen für Tierzucht, für Geflügelzucht, für Imkerei, für Fischerei und für Futtermittelanbau. Zweijährige Fortbildungsschulen für das landwirtschaftliche Rechnungswesen bilden die erforderlichen Verwaltungskräfte — ausschließlich weibliche — für die landwirtschaftlichen Einheitsgenossenschaften heran. Daneben werden zweijährige „Zentren des arbeitenden Nachwuchses" für folgende Fachkräfte errichtet: Schlosser, Maschinenschlosser, Automechaniker, Schmiede, Elektromechaniker, Obstpfleger, Gärtner,

Hufschmiede, Wagner, Sattler sowie ähnliche Einrichtungen mit einjähriger Dauer für landwirtschaftliche Traktorenführer, Schweinezucht, Pferdezucht, Geflügelzucht, Hopfenbau, Kartoffelbau, Rübenbau, Gemüsebau usw.

Die Technische Hochschule in Prag wurde in Fakultäten für Hochbau, für T i ė f b a u, für Maschinenbau, für Elektrotechnik, für Chemie, für Land- und Forstwirtschaft und für Wirtschaftswissenschaften gegliedert, denen eben eine neue Fakultät für Eisenbahnwesen angeschlossen wurde. Daneben bestehen Fakultäten für Landwirtschaft und für Forstwirtschaft in Brünn und Kaschau, eine Hochschule für Wirtschaftswissenschaften in Preßburg, Bergbauhochschulen in Ostrau und Pribram und eine Hochschule für Maschinenbau in Pilsen; eine neue technische Flochschule wird im September dieses Jahres in Kaschau eröffnet.

Auch an den Universitäten ist die historische Einteilung in vier Fakultäten längst überwunden. Schon, in der ersten Republik war als fünfte die naturwissenschaftliche Fakultät hinzugekommen, 1946 als sechste die pädagogische Fakultät. Die so verkleinerte philosophische Fakultät der Prager Universität wurde noch weiter geteilt, nämlich in eine philosophisch-historische und eine philologische Fakultät, und schließlich wurde eben die Abspaltung einer weiteren Fakultät an der Karls-Universität in Prag und an der slowakischen Universität in Preßburg beschlossen, nämlich für geologisch- geographische Wissenschaften. Aucjh die naturwissenschaftliche Fakultät derj Prager Universität wird mit Beginn des kommenden Studienjahres geteilt, und zwar in eine math.ematisch-

physikalische und eine b i o- logische Fakultät. In Brünn und Preßburg werden pharmazeutische Fakultäten errichtet.

Die Fakultät für Gesellschaftswissenschaften der Hochschule für politische und Wirtschaftswissenschaften in Prag wird — allerdings erst 1953 — mit der philosophisch-historischen Fakultät der Universität zusammengelegt, der Verwaltungszweig ihrer politischdiplomatischen Fakultät mit der juridischen Fakultät. Die Wirtschaftsfakultät und die Fakultät für internationale Beziehungen werden in selbständige Hochschulen umgewandelt.

Neben die Universitäten in Prag, Brünn, Olmütz und Preßburg, die. Technischen Hochschulen in Prag, Brünn, Preßburg und Kaschau und die Akademien der musischen Künste in Prag und Brünn tritt also eine ganze Reihe weiterer Hochschulen: die Hochschule für internationale Beziehungen in Prag, die ökonomischen Hochschulen in Prag und Preßburg (die aus der einstigen Handelshochschule, der späteren Wirtschaftshochschule hervorgegangen sind), die schon erwähnten montanistischen Hochschulen; und neuerdings sieht ein Ministerratsbeschluß die Erichtung von drei landwirtschaftlichen Hochschulen vor: eine in Prag, aus der technischen Hochschule hervorgegangen, eine in Brünn, die durch Zusammenlegung der land-

und forst wirtschaftlichen Hochschule mit der tierärztlichen Hochschule entsteht, und eine in Neutra in der Slowakei; die Prager ist in Fakultäten für Ackerbau, für Ökonomie und für Mechanisierung gegliedert, die beiden anderen in je eine agronomische, eine zootechnische und eine tierärztliche Fakultät. In Altsohl in der Slowakei wird eine forst- und landwirtschaftliche Hochschule errichtet, in Prag eine Hochschule für Chemie, 1953 soll auch die eben errichtete Fakultät für Eisenbahnwesen in eine Eisenbahnhochschule umgewandelt v erden.

Gab es 1938 in der Tschechoslowakei neun Hochschulen, abgesehen von den deutschen, die 1945 „für ewige Zeiten" aufgehoben wurden, so sind es heute 22 mit 54 Fakultäten. Die Zahl der Studenten hat sich verdoppelt und beträgt heute 40.000.

Mit den alten Vorstellungen, wie sie sich mit dem Begriff einer Universitas litterarum verbinden, haben diese Hochschulen freilich nichts gemein. Sie sind Fachschulen zur Heranbildung des im Fünfjahresplan vorgesehenen Bedarfes an Ärzten, Technikern und Lehrern. Mit der Notwendigkeit, „die erforderliche Zahl qualifizierter Fachkräfte für den Aufbau“ heranzuziehen, hat der Unterrichtsminister kürzlich die letzten organisatorischen litterarum verbinden, haben diese Hochschulwesens begründet, und Innenminister Nosek hat erklärt, die Schaffung von Kadern einer neuen, sozialistischen In

telligenz sei eine der Grundfragen für die Festigung der Macht des Volkes.

Arbeitslosigkeit ist dieser neuen Intelligenz unbekannt, der Begriff des „Müßig- am-Markte-Stehens", wie es Lessing nannte, hat längst einer planmäßigen Erfassung und Eingliederung Platz gemacht. Die Verwendung in einem der Ausbildung entsprechenden Beruf ist gesetzlich garantiert. Der Staat bestimmt, wer studieren darf, der Staat bestimmt, welche Fächer zu belegen sind, der Staat besorgt den Arbeitsplatz.

Die Preisgabe einer Allgemeinbildung zugunsten eines hochqualifizierten Spezialistentums wird nicht einmal als Nachteil empfunden, sondern ist gleichfalls geplant und bezweckt. Gerade die Beschränkung auf einen möglichst engen Sektor, das Fehlen des Überblicks über ein größeres zusammenhängendes Gebiet macht diese „neue Intelligenz“ dem Staat und der Partei gegenüber hilflos und gefügig, liefert sie vollkommen dem totalitären Regime aus.

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