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Prags neue Studenten

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Während der glanzvollen Jubiläumsfeierlichkeiten der Alma mater Rudolphina im Vorjahr ist nicht zu unrecht viel und lobend über die österreichische Hochschulordnung gesprochen worden, da diese Jahrhunderte hindurch Muster und Beispiel für die Heranbildung eines akademischen Nachwuchses auf unserem Kontinent und darüber hinaus war. Wenn auch hierzulande nun Bestrebungen im Gange sind, bei dem Hochschulunterricht Reformen durchzuführen — über deren Einzelheiten man geteilter Meinung sein kann —, ist es höchst interessant festzustellen, daß in der geistigen Einflußsphäre Wiens ebenfalls Reformer des Hochschulwesens ihren Willen durchsetzten und die vor 16 Jahren mit Gewalt durchgesetzten „östlichen Reformen“ abzuschaffen vermochten.

Die Bestätigung dafür, daß die altösterreichische Hochschulordnung auch heute noch als „modern“ anzusprechen ist, lieferte uns die Nationalversammlung der kommunistischen Tschechoslowakei. Das Parlament in jener Stadt, die auf eine noch reichere Vergangenheit. im Hochschulwesen zurückblicken darf als Wien — bekanntlich war die Karls-Universität in Prag die älteste deutschsprachige Universität Europas —, und die tschechische Karls- Universität knüpften wiederum an die alten Traditionen an. Am 16. März dieses Jahres wurde von der tschechoslowakischen Nationalversammlung das neue Hochschul- gesetz, das mit dem kommenden Studienjahr in Kraft tritt, verabschiedet. Mit diesem Gesetz werden alle Fesseln, die durch eine sklavische Kopie der sowjetischen Hochschulordnung der Heranbildung eines akademischen Nachwuchses in unserem nördlichen Nachbarland seit 1950 auferlegt wurden, wieder abgestreift. Durch schmerzliche Erfahrungen eines starken Verfalls des einst mustergültigen und höchsten euro-

päischen Ansprüchen gerecht werdenden Hochschulwesens hat man sich in Prag nicht zu einer Reform der adaptierten sowjetischen Hochschulordnung entschlossen, sondern man war auch klug genug, den verfahrenen Karren wieder auf jene Spur zurückzulenken, die man ver lassen hatte. Und so gilt dortzulande ab Herbst 1966 wieder die bis 1950 praktizierte altösterreichische Hochschulordnung.

Die alten Titel

Nunmehr werden die 38 Universitäten, Akademien und Hochschulen des Landes wieder zu Körperschaften mit einer weitestgehenden Autonomie und mit einem weitgehend unabhängigen Professorenkollegium, das wieder das Recht erhält, Rektoren und Dekane in geheimer Wahl aus eigenen Reihen zu wählen. Die bisherige mitteischulmäßige Pflicht eines Besuches von Vorlesungen für die Studenten wird wieder abgeschafft, denen wieder Lemfreiheit zugebilligt wird. Die Studenten werden wieder nach eigener Wahl ihre Fächer belegen dürfen, werden ihre Studien nach erfolgreichen Staatsprüfungen und Rigorosen mit einem Absolutarium abschließen und erhalten wieder ihre aitösterreichischen akademischen Titel. Wie früher wird es Doktoren der Jurisprudenz, der Medizin, der Naturwissenschaften, Diplomingenieure, Magister der Pharmazie, akademische Maler, Bildhauer, Künstler usw. geben. (Die Absolventen der Hochschulen der letzten 16 Jahre durften sich nur Promovierter Jurist, Promovierter Arzt usw. nennen.) Das neue Hochschulgesetz der kommunistischen Tschechoslowakei kennt jedoch einen akademischen Titel nicht, der bei uns unverändert in allerhöchsten Ehren steht, da er von einer Fakultät vergeben wird, die in der Rangliste der österreichischen Universitäten an erster Stelle steht: den Titel eines Doktors der Theologie…

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