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Coimbras Tradition

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„Die Universität hat stets ihre Schuldigkeit getan", sagte ein wohlwollender Germanist in Coim- bra, Portugals ältester und bis 1910 einziger Hoher Schule, die in die- sen Tagen ihr 700jähriges Bestehen feierte. Sie ist damit älter als Prag oder Heidelberg. Der greise, immer noch streitbare Arzt und Schrift- steller Miguel Torga sieht es so: „Tradition ist nichts als Routine, Wissen reine Gelehrsamkeit. Es gibt keine einzige Erfindung, keine Idee, keine Theorie, die hier ihren Ur- sprung genommen hätte... Und immer, wenn ein begeisterter Er- neuerer sich regt und den Statuten zu Leibe rückt, läßt die Trägheit des Alltags das Moos einer jahr- hundertealten Häuslichkeit und einer erstarrten Ordnung darüber- wachsen."

Tatsächlich ist die Frühgeschich- te dieser Universität schwer nach- zuerzählen. Mehrmals wechselte ihr Standort zwischen Lissabon und Coimbra, die Urkunde, mit der König Dinis (Dionys) ihre Einrich- tung ankündigte, stammt vom 1. März 1290, die Genehmigung des Papstes, die für mittelalterliche Universitäten notwendig war, ist mit 9. August desselben Jahres da- des Erdbebens von Lissabon 1755.

Schon 1759, früher als andere aufgeklärte Herrscher in Europa, vertrieb er die Jesuiten aus dem Land und begann bei den „Studia minores" und später beim „Stu- dium generale" die Universitätsre- form. Besonders die Naturwissen- schaften wurden gefördert, die mathematische und die philosophi- sche Fakultät wurden neu gegrün- det, die medizinische wesentlich modernisiert. Experimentelle For- schung und anatomische Lehrver- anstaltungen wurden in Coimbra eingeführt. Ein astronomisches Ob- servatorium, ein physikalisches Ka- binett, ein chemisches Laborato- rium und ein botanischer Garten gehörten zu den Errungenschaften der Pombal-Ref ormen. Andere wur- den später zurückgenommen.

Im Lauf des 19. Jahrhunderts gab es Auseinandersetzungen zwischen den liberalen und den katholisch- konservativen Kräften des Landes, der Revolution von 1910, die den Sieg der Republik brachte, waren heftige Studentenunruhen voran- gegangen. Im selben Jahr wurden die Universitäten von Lissabon und Porto gegründet. Sie entstanden aus höheren Fachschulen, die sich im Laufedes 19. Jahrhunderts entwik- kelt hatten. Coimbras Einzigartig- keit sollte jedoch in einem gewissen Maß erhalten bleiben. Der Jura- Professor Antonio Salazar,derl928 in die Politik ging,, tat alles, um seine Universität zu fördern. Dabei ging es ihm allerdings weniger um eine Liberalisierung, sondern mäch- tige Neubauten sollten den Geist der „Führer-Staaten" unseres Jahr- hunderts ausdrücken. Den marmor- nen Palästen fielen manche schöne alte Gebäude und Winkel in der Oberstadt zum Opfer.

Die „Nelken-Revolution" von 1974 schien anfangs mit allen Tra- ditionen zu brechen, aber schon bald kehrten die Studenten zu den ver- trauten Talaren zurück, die sie bei den gern gefeierten Festen tragen.

Geistige Regsamkeit

Überhaupt trägt der Charme die- ser im internationalen Vergleich kleinen Universität die Stadt im- mernoch. Die 15.000 Studenten auf 100.000 Einwohner machen sich bemerkbar. Das Studiensystem mit Numerus clausus und genau vor- geschriebenen Lehrveranstaltun- gen wirkt weniger liberal, aber eine größere geistige Regsamkeit als an- derswo im Land scheint spürbar.

Nachdem die allgemeine Schul- pflicht von vier auf neun Jahre an- gehoben wurde, werden - so hoffen die Professoren - mit der Zeit auch besser vorgebildete Studenten an die Hochschule kommen. Eine Fol- ge des Numerus clausus ist aber, wie der aus Wien gebürtige Inhaber des Lehrstuhls für Germanistik feststellt, daß junge Leute nur des- halb Deutsch studieren, weil die Voraussetzungen zur Medizin nicht gereicht haben.

Heute werden auch mittelalterli- che Traditionen wieder neu belebt: die enge Verbundenheit der Leh- renden und Lernenden und - von Coimbra ausgehend - eine lockere Gemeinschaft alter europäischer Universitäten. Der „Gruppe von Coimbra" gehören bisher 23 Hoch- schulen an: Oxford, Edinburgh, Aarhus, Bologna, Pavia, Leiden, Barcelona, Granada, Salamanca, Heidelberg, Göttingen, Würzburg.

Zum Bewußtsein der Tradition gehören auch die verbliebenen hi- storischen Gebäude. Als Coimbra Hauptstadt des Landes war, wur- den die ersten Gebäude von den Königen zur Verfügung gestellt. Im 17. und 18. Jahrhundert erfolgten Erweiterungen, vor allem die prachtvolle Bibliothek wurde er- baut. Das mächtige Gebäude mit dem Turm umfaßt von drei Seiten einen Platz, auf dem das Denkmal jenes Königs Johann III. steht, der sein Schloß der Universität 1537 zur Verfügung stellte, an der vier- ten Seite gibt der Platz den Blick frei über die Stadt und ins Tal des Mondego-Flusses.

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