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Alma mater Leobensis

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DER UNWISSENDE FREMDLING, der durch die Straßen oder über den schönen alten Hauptplatz Leobens spaziert, mag sich darüber wundern, daß er hier oft genug einem Menschenschlag begegnet, den er in der kleinen steirischen Gruben- und Hüttenstadt nicht vermutet hätte: Griechen, Persern, Türken, und, wenn er Glück hat, sogar einem der beiden hier ansässigen Inder. Sie alle hat der Ruhm der „Alma mater Leobensis“ hergelockt. Hier, an der Montanistischen Hochschule, sammeln sie die Kenntnisse, die sie einst in ihrer fernen Heimat nutzbringend anwenden werden. Es ist so, wie anläßlich des hundertsten Geburtstages der Schule 1949 geschrieben wurde:

„Fast alle Samenkörner, die einst Erzherzog Johann in seinen Gründungen in das steirische Saatbeet gelegt hat, sind, betreut von einsichtsvollen und tüchtigen Männern, aufgegangen und haben sich im Laufe der Jahrzehnte in oft nahezu großartiger Weise zu segensreichen Instituten und Einrichtungen fortentwickelt, deren Ruf weit über die Grenzen unseres Landes reicht.“

Das Samenkorn Montanistische Hochschule hat lange gebraucht, ehe es aufgehen konnte. Um so stattlicher ist das Ergebnis!

VON NAH UND FERN kommen junge Leute, die Gruben- oder Hütteningenieure werden oder gar den Titel eines „Dr. mont.“ erwerben wollen, nach Leoben. Im Augenblick gibt es hier ungefähr 600 Schüler, von denen 60% Hütten- und 40% Bergwesen studieren. Etwa 30% kommen aus dem Ausland: 75% davon aus Deutschland, 10% aus Griechenland, 10% aus Persien und der Türkei, etliche sind aus Norwegen, aus Indien und anderen Ländern hergereist.

Warum? Der Zustrom ausländischer Studenten nach Leoben ist nicht zuletzt den vielen österreichischen Ingenieuren zu danken, von denen die letzte Strophe des „Leobner Liedes“ gefühlvoll kündet:

„Nun sitzen auch sie auf einsamem Schacht,

in alle Winde zerstoben

und denken voll Sehnsucht der sonnigen Pracht im alten trauten Leoben.“

Die Sonne über Leoben, von der sie singen, wird vom Rauch und den braungelben Schwaden der Schlote oft genug verdunkelt. Gleichviel — in alle Winde zerstoben, denken sie, die einstigen Leobener Studenten, gern an die Zeit in der grünen Steiermark zurück. In vielen Ländern der Erde, in den Gruben Indiens und Südamerikas, in Deutschland und in der Türkei, leisten Ingenieure aus Leoben einen wertvollen Beitrag zur Vermehrung des Ansehens, das Oesterreich als Heimat gesuchter Fachleute genießt. Und darin, daß viele Länder ihren eigenen Nachwuchs nach Leoben schicken, findet diese Anerkennung greifbaren Ausdruck.

Ein Leobener Ingenieur wird sich im verlassensten Nest, er wird sich auch in einer Grube oder an einer Oelquelle mitten im Urwald oder in der Wüste zurechtfinden. Wenn es etwas zu bauen gibt, wird er einen Bauingenieur ersetzen, wenn der Strom ausfällt, wird er sich als kundiger Elektroingenieur bewähren. Die Universal -ausbildung, die man ihm in Leoben wohlweislich geboten hat, wird ihn nicht in Stich lassen, wenn nicht für jede Spezialarbeit ein Fachmann da ist, und trägt viel zu seiner Beliebtheit bei. *

DAS STEIRISCHE EISEN hat seit vielen Jahrhunderten einen guten Ruf. Ueber alle Konjunkturschwankungen (die es auch zu Ururgroßvaters Tagen schon gegeben hat) hinweg, ist es stets eine begehrte Ausfuhrware geblieben. Am Anfang des vorigen Jahrhunderts entstand durch die leistungsfähigeren und billigeren Erzeuger anderer Länder, die sich die neuen englischen Verfahren zu eigen gemacht hatten, allerdings eine große Gefahr für das steirische Eisen. Da es seit alters her in kleinen Betrieben nach Verfahren, die der Vater dem Sohne weitergab von Generation zu Generation, erzeugt wurde, konnte man weder die Produktion steigern noch den Preis senken. Es gab nur eine Alternative: Die steirische Eisenerzeugung mußte gründlich reformiert werden oder zugrunde gehen.

Wir können uns heute wohl nur schwer in die Situation unserer Vorväter versetzen und ermessen, welch gewaltige Revolution der Ueber-gang zur Industrie für sie bedeutet haben muß und wie hart der Beginn des Maschinenzeitalters so manches alte steirische Geschlecht getroffen hat. Wir wissen nur, daß wir es nicht zuletzt dem Weitblick Erzherzog Johanns verdanken, daß die steirische Eisenerzeugung nicht den Anschluß verpaßt hat.

Am 16. November 1814 stellten die Kuratoren des 1811 als naturwissenschaftliche und landwirtschaftliche Schule gegründeten Joanneums an Kaiser Franz I. den Antrag, die Errichtung einer Hüttenkunde-Lehrkanzel zu genehmigen.Hier sollten die künftigen führenden Persönlichkeiten der steirischen Hüttenwerke, vor allem der Eisenhütten, ihre Ausbildung bekommen. Damit erscheint der Name des Erzherzogs, der das Joanneum gegründet und auch diesen Antrag angeregt hatte, in der Geschichte der Montanistischen Hochschule zum erstenmal als guter Geist auf.

Zwei Jahre später, am 8. Oktober 1816, bewilligte der Kaiser (nachdem Erzherzog Johann eine neue Denkschrift verfaßt hatte) endlich die Gründung der Lehrkanzel und die Anstellung Alois von Widtmanstettens. Aber Widtman-stetten, der einstige Direktor des k. k. Fabrik-produktenkabinetts in Wien, fühlte sich für die LIebernahme einer neuen Lehrkanzel zu alt. Der Plan blieb liegen.

1828 berichteten die Kuratoren in einem neuen Antrag, daß in den letzten Jahren ein fühlbarer Rückgang des Absatzes eingetreten sei. Die Konkurrenten Oesterreichs, England, Schweden, Rußland, Preußen, Belgien, ja schon Böhmen und Ungarn, hätten bedeutende Fortschritte in der Eisenverhüttung gemacht, während in Oesterreich noch alles beim alten geblieben sei.

„Vielen unserer Gewerken und Werkbeamten fehlt es zwar nicht an Tüchtigkeit, Erfahrung und an der Erkenntnis, wie notwendig das Fortschreiten und Verbessern in dem gegenwärtigen Zeitpunkt ist, aber es mangeln den meisten die notwendigen theoretischen Kenntnisse ...“

ES ERSCHEINT UNS HEUTE UNGLAUBLICH, daß in dieser Situation noch zwölf Jahre vergehen mußten, ehe am 4. November 1840 die „Steiermärkisch-Ständische Montanlehranstalt“ endlich eröffnet werden konnte. In dem erst 31 Jahre alten Peter Tunner hatte der Erzherzog eine hervorragende Lehrkraft gefunden. In seinem ersten Jahresbericht schrieb er einen Satz, der auch heute, nach mehr als hundert Jahren, noch immer für den Betrieb an der „Alma mater Leobensis“ gilt:

„Eine solche Lehranstalt praktischer Fächer, wie Berg- und Hüttenkunde es sind, darf nicht als bloße Schule dastehen, so wenig als die Lehrer derselben reine Schulmänner sein dürfen, wenn sie ihren vollen Nutzen auf die Dauer leisten soll; sondern eine solche Anstalt muß notwendig mit der Praxis in enger Verbindung stehen, sie soll, wenigstens in ihrem nächsten Bereich,, zugleich einen Zentralpunkt belehrenden Verkehrs bilden und sogestaltig zum Mittel werden, durch welches jeder Fachbefreundete das Seinige zur Förderung des allgemeinen Besten beitragen und umgekehrt wieder belehrende Nachricht von dem anderseits Geschehenen erhalten kann.“

Acht Jahre lang hatte die Schule ihren Sitz in Vordernberg, dessen Mittelpunkt damals das gastfreie Haus des Erzherzogs war, acht Jahre lang mußte Tunner den Lehrbetrieb allein bewältigen. 1848 wurde die Bergakademie in Schemnitz, die bisher die Montanbeamten für die staatlichen Berg- und Hüttenwerke der ganzen Monarchie ausgebildet hatte, für nichtungarische Hörer geschlossen. Tunner erreichte, daß seine Schule die Nachfolge der Schemnitzer Anstalt antreten durfte. Die Bürgerschaft der Stadt Leoben entschloß sich, das geräumige „neue Seminargebäude“ unentgeltlich zur Verfügung zu stellen, und am 1. November 1849 konnte die k. k. Montanlehranstalt in Leoben mit dem Unterricht beginnen.

DAS HOFFNUNGSVOLLE SAMENKORN ist aufgegangen. Die Montanistische Hochschule in Leoben besitzt heute Lehrkanzeln für Mathematik und Darstellende Geometrie, für Chemie,Mineralogie und Gesteinskunde, Lehrkanzeln für Maschinenbaukunde, Hüttenmaschinen- und Walzwerkskunde, für Elektrotechnik und Elektro-physik, Feuerungs- und Metallhüttenkunde, Metallkunde und Werkstoffprüfung, für Eisenhüttenkunde und Bergbaukunde, Feldmeß- und Markscheidewesen. Sie unterhält Institute für Physik, für Geologie, Paläontologie und, Lagerstätten-lchre und ein Eisenhütteninstitut.Seit etwa einem Jahr kann man in Leoben aber auch das Erdölbohren erlernen. Das Markscheidewesen (so nennt man die Vermessungsarbeit unter Tag „zünftig“) ist in Oesterreich leider durch die Gesetzgebung etwas benachteiligt. Da ein Markscheideingenieur bei uns nicht die Möglichkeit hat, zum Betriebsleiter aufzusteigen (was beispielsweise im Ruhrgebiet ohne weiteres möglich ist), sehen sich die Studenten dieser Fachrichtung gezwungen, ein anderes Hauptfach zu wählen.

Gleichgültig, welches Fach ein Student jedoch belegt — die Montanistische Hochschule in Leoben bietet ihm nicht nur hervorragende Lehrkräfte, sondern auch die technischen Einrichtungen, die notwendig sind. Sie besitzt zahlreiche Laboratorien, Werkhallen mit modernen Einrichtungen und sogar ein kleines Walzwerk, das sich, was seine Modernität betrifft, mit manchem großen Bruder messen kann.

In den Semesterferien gehen die Studenten in Gruben und Hüttenwerke in der Umgebung Leobens, wo sie sich nicht nur ihre Praxis erwerben, sondern auch das Geld für ihr Studium verdienen, denn nicht weniger als 60 Prozent der Leobener Schüler müssen ihre Ausbildung selbst finanzieren.

ES IST DAHER KEIN WUNDER, wenn die Leobener Studenten für überflüssige Dinge heute weniger Zeit haben als einst. Es gab Jahre, da war die arme Alma mater Leobensis als Sammelpunkt junger Leute bekannt, die trotz des Hüttenrauchs, der helle Kragen hier schneller schwärzt als anderswo, vorzugsweise in weißen Stutzen herumliefen. Dazu hat die Jugend von heute keine Zeit. Sie arbeitet.

Daß aber auch das einst so farbenfrohe studentische Brauchtum der jungen Berg- und Hüttenleute verblaßt ist, das ist schade. Vorbei ist es mit manchem altem Brauch, mit den dunklen kleidsamen „Bergkitteln“, die das Bild der Stadt belebten, mit dem Monatswechsel ist auch die Unbeschwertheit von einst dahingegangen. Aber wie einst heißt es auch heute:

„Und bricht einst der große Lohntag heran

Und des Lebens Schicht ist verfahren,

Dann schwingt sich der Geist aus der Teufe hinan

Vom Dunkel der Schächte zum Klaren

Und die Knappschaft des Himmels nimmt ihn auf,

Begrüßet ihn jauchzend: .Glück auf) Glück auf!'“

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