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Das Prager Schulexperiment

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Das dritte Schuljahr seit der Schaffung der Einheitsschule in der Tschechoslowakei wurde feierlich eröffnet: die Lehrerinnen kehrten aus den Erntekindergärten, wo sie die Ferienwochen zugebracht hatten, in die Schulen zurück, die Lehrer vom Hopfenpflücken oder anderen landwirtschaftlichen Arbeiten, bei denen sie mit ihren älteren Schülern eingesetzt waren, soweit sie nicht zu Einsatzbrigaden zusammengefaßt waren, um im Bergbau, auf Baustellen oder bei Erntearbeiten, wo gerade Mangel an Arbeitskräften herrschte, die unterrichtsfreie Zeit zu verbringen. Ein Teil der Ferienzeit war auch der politischen Schulung vorbehalten, die das Unterrichtsministerium veranstaltet hatte.

Sie kehrten jetzt, ebenso wie die zwei Millionen Schüler und Schülerinnen, in ihre Klassenzimmer zurück, die am ersten September festlich geschmückt waren. Vor den hier versammelten Eltern, den Vertretern des öffentlichen Lebens,. Stoßtrupparbeitern aus den Industriebetrieben und Musterarbeitern der landwirtschaftlichen Genossenschaften legten die Schüler ihr Versprechen ab, im neuen Schuljähr ehrlich arbeiten zu wollen „für ihr künftiges Glück, für das Vaterland und für den Frieden auf der ganzen Welt“.

Hatte man sich im Schuljahr 1948/49 damit begnügen müssen, die bisherigen Lehrbücher zu verwenden und lediglich über neue Lehrpläne für die National-und Mittelschulen verfügt, so lagen zu Beginn des Schuljahres 1949/50 die Lehrpläne auch für alle Typen der Schulen der dritten Stufe vor, also für die Gymnasien und Fachschulen und für die National- und Mittelschulen auch bereits neue Lehrbücher. (Als Mittelschulen werden nach dem Einheitsschulgesetz die Schulen der zweiten Kategorie für die 11- bis 15jährigen Kinder bezeichnet.) Zu

Beginn dieses Schuljahres liegen 150 neue Lehrbücher in einer Auflage von 8,000.000 Exemplaren vor.

Die alten Lehrbücher, die von einer .falschen bürgerlichen Moral verseucht“ sind, vor allem die Lesebücher mit ihren „sentimentalen, die Tatsachen verdrehenden Lesestücken“, in denen die anständigen Reichen bereitwillig den Armen helfen und ein privater Patriotismus als erstrebenswert dargestellt wird, aber auch viele Rechenbücher, in denen noch Beispiele aus der kapitalistischen Wirtschaftspraxis enthalten waren, wurden durch neue, vom „Pädagogischen Forschungsinstitut“ ausgearbeitete Lehrbücher ersetzt, die den Stoff im Geiste des dialektischen und historischen Materialismus darbieten. Ein großer Stab von Mitarbeitern wurde aufgeboten — das Lehrbuch für literarische Erziehung schrieb Unterrichtsminister Nejedly selbst —, zudem sind die pädagogischen Bezirksausschüsse zur Kritik aufgefordert, auch die Eltern sollen die Lehrbücher ihrer Kinder durchsehen und auf weltanschauliche Mängel aufmerksam machen.

Aber wichtiger als das Schulgesetz, wichtiger als Lehrpläne und Lehrbücher ist die Lehrerpersönlichkeit. Große Erwartungen hatte man 1946 in die neugeschaffenen pädagogischen Fakultäten gesetzt, die sofort an jeder Universität, also in Prag, Brünn und Preßburg, und an der neuen Universität in Olmütz errichtet wurden. Ja, man sah sich wegen der hohen Hörerzahl dieser Fakultäten gezwungen, die Prager und Preßburger Fakultät zu teilen und Zweigstellen nach Pilsen, Budweis und Königrätz, in der Slowakei nach Kaschau und Neusohl zu verlegen. Ihre große Hörerzahl — in der Slowakei zum Beispiel bildete sie mehr als ein Drittel aller Hörer der Universität — gibt freilich insofern ein unrichtiges Bild, als darunter ein sehr hoher Prozentsatz bereits im Beruf stehender Lehrer eingeschlossen ist.

Von Anfang an fehlte es nicht an schwerwiegenden Meinungsverschiedenheiten über die Gestaltung der Fakultäten: man errichtete Lehrstühle für Biologie, tschechische Sprache, Geologie usw., wie sie ohnedies an den philosophischen und naturwissenschaftlichen Fakultäten bereits bestehen, die dort bestehenden pädagogischen Seminare wurden um ein drittes, das an der pädagogischen Fakultät, vermehrt. Die beiden bedeutendsten tschechischen Pädagogen, Hendrych und P f 1 h o d a, weigerten sich, an die neuerrichtete Fakultät hinüberzuwechseln, auf die mit kritischen Zweifein die anderen Fakultäten herabsehen. So mußte der vielseitige Nejedly, der Schöpfer des Gesetzes über die pädagogischen Fakultäten, auch das Amt eines Dekans der Prager pädagogischen Fakultät übernehmen.

Plötzlich ist man aber zur Einsicht gekommen, daß die pädagogischen Fakultäten doch nicht der Weisheit letzter Schluß sind. Auf Vorschlag Nejedlys genehmigte die Regierung im heurigen Sommer die Errichtung von 17 pädagogischen Gymnasien zur Heranbildung der Lehrer an Nationalschulen und 14 pädagogischen Gymnasien zur Heranbildung von Kindergärtnerinnen. Am 1. September nahmen sämtliche 31 Anstalten ihren Unterrichtsbetrieb mit allen vier Klassen auf.. Selbstverständlich wird versichert, daß diese pädagogischen Gymnasien nicht das geringste, mit den Lehrerbildungsanstalten von einst zu tun haben und daß der Grundsatz der Hoch-chulbiidung für die Lehrer aller Kategorien dadurch nicht verlassen wird. Die Absolventen .der pädagogischen Gymnasien werden nämlich an Fernkursen der pädagogischen Fakultäten teilnehmen und dort nach fünfjähriger Unterrichtspraxis ihre Staatsprüfung ablegen.

Nach wie vor bleibt es Aufgabe der pädagogischen Fakultäten, die Lehrer der Mittelschulen auszubilden. Sie können sich eine der fünf Fachgruppen auswählen, die jeweils aus zwei Haupt-unter-richtsgegenständen bestehen und einen dritten Lehrgegenstand nach freier Wahl hinzunehmen.

Die Schulabteilung der Kreisnationalausschüsse gemeinsam mit den neukonstituierten pädagogischen Kreis- und Bezirksausschüssen, den Elternvereinigungen, dem Jugendverband und den Parteigliederungen hatten eine großzügige Werbeaktion eingeleitet, um die erforderliche Schülerzahl bis zum Herbst sicherzustellen; trotzdem war das Interesse für die pädagogischen Gymnasien zur Heranbildung der Kindergärtnerinnen recht gering, so daß man sich gezwungen sah, auch Pflegerinnen in größerer Menge einzustellen. Aber auch innerhalb der anderen Schulkategorien hat das neue Einheitsschulgesetz zu Ubergangslösungen gezwungen: so konnten bei weitem nicht alle Gymnasialprofessoren an den auf vier Jahrgänge verkürzten Schulen der dritten Kategorie verbleiben, sondern mußten teilweise an die Mittelschulen gehen, während viele ehemalige Bürgerschullehrer an die fünfklassigen National- (Volks-) Schulen zurückkehren mußten, wo sich ein spürbarer Lehrermangel geltend macht.

Die pädagogischen Gymnasien sind gleichmäßig auf das ganze Staatsgebiet verteilt, in jedem Kreis befindet 6ich mindestens eines. Sie sollen gleichzeitig Mittelpunkt der ganzen pädagogischen Arbeit im Kreis sein, die Verbindung zu den pädagogischen Fakultäten aufrechterhalten und pädagogische Beratungsstellen einrichten. Besonderes Augenmerk wird an den pädagogischen Gymnasien der staatsbürgerlichen Erziehung, dem öffentlichen Leben sowie der Landwirtschaft gewidmet, entsprechend der auf dem IX. Parteikongreß der KPC aufgestellten Forderung, daß die tüchtigsten Lehrer aufs Land gehen und mit den Grundsätzen der neuen Landwirtschaftspolitik, dem Wesen der Einheitsgenossenschaften vertraut sein müssen.

Auf dem eingeschlagenen Weg hofft man, eine Lehrergeneration zu erreichen, die zu dem Ziel steht, das Unterrichtsminister Nejedly der Lehrerschaft gestellt hat: Erziehung der Jugend zu einem neuen Patriotismus der Tat, zu positiver Arbeit und zu einer neuen sozialistischen Moral.

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