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Der Pädagogenstreik

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152.000 Schüler machten sich einen schönen Tag. Sie freuten sich einer österreichischen Einmaligkeit. Der Streik der Mittelschulprofessoren ist ein Novum in der Skala der Auseinandersetzungen im sozialen Leben unseres Landes.

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152.000 Schüler machten sich einen schönen Tag. Sie freuten sich einer österreichischen Einmaligkeit. Der Streik der Mittelschulprofessoren ist ein Novum in der Skala der Auseinandersetzungen im sozialen Leben unseres Landes.

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Waren es früher die Arbeiter der Faust, die am Rande des Existenzminimums um ihre Besserstellung kämpften und zum Streik als einzigem einigermaßen legitimen Mittel griffen, kämpfen heute Akademiker mit dem gleichen Mittel um 353 Schilling. Allerdings nicht oberhalb oder unterhalb eines fiktiven Existenzminimums — sondern zwischen 13.717 und 14.070 Schilling: in der höchsten Dienstklasse.

Es geht nach wie vor vordergründig um diesen Differenzbetrag von 2.5 Prozent; in Wirklichkeit aber um die Frage, ob man bei solchen hohen Einkünften (und im österreichischen Durchschnitt sind diese Bezüge hoch) überhaupt die scharfe Waffe des Streiks in der Auseinandersetzung zwischen Dienstgeber und Dienstnehmer verwenden darf.

So gesehen mag es auch nicht verwundern, wenn die Öffentlichkeit, vor allem die Elternschaft, nur bedingt Verständnis für die „Waffenwahl“ der Professorenschaft aufbringt. Freilich: bei aller Fragwürdigkeit bleibt das Unbehagen grundsätzlich unbehandelt. Denn im Hintergrund steht die unerledigte Schulreform — oder anders: die permanente Schuldiskussion.

Es mag damit begonnen haben, daß die Schule zum innerpolitischen Streitthema ersten Ranges wurde, als im Frühjahr 1969 plötzlich Elternvertreter für die Abschaffung oder zumindest Sistierung des 9. Schuljahres, das in den Schulgesetzen 1962 verankert war, eintraten. Auch zahlreiche Mittelschullehrer schlossen sich der Argumentation an und lieferten ihren täglich erlebten

Beweis der Unzulänglichkeit der Ausstattung der Schulen .mit. dem AUemotwendigsten.

Das eingeleitete Volksbegehren brachte zwar weniger Unterschriften, als sich die Initiatoren erhofften; aber dennoch reichte es, daß ein Unterrichtsminister sein Konzept nicht mehr vertretbar fand und die Konsequenzen zog, als die Regierungspartei auf die Linie des Volksbegehrens einschwenkte.

Piffls Abgang machte die Frage noch mehr als vorher zur „Zeitbombe“ der Innenpolitik.

Nun wieder galt es — unter einem neuen, jungen Minister — den Karren der Schulverwaltung herumzureißen und die Maschinerie des Minöritenplatzes auf die Aussetzung des 9. Schuljahres —; mit allen folgenden Konsequenzen der Lehr- pilänummodelung — einzustellen. Aber nur zu bald zeigte sich die Schwäche der Schulverwaltung, die jahrelang in einem allzu lockeren Trab ein Eigenleben führte und die Spannungen mit den Pädagogen an der „Frönt“, also im Klassenzimmer der Mittelschulen, falsch einschätzte. So ist' bis heute die Kostenrechnung ein unerschlossenes Feld der ministeriellen Schulverwaltung. Von einer vorausschauenden, auf Berechnungen gestützten Planung kann leider nicht die Rede sein. Und so kann man heute schon prophezeien, daß nur allzu bald die nächste Krise (in noch markanterer Größenordnung) kommen wird.

Das ist der eigentliche Hintergrund der Misere, an der sich nun kein Gesprächsklima zwischen Professoren und dem Staat mehr herstellen läßt.

Wie sehr es auch nicht etwa um parteipolitische Probleme geht, wird ersichtlich, wenn „schwarze“ Gewerkschafter — an der Spitze ein ÖVP-Bundesrat — dem ÖVP-Finanz- minister gegenüberstehen.

Aber noch in einem anderen Punkt muß das Problem erkannt werden: das soziale Prestige, das jeder Berufsstand hegt und pflegt, ist im Falle der Lehrer und Professoren stark angeschlagen. Der Lehrer ist zum geduldeten „Vertreter für Wissen“ geworden, an den man aus eigener Erfahrung nicht allzu gerne zurückdenkt oder dessen Bekanntschaft man bei Elternsprechtagen macht.

Daß der Lehrer den Schlüssel zur Gesellschaft von morgen , in den Händen hält, sagt man bestenfalls noch in Sonntagsreden.

Tatsächlich aber ist die' Gesellschaft der Zukunft eine Gesellschaft des höheren und besseren Wissens. Wer die gebildeteren Arbeitskräfte von morgen hat, die meisten Techniker, Wissenschafter und Forscher, wird im internationalen Wettkampf bestehen können. Nur allzu schnell geht der Weg vom humanistischen Allgemeingebildeten zum technologischen Hilfsarbeiter.

So erscheint dieser Streik vielen als nicht richtig. Hebt man so — werden viele fragen — das Prestige eines der wichtigsten Stände des Volkes? Hilft man so wirklich die Probleme der Schule zu lösen — an denen gerade die Lehrer nicht wenig zu leiden'haben?

Ein Streik bekämpft nicht „überfüllte Klassen … Kürzung von Unterrichtsstunden … Entfall von Gegenständen“, wie es ta einem Rundbrief der Lehrkörper für die Eltern hieß.

Was nottut, ist eine echte Zusammenarbeit an den Fragen der Schulreform. Ein junger, dynamischer Minister, der auch bereit ist, Konsequenzen im eigenen Ressort zu ziehen, und erfahrene Pädagogen, die den Weitblick besitzen, die Erfordernisse des Lebens dem Menschen der Zukunft zu vermitteln, der heute in der Schulbank sitzt: das müßte doch eine ideale Mischung ergeben, um jede (auch die materielle) Problematik der Schule und der Lehrerschaft vernünftig und mit Maß zu lösen.

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