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Ungarns Schulabkommen nach der Bodenreform

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Um der Christianisierung Ungarn im Geiste der christlich-abendländischen Kultur Bestand zu sichern, ordnete König Stephan der Heilige an, daß je zehn Gemeinden gemeinsam eine Kirche zu bauen haben. Aufgabe des Priesters dieser Kirche war zugleich Seelsorge und Volksbildung. Dieses Pfarreisystem jener Zeit kann mit Fug und Recht als der erste Organismus des ungarischen Volkssdiulwesens betrachtet werden. Es war durch die natürlichen Umstände gegeben, daß in diesen Schulen Unterricht und Erziehung ausschließlich in den Händen des Klerus lag. Laien konnten aber, wo sie mit entsprechender Eignung vorhanden waren, mit Erlaubnis des „Meister- oder Schuldomherrn“ angestellt werden.

Schon zu Beginn des 14, Jahrhunderts war in raschem Anstieg das ungarische Städtewesen zu ansehnlicher Bedeutung gelangt, Handel und Gewerbe blühten auf, das städtische Bürgertum erschien auf der Bühne und wurde zu einem bedeutenden Faktor des sozialen und öffentlichen Lebens. Das Verlangen nach Bildung und der Zudrang zu den Pfarreischulen waren so stark, daß diese Schulen zur Befriedigung der Bedürfnisse in den Städten nicht mehr ausreichten und die Kirche sich genötigt sah, den Rahmen ihrer Schulen zu erweitern und besondere städtisdie und Zunftschulen zu schaffen, in denen neben dem Priester in viel höherem Maße der Erzieher aus dem Laienstande erschien. Jedoch auch diesmal war die Kirche Schulgründerin und Schulerhalterin.

Die Reformation gab dem ungarischen Schulwesen einen neuen Antrieb. Es kam eine Periode, in der das protestantische ScLulwesen, aus deutschen Sdiulmethoden Nutzen ziehend, einen so hohen Standard gewann, daß ihm sogar die Führung zufiel, eine Rolle, die sich mit dem Eintritt des Jesuitenorden? in das ungarische Erziehungswesen änderte. Äußerlich und innerlich den Vorbildern des Westens angepaßt, verwirklichte die „Jesuitenschule“ jener Zeit in Ungarn einen Schultypus humanistischer Grundrichtung, Einen neuen Schulplan brachte im 17. Jahrhundert der Piaristenorden ins Land; er betonte die realistischen Unterrichtsfächer viel stärker und wurde die anerkannte Grundlage des modernen Volksunterrichtes Ungarn.

Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts bildete das Sdiulwesen des Landes ausschließlichen Bereich der Kirche. Erst im Aufklärungszeitalter änderte sich das Bild, namentlich als infolge der Auflösung des Jesuitenordens zahlreiche Schulen aus ihrem organisdien Gefüge gerieten. Der Staat setzte sich an die Stelle der alten Schuleigentümer. Mit der „Ratio educationis“, dem staatlichen Schulerlaß vom Jahre 1777, fiel das kirchliche Schulmonopol, an dem auch die Protestanten für ihre Schulen teilnahmen, und es schien, als wollte der Staat überhaupt das gesamte Schulwesen an sich ziehen. Aber er überschätzte seine Kraft, er war nicht imstande das gewaltige Gebäude kirchlicher Schulorganisation abzulösen, ohne das Unterrichtswesen aufs schwerste zu schädigen. Damals setzte eine lebhafte Bewegung zur Bewahrung der konfessionellen Schule ein; Mitglieder des Episkopats, Orden und. vermögende Laien meldeten sich mit bedeutenden Schulstiftungen. Diese großzügige Aktion gab dem ungarischen Schulwesen unschätzbare neue Impulse. Es sei hier nur an das verdienstliche Wirken der Erzbischöfe und Bischöfe Ladislaus Pyrker, Bela Bartakovics, Josef Kunst, Johann Simor, Johann Szcitovszky, Ludwig Hajnald, Johann Ranojder erinnert, deren Namen mit der Geschichte des ungarischen Schul- und Erziehungswesens für immer verbunden bleiben.

Es ist viel von dem großen Bodenbesitz der Kirche in Ungarn geschrieben und auch mit Recht eine sozialreformerische Änderung verlangt worden. Aber nicht vergessen soll werden, daß rund 20 0.0 00 Katastral j och dieses Grundeigentums zu konfessionellen Schulstiftungen gehörten, aus denen zum Beispiel im Jahre 1941 noch insgesamt 1,601.423 Pengö der Schulerhaltung dienten. Der Unterricht In diesen konfessionellen Schulen konnte ohne die geringste Belastung der Steuerzahler und des Staates vor sich gehen. Nicht nur deshalb, sondern auch weil die konfessionellen Schulen volkstümlicher als die Staatsschulen und ständig so überfüllt waren, daß sie jedes Jahr einen beträchtlichen Prozentsatz der aufnahmebegehren-den Schüler abweisen mußten-

Wiederholt ist unter sehr liberal gerichteten Regierungen die Unentbehrlichkeit und Unersetzlichkeit dieses Schulwesens anerkannt worden. Ausgehend von dieser Erkenntnis, gewährte der Staat 1935 den katholischen konfessionellen Schulen dieselbe Autonomie, die die protestantischen Kirchen seit jeher besaßen, eine Autonomie, die den kirchlichen Behörden das Recht der inneren und äußeren Verwaltung der Schulen einräumte. Der Unterricht erfolgte nach dem von den kirchlichen Behörden entworfenen Studicnplan, mit Benützung eigener, für die katholischen Sdnilen verfaßter Schulbücher. Anstellung und Versetzung der Lehrkräfte war Recht der kirchlichen Behörden. Ebenso die Bestimmung des Schulgeldes, die Gewährung von Stipendien und sonstigen Begünstigungen. Der Staat übte bloß ein Aufsichtsrecht aus, nur darauf bedacht, daß dieses Schulwesen den staatlichen Zielsetzungen nicht widerspreche. Essentielle Schwierigkeiten sind aus Widersprüchen der kirchlichen Schulpraxis und den Ansprüchen der staatlichen Aufsicht nicht aufgetaucht.

Laut eines amtlichen Ausweises verfügten die katholischen Schulautonomien im Schuljahre 1946/47 zusammen über:

1 Rechtsakademie,

2 Oberschulen für Professorenbildung, 35 Knabengymnasien,

14 MKdchengymnasien,

7 Lehrerpräparandien,

26 Lehrerinnenpräparandien, • 92 Bürgerschulen,

3 Kindergärtnerinnenschulen,

4 landwirtschaftliche Mittelschulen,

8 industrielle Mittelschulen, 10 Handelsmittelsdiulen,

9 Handelsfadnjchulen und über 2820 Volksschulen.

Durch die Bodenreform vom Jahre 1945 erhielt die finanzielle und wirtsdiaftliche

Grundlage der katholischen Schulen einen schweren Stoß, da auch jene 20 3.7 56 Katastraljoeh, deren Ertrag für Schulzwecke verwendet wurde, in die Bestimmungen der Bodenreform einbezogen wurden. Die Kirche forderte von den an der Bodenreform Beteiligten kein einziges Katastraljoeh zurück, aber sie erhob dagegen Einspruch, daß es der Staat war, der die Waldungen der Kirche und der Orden in Besitz nahm und für sich behielt, also nicht für eine Bodenreform verwendete. Verhandlungen endeten mit einer Übergangslösung: das Unterrichtsministerium verpflichtete sich, die Gehälter der weltlichen und kirchlichen Lehrkräfte der konfessionellen Schulen zu übernehmen und sich auch an der Deckung der Sachauslagen zu beteiligen. Den Bestand der konfessionellen Schulen und ihre Sonderstellung anzutasten, hütete sich der Staat, weil trotz des jetzigen Zahlungsabkommens die konfessionellen Schulen dem Staate unvergleichlich billiger kommen als die Staatsschulen; es geht dies aus nachstehender Tabelle hervor.

Die Zhl der Staats- und konfessionellen katholischen und protestantischen Schulen und deren Kosten für das Sdiuljahr 1946/47:

Staatsschulen Volksschulen 1540 34.7 Bürgerschulen 150 9.3 Kindergärtnerinnenschulen 1 0.3 Lehrerpräparandien 12 2.2 Gymnasien 64 9.1 Insgesamt; 1767 55.6

Konfessionelle Schulen Volksschulen 4490 30.8 Bürgerschulen 157 2.5 Kindergärtnerinnenschulen 3 0.1 Lehrerpräparandien 46 1.8 Gymnasien 96 8.2 Insgesamt: 4792 43.4

Wie ersichtlich, erspart sich der Staat bei den konfessionellen Schulen trotz des Zuschusses erhebliche Auslagen. Mit vollem Recht schreibt Professor Balduin Penzes in dem Blatte „Uj Ember“ über die Schulfrage unter anderem: „Wenn der Staat dis gewaltige Plebiszit für die konfessionellen Schulen wie auch deren Verdienste in der Vergangenheit und unvergleichlichen Werte in der Gegenwart unberücksichtigt lassen und, sich nicht kümmernd um die menschlichen Freiheitsrechte, die Verstaatlichung der konfessionellen Schulen beschließen würde, könnte eine katastrophale Gestaltung des. finanziellen Gleichgewichtes des Staatshaushaltes kaum vermieden werden. Die 43,40 Millionen Gulden würden sich nämlich in diesem Falle auf 128 Millionen erhöhen und für den Staat eine Mehrausgabe von 84,60 Millionen bedeuten. Diese Mehrausgabe, die auch in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen kaum tragbar wäre, würde in unserer heutigen Verarmung verhängnisvolle Wirkungen hervorbringen,“

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