6739310-1966_35_03.jpg
Digital In Arbeit

Wir wollen kein Geld“

Werbung
Werbung
Werbung

Im Jahre 1927 waren 900.000 Kinder in den freien Schulen eingeschrieben, gegen 3,800.000 in den öffentlichen Anstalten. Nach wie vor subventionierten die Katholiken aus ihren Mitteln allein die Schulen. Eine staatliche Unterstützung wurde weder erwartet noch gefordert.

„Wir wollen kein Geld“, erklärte ein katholischer Abgeordneter pathetisch.

„Wir wollen frei bleiben.“

Damals entwickelte sich jener kämpferische Geist der Katholiken, eine besondere Form der Sensibilität, sobald es darum ging, die freien Schulen zu verteidigen. Ihr Fortbestehen wurde als die großartigste Form jedes Apostolates bezeichnet. In der Tat begann das katholische

Bürgertum durch diese Schulen die junge Elite des Staates zu beeinflussen, die langsam, aber nachdrücklich in die verschiedenen öffentlichen Körperschaften einströmte. Im Jahre 1939 genossen 1,200.000 Kinder eine Erziehung in freien Schulen gegenüber 3,500.000 in den staatlichen Institutionen. Die Kongregationen, schweigend geduldet, fanden keine gesetzliche Grundlage ihrer Arbeit.

In der Widerstandsbewegung trafen die jungen Offiziere der Aristokratie auf die Söhne der Arbeiter. Die sozialen Gegensätze, bisher stark betont, verloren an Bedeutung, obwohl zahlreiche Bischöfe schon damals die Zusammenarbeit zwischen Katholiken und Kommunisten mit großer Besorgnis beobachteten.

Schließlich war es der Division Leclerce zu verdanken, daß die Kommunisten 1944 einen Putsch unterließen, der schwere Folgen gezeitigt hätte. Die Rolle dieser jungen Offiziere, größtenteils in den freien Schulen herangebildet, verdient in diesem Zusammenhang festgehalten zu werden.

Der Ruf nach Subventionen

Das Regime Petain hatte den freien Schulen Unterstützungen eingeräumt und die Stellung der Kongregationen rechtlich untermauert. Den entstandenen modus vivendi übernahm teilweise die Vierte Republik. Wohl verschwanden die staatlichen Subventionen, aber das legistische Werk bezüglich der Kongregationen überdauerte Petain und seine Zeit. Allerdings begann in der Öffentlichkeit sehr bald eine Auseinandersetzung um die freien Schulen. Als Anlaß dazu wurde die Nationalisierung der Kohlengruben genommen, die freie Schulen besaßen. Diese Einrichtungen erfreuten sich unter den Minenarbeitern großen Ansehens. Es kam zu Protesten, ja zu Streiken, um das Statut dieser Unterrichtsstätten zu bewahren.

Der Ruf nach staatlichen Subventionen wurde inzwischen dringender. Die Inflation zehrte die Vermögen, vor allem der Grundbesitzer, auf. Eine, wenn auch versteckt christlich deklarierte Partei an die Macht gekommen, konnte nicht umhin, gewissen Wünschen der Wähler in dieser Richtung zu entsprechen. Den Anfang wagte eine Frau, Familienminister Poinso Chapuis, die über die Umwege von Familienzulagen eine Hintertür zu einer finanziellen staatlichen Unterstützung der freien Schulen öffnete. Dieses nach der Dame benannte Dekret wurde niemals verwirklicht, schuf im französischen Parlament künstliche Mehrheiten und trug zur Umgestaltung des französischen Parlamentarismus 1958 maßgeblich bei.

Schon 1945 hatte das Parlament eine eigene Studiengruppe, die Kommission Philipp, eingesetzt, um den Parteien Vorschläge für eine umfassende Befriedigung vorzulegen. 1951 setzte diese Arbeit eine Studiengruppe Paul-Boncour fort.

Im gleichen Jahr entstanden zum erstenmal zwei Gesetze, welche die staatlichen Zahlungen an die freien Schulen zu regeln versuchte. Die Gesetze Barange und Marie entstanden in einer Zusammenarbeit zwischen MRP, Unabhängigen, RPF und Teilen der Radikalen, weshalb von der parlamentarischen Mehrheit Barange gegenüber der laizistischen Front KP, SFIO und des linken Teiles der Radikalen zu sprechen ist.

Das Gesetz Barange sah monatliche Zuwendungen an die Eltern aller Schüler vor, gleichgültig, ob sie private oder staatliche Unterrichtsstätten besuchten. Die Zahlungen erfolgten an Spezialkassen der Eltem- vereinigung. Dieses Gesetz stellte zu seiner Zeit eine wahre Revolution dar und ist derzeit bereits überholt, während das Gesetz Marie — Stipendien an die Mittelschüler — auch die Fünfte Republik anerkennt. Der Staat stellte mit diesen indirekten Subventionen eine Reihe von Bedingungen. Die Lehrer der freien Schulen mußten staatliche Diplome aufweisen. Die Pädagogik wurde kontrolliert und die Institute untersuchten nach den vom Staat ausgearbeiteten Richtlinien.

800.000 Eltern fordern

In den Jahren nach der Befreiung entwickelten sich die mächtigen Eltemvereinigungen der freien Schulen, die bereits 1930 gegründet, erst nach 1945 die Rolle einer pressure group übernahmen. Die Vereinigung, der zur Zeit 800.000 Eltern angehören, entfachte eine gewisse Agitation in verschiedenen Teilen

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung