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Gott in Frankreich — heute
Kein Problem hat in solchem Ausmaß die Beziehungen der Republik und der Kirche in Frankreich belastet, wie die katholischen Schulen. Massenversammlungen ihrer Anhänger und Gegner, führende Laien, welche die Eltern aufforderten, keine Steuern zu zahlen, zahlreiche Regierungskrisen der Vierten Republik zeichnen das große Unbehagen ab, das mit diesem Problem verbunden ist. Für den Moment trat Ruhe ein, aber emotionelle Kräfte suchen im Verborgenen den Schulkampf neuerlich anzufachen.
Die katholischen, hier freie Schulen genannt, wurden durch das Gesetz Falloux bestätigt, eines Abgeordneten des II. Empires, dessen Name durch dieses legistische Werk bis in unsere Tage lebendig blieb. Denn auch heute fußt die freie Schule auf diesem
Gesetztestext. Bei der gesell schaftspolitischen Überprüfung nach der Erstellung dieses Gesetzes erkennen wir eine intransigente
Rechte, königstreu, und ein vom
Geiste Voltaires erfülltes Bürgertum, das jedoch antisozialistisch den aufsteigenden Sozialismus mit größtem Mißtrauen beobachtet.
Hie „Volk“ — hie „Bürger“
Seit Napoleon war es so üblich, daß die Führungskräfte der Nation, aus dem hohen Bürgertum stammend, eine staatliche Ausbildung erhielten, während das Volk, dessen Bildungsbedürfnis gering eingeschätzt, durch Volksschulen, meistens von geistlichen Kongregationen geführt, in Disziplin und der Verehrung der Obrigkeit erzogen wurden. Eine Ausbildung der Mädchen wurde als unnötig angesehen, und die späteren Gattinnen hoher Funktionäre versorgten die Frauenklöster mit geringem Wissensgut.
In den Lehrern der staatlichen Schulen entstanden die Bannerträger des modernen Sozialismus, weshalb das Bürgertum ihre Kinder in freien Schulen ausbildete.
Nach dem Sturz des Kaiserreiches verwandelte sich die Kirche in eine Einrichtung, die außerhalb des offiziellen Lebens des Staates stand. Deshalb wurde der katholische Unterricht auf das vehementeste bekämpft. Die Jesuiten wanderten aus, und der Wunsch des Papstes Leo XIII., die Katholiken mögen die Republik anerkennen, verhallte in Streit und Polemik, die beim Studium der einschlägigen Dokumente in der ganzen fürchterlichen Schärfe sichtbar wird.
Die Dritte Republik verbreitete die Basis des öffentlichen Unterrichtes unter dem Gesichtspunkt: Laizistisch, kostenlos, obligatorisch. Vor der endgültigen Trennung der Kirche von Staat besuchten im Jahre 1902 1,750.000 Kinder die freien Schulen und 4,800.000 Kinder die staatlichen Schulen. Selbstverständlich erhielten die freien Schulen von der Regierung keine Subventionen. Damals entstand der Slogan: „öffentliche Gelder den öffentlichen Schulen, private Gelder den privaten Schulen.“ Die Minister des Kulturkampfes verbaten die Kongregationen. Nach Ansicht dieser Minister bedrohte ihre Existenz die Grundlagen des Staates.
Allerdings gestattete man ihnen, für ihre Existenz eine ausdrückliche Genehmigung einzuholen. Einige Orden suchten tatsächlich diese zu erreichen und unterstanden einer
Direktion des Kultus im Innenministerium, einer Dienststelle, die sogar im Jahre 1966 ihr Schattendasein führt. So gingen die Lazaristen und ein Frauenorden weiterhin ihrer Berufung nach, während die übrigen Ordensmitglieder teilweise emigrierten, vielfach die Waffe des Streikes anwendeten, um sich zu behaupten. Am stärksten standen alle jene Einrichtungen zur Diskussion, in denen der Staat jesuitische Einflüsse vermutete.
Am Beginn des ersten Weltkrieges trafen die Vertreter der verschiedenen Kongregationen wieder, meistens individuell, ein und kamen ihrer Militärpflicht nach.
Sie teilten das Schicksal des einfachen Grabenkämpfers und fanden dadurch ein größeres Verständnis für ihre Belange als je zuvor. Allerdings honorierte das offizielle Frankreich diese Opfer an Blut und Leiden ungern und akzeptierte mit Mißfallen den offenen Brief des Priesters Doncour, der 1924 ausrief: „Wir flüchten nicht mehr.“
Die Angriffe des laizistischen Bürgertums verloren an Stoßkraft. Die staatliche Führung erkannte, daß der von ihr entfesselte Schulkampf geringe Erfolge zeitigte.
Zur Verteidigung der freien Schulen entstanden Ligen, in denen wir den Beginn der Katholischen Aktion erkennen.
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