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Mitterrands Spiel mit dem Feuer

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Wie in ihrem Wahlprogramm angekündigt, wollte Frankreichs sozialistische Regierung die privaten Schulen in ein Zwangskorsett stecken. Sie löste damit den Massenwiderstand der Franzosen aus.

In seinem Wahlprogramm kündigte der französische Präsident Francois Mitterrand die Eingliederung der privaten, überwiegend katholischen Schulen in ein einheitliches staatüches System an. Er versprach zwar kurz nach seinem Sieg die Aufrechterhaltung eines gewissen Pluralismus, aber es blieb die Absicht, die katholischen Schulen in einen zwar etwas anders gearteten, aber keineswegs freien Ableger des staatlichen Monopols zu verwandeln.

Zahlreiche Kontakte mit den katholischen Elternvereinigungen und der Kirche führten in den zwei folgenden Jahren zu einer realistischeren Analyse der verschiedenen Aspekte eines heiklen Problems sowie der Reaktionen der öffentlichen Meinung. Der Gedanke der Integration wurde fallengelassen.

Anfang 1984 legte der Erziehungsminister einen Plan vor, der die Finanzierung der katholischen Schulen im bisherigen Ausmasse langfristig sichert, sie gleichzeitig jedoch öffentlich-rechtlichen Gremien mit staatlicher Mehrheitsbeteüigung unterstellt und zunächst 15.000 Lehrer die Verbeamtung zusagt, falls sie es wünschen.

Diese Lösung wurde von der Kirche entschieden zurückgewiesen. Sie kam einem dirigistischen Zwangskorsett für die religiösen Schulen gleich. Die Antwort war die wohlorganisierte Mobilisierung der Verteidiger der privaten Schulen, um der Regierung in unverkennbarer Form verständlich zu machen, daß sie gegen den Strom schwimmt und mit dem Feuer spielt.

An den ersten vier Demonstrationen in Bordeaux, Lyon, Rennes und Lille beteiligten sich fast eine Mülion Menschen, an der letzten in Versailles zum allgemeinen Erstaunen rund 700.000. Seit dem Einzug Generals de Gaulle in Paris im August 1944 nach der Befreiung der Stadt strömte nie eine derartige Menschenmenge auf die Straßen. Selbst in ihrer besten Periode mußte sich die kommunistische Partei mit weniger eindrucksvollen Ergebnissen begnügen.

Die Regierung konnte außerdem einige Meinungsbefragungen nicht übersehen. Danach wünschen über 70 Prozent der Franzosen die Bewahrung der Freiheit der privaten Schulen. Der geringe Einfluß der fanatisch laizistischen Kräfte wurde so offensichtlich. Es blieb der Regierung nichts anderes übrig, als einen Kompromiß zu suchen, der nach allgemeiner Uberzeugung von einer Kapitulation nicht sehr weit entfernt ist.

Die Einigung über die finanziellen Fragen bereitete kaum Schwierigkeiten. Für die katholischen Schulen ist es wichtig und beruhigend, daß eine sozialistische Regierung ihre finanzielle Grundlage voraussichtlich für eine längere Frist sichert und vor allem im Rahmen der verwaltungsmäßigen Dezentralisierung die teilweise laizistisch orientierten lokalen Körperschaften, insbesondere die Gemeinden, verpflichtet, ihren Beitrag zum Unterhalt der Gebäude zu leisten.

Die öffentlich-rechtlichen Uberwachungsgremien sind lediglich noch finanzielle Kontroll-und Konsultationsorgane ohne jedes Einmischungsrecht in das Schulwesen. Dessen pädagogische Selbständigkeit wird ebenso wenig angetastet wie die verwaltungsmäßige Entscheidungsfreiheit. Ursprünglich sollten die Schuldirektoren vom Staat ernannt werden. Man ersieht daraus, wie weit die Regierung zurückstecken mußte.

Offen ist vorläufig noch die freiwillige Verbeamtung des Lehrpersonals. Die Grundschullehrer wurden bereits ausgeklammert. Die Verlockung des Beamtenstatus wendet sich lediglich noch an etwa ein Viertel der Mittel- und Oberschullehrer. Die Vertreter der katholischen Schulen fordern für ihr Lehrpersonal ein staatlich garantiertes Statut, so daß sie an der Verbeamtung kaum noch ein Interesse haben. Es wurde ihnen bereits grundsätzlich zugestanden.

Die Regierung möchte jedoch trotzdem versuchsweise einer beschränkten Zahl von Lehrern — man spricht jetzt von 2.500 — die Aufnahme in den Beamtenstand anbieten. Es ist aber nicht ausgeschlossen, daß sie diesen Punkt völlig fallenläßt.

Die Verhandlungen sind noch nicht abgeschlossen. Von der Regierung wird nunmehr ein klarer Gesetzestext erwartet. Vor seiner Weiterleitung an das Parlament sind neue Konsultationen mit den kirchlichen Instanzen und den Elternvereinigungen vorgesehen. Sie dürften nicht leicht sein, denn die Formulierungen besitzen erhebliche Bedeutung. Jede Zweideutigkeit vermag zu einer Verfälschung des Kompromisses zu führen.

Die katholische Seite sieht keinen Grund zur Nachgiebigkeit, zumal ihr ein Teil ihrer Anhänger bereits ein zu starkes Entgegenkommen an den Staat vorwirft. Der Spielraum der Regierung ist gering, weü sie einerseits auf den laizistisch-radikalen Flügel der Sozialisten Rücksicht nehmen muß und andererseits auf die Volksstimmung. Jedenfalls hat sie ihrem Prestige einen recht schlechten Dienst erwiesen, als sie sich in diesen völlig unnötigen und unzeitgemäßen Schulkampf stürzte.

Es ist erstaunlich, wie wenig die Regierung über die Grundströmungen in der öffentlichen Meinung unterrichtet ist. Selbst wenn bei weitem nicht alle aktiven Verteidiger der religiösen Schulen im Lager der Opposition stehen, zieht diese doch aus der Kapitulation der Regierung erheblichen Nutzen..

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